Die Einkommensunterschiede weiten sich aus

Arbeit&Wirtschaft: Kollegin Lehner, du wurdest kürzlich in das Präsidium der AK Wien gewählt und hast so den Frauenanteil dort signifikant gehoben. Du bist Zentralsekretärin der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst. Die jetzige Leitende Sekretärin des ÖGB, Roswitha Bachner, war deine Vorgängerin. Wir würden gern von dir etwas über deine Arbeit erfahren.
Renate Lehner: Um von vorne zu beginne: Ich habe in der Gewerkschaft der Lebens- und Genussmittelarbeiter, der damaligen LUGA, zu arbeiten begonnen. Dort war ich einerseits Fachgruppensekretärin für Konserven- und Tiefkühlindustrie, andererseits auch in der Frauenarbeit tätig. Durch großen Einsatz ist es mir sogar gelungen, den Frauenanteil in der Gewerkschaft LUGA zu erhöhen. Das war nicht einfach, denn die LUGA war damals – wie die Nachfolgegewerkschaft ANG heute – aufgrund der Berufsbilder und der Industriebetriebe ziemlich männerdominiert. Es gab auch viele männliche Funktionäre.

 

Wie macht man das, dass man die Frauen speziell ansprechen kann?
Durch viel Lobbying – und so direkt wie möglich. Ich bin in ganz Österreich herumgefahren und habe versucht, Frauen für die gewerkschaftliche Arbeit zu gewinnen. Und ich denke, das ist mir ganz gut gelungen. Dann wurde Roswitha Bachner im Jahr 2000 zur Leitenden Sekretärin des ÖGB bestellt. Rudolf Kaske hat mich daraufhin als Zentralsekretärin in die HGPD geholt.

 

Also vor vier Jahren. Und wie ist das jetzt hier?
Die HGPD hat aufgrund der Branchen, die sie vertritt, einen hohen Frauenanteil, etwa 70 Prozent. Als Roswitha damals Zentralsekretärin geworden ist, war das sehr schwierig. Sie war die erste Zentralsekretärin in ganz Österreich. Damals hat es viele Männer gegeben, die gemeint haben, in dieser Position hätten Frauen nichts verloren. Als ich dann ihre Funktion vier Jahre später übernommen habe, stand das überhaupt nicht mehr zur Diskussion. Die Funktionäre, die hauptamtlichen, hatten sich scheinbar daran gewöhnt, dass auch eine Frau gute Arbeit für eine Gewerkschaft und für den ÖGB leisten kann.

 

In den Branchen selber häufen sich ja die Probleme: allein die Saisonniers und die Veränderung der Beschäftigungsstruktur. Viel mehr Teilzeit und Atypische und so weiter, oder?
Zu den Saisonniers: Gerade jetzt beginnen die Verhandlungen für die Wintersaison. Wir appellieren an die Verantwortlichen angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit – vor allem bei Frauen, Lehrlingen und in Österreich lebenden Migrantinnen und Migranten – auf eine Erhöhung dieses Kontingents zu verzichten. Bei den Lehrlingen macht uns eine Idee von Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein große Sorgen: Tourismuslehrlinge sollen mit einer monatlichen Entfernungsbeihilfe von 250 Euro in den lehrstellenreichen Westen gelockt werden.

 

Aber so sind sie weg von daheim …
Mitten in der Pubertät sind sie weit weg von Familie und Freundeskreis und absolvieren die Lehre dann halt irgendwo. Das ist unausgereift, nicht durchdacht. Wir lehnen gemeinsam mit der Arbeiterkammer das Konzept ab. Ich denke, es ist wichtig, dass Arbeiterkammer und ÖGB bei solchen Ideen der Bundesregierung gemeinsam vorgehen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Eltern und Jugendlichen wirklich wohl dabei ist, wenn Lehrlinge hunderte Kilometer von zu Hause entfernt ihre Lehre in einem Hotel oder Gasthaus beginnen. Und dafür ist plötzlich Geld da. Wichtiger als solche Prämien wäre es, die Arbeit im Tourismus vor allem für Jugendliche attraktiv zu machen. Nur wenn Bezahlung, Arbeitszeit und Karrierechancen passen, werden mehr junge Leute diesen Beruf ergreifen.

 

Ich habe lange die Jugendzeitung gemacht hier im ÖGB. Wir haben immer versucht, Missstände aufzuzeigen, und die meisten waren eigentlich im Bereich Gastgewerbe und Persönlicher Dienst in der Lehrlingsausbildung, wo es meist nur um billige Arbeitskräfte gegangen ist und wo Schutzbestimmungen nicht eingehalten worden sind. Wird sich wahrscheinlich auch nicht viel geändert haben?
Es hat sich nicht viel geändert. Absolut nicht! Wir erleben immer wieder, dass Jugendliche – vor allem in Tirol, vor allem in Saisonbetrieben – zu dritt in irgendwelchen Kammerln schlafen müssen, dass sie nach den drei Monaten Probezeit vor die Türe gesetzt werden oder unmögliche Arbeitszeiten haben. Die Bevölkerung glaubt gar nicht, was für Missstände es gerade in diesen Berufen noch immer gibt. Da ist es nur logisch, dass sich viele Jugendlichen sagen, das tu ich mir nicht an und die Lehre abbrechen. Ähnlich beim Lehrberuf Friseur: Oft wird das Lehrbild nicht erfüllt und die Jugendlichen brechen die Lehre ab, weil sie den ganzen Tag zusammenkehren müssen und nichts lernen.

 

Ist es bei den Friseurinnen nicht so, dass 90 Prozent eh nicht im Beruf bleiben?
Ja, leider. Viele landen in der Industrie, am Fließband, weil dort die Arbeitszeiten noch attraktiver sind. Vor allem wenn Kinder da sind, sind bei den aktuellen Öffnungszeiten Beruf und Familie nur schwer zu vereinbaren – wie bei den Handelsangestellten.

 

Was ich nicht verstehe: Sind die Jugendlichen nicht informiert? Warum suchen sie sich einen Beruf, wo sie nach logischen Erwartungen eigentlich nicht weiterkommen? Oder sind die so froh, dass sie überhaupt einen Job haben, weil sie sonst eh nichts finden?
Leider hat sich an den drei traditionellen Mädchenberufen nur wenig geändert: Büro, Friseurin oder Verkäuferin. Vielleicht sind die Informationsmaßnahmen in den Schulen nicht ausreichend oder gut genug, um Mädchen auch für andere Berufe zu begeistern. Das passiert noch viel zu wenig.

 

Wie ist das eigentlich? Du sitzt jetzt im Präsidium der AK. Obwohl ja doch relativ viele an den Wahlen teilnehmen, ist die Struktur der Kammer noch ziemlich unbekannt, trotz allem. Oder?
Das sehe ich nicht so: Ich glaube sogar, dass die Arbeiterkammer bei der Bevölkerung sehr wohl bekannt ist – zumindest in den letzten Jahren. Es hat jetzt eine Umfrage gegeben, die ich sehr interessant gefunden habe, wonach 94 Prozent der Wiener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Wahl gegangen sind, um die AK zu stärken. Ich glaube auch, dass die AK mit dem ÖGB sehr gut zusammenarbeitet. Vor allem, was Forderungen anbelangt. Zum Beispiel die Pensionsharmonisierung: Da sind beide Präsidenten mit ihrer Kritik zum vorgelegten Programm der Bundesregierung gemeinsam an die Öffentlichkeit gegangen.

 

Das haben Herbert Tumpel und Fritz Verzetnitsch gemeinsam gemacht.
Ich glaube, dass die Beschäftigten in diesem Lande sehr wohl erkennen, dass beide Institutionen gemeinsam und jede auf ihre Art für sie eintreten.

 

Ich darf diese Zeitschrift machen, die ja von AK und ÖGB gemeinsam herausgegeben wird und vielleicht mach ich da jetzt den Advocatus Diaboli, dass ich das so formuliert habe. Aber andererseits ist mir halt aufgefallen, dass auf Grund der Mehrheitsverhältnisse in der Kammer zum Beispiel sich die Selbstverwaltung in den Sozialversicherungen ausrichtet. Das hat doch vorher fast keiner gewusst. Erst wie sie versucht haben, das abzudrehen, da ist es ein bisschen aufgefallen, oder? Das habe ich gemeint. Aber das ist wahrscheinlich auch unsere Schuld. Wir hätten das vorher ein bissel besser propagieren sollen.
Da hast du Recht, Kollege Sorz. Aber es gibt Dinge, die sind der breiten Öffentlichkeit nur sehr schwer zu erklären, glaube ich. Dazu gehört leider auch das gesamte System der Sozialversicherung. Ich merke das auch manchmal bei unseren Funktionärinnen und Funktionären. Auch hier gibt es Lücken zum Thema Selbstverwaltung. Es ist unser aller Aufgabe, diese Themen immer wieder zu propagieren und aufzuzeigen. Was ist in den Jahren passiert, die diese Bundesregierung an der Macht ist? Wir müssen immer wieder trommeln, dass in den Gremien der Selbstverwaltung eine radikale Umfärbung stattgefunden hat – auch auf Kosten der Qualität. Hauptsache Rot raus und Blau-schwarz rein. Hier haben sich Mehrheiten umgedreht.

 

Und es wird genützt, um das ganze System, ich will nicht sagen zu liquidieren, aber doch sehr zurückzunehmen. Weil das Interesse des Kapitals ist, dass alles privat geregelt wird.
Die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die bisher in den Gremien gesessen sind, sollen zurückgedrängt werden. Man will den Einfluss der Arbeitnehmerinnen und der Arbeitnehmer auf jeden Fall minimieren.

 

Wie wird es denn weitergehen? Letzen Endes sagen alle, sie haben rückläufige Mitgliederzahlen. Oder sehe ich das zu schwarz? Wie wird es weitergehen bei der Gewerkschaft? Ich glaube, dass sich auch die ganze Struktur der Beschäftigung so weit verändert. Die Leute verdienen ja weniger als vor 15 Jahren, haben weniger Einkommen …
Da hat auch die Arbeiterkammer eine interessante Studie gemacht. Sie hat die Jahresabschlüsse von 170 österreichischen Kapitalgesellschaften untersucht. Der Gewinn ist im Vergleich zum Vorjahr um 9,5 Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum wurden 3200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen. Das muss man sich vor Augen führen.

 

Einfach eine Umverteilung … Die einen kriegen weniger und die anderen haben mehr.
In den von der HGPD betreuten Dienstleistungsbranchen ist das Einkommen niedrigst angesiedelt, ob im Hotel- und Gastgewerbe, bei den Friseurinnen, in der Reinigungsbranche oder auch bei den Heimhilfen. Dazu kommt die noch immer ungeklärte Situation der Hausbesorgerinnen und Hausbesorger.

 

Da haben wir in diesem Heft einen schönen Beitrag von Ortrun Gauper, da heißt es: »Es ist ein gesellschaftlicher Missstand, dass die Wartung des Familienwagens ganz selbstverständlich zu einem Facharbeiterlohn gezahlt wird, während bei der Altenpflege das osteuropäische Lohnniveau als normal empfunden und ein Facharbeiterlohn für völlig unerreichbar gehalten wird.«
Das versuche ich zu propagieren, seit ich im ÖGB bin: Dass auch die psychische Belastung bei der Bewertung der Schwere der Arbeit berücksichtigt werden muss. Egal, ob im Dienstleitungsbereich oder in der Industrie. Die Frauen, die am Fließband stehen, verdienen halb so viel wie etwa der Staplerfahrer. Ich behaupte jetzt, der Staplerfahrer hat nicht mehr Stress als eine Frau, die im von der Maschine vorgegebenen Takt arbeiten muss. Das zu berücksichtigen, ist eine der großen Forderungen der Frauenbewegung.

Der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern wird nicht geringer, sondern weitet sich aus – die Schere geht weiter auf. Der Unterschied beträgt mehr als ein Drittel. Da hat sich nichts geändert! Frauen sind auch nach wie vor in schlechter bezahlten Berufen tätig. Männer tun sich diese Jobs nicht an. Für Heimhilfe zum Beispiel ist es einfach schwer, Männer zu gewinnen: geringe Bezahlung, hohe psychische Belastung.

 

Heimhelferin, das ist, wenn die Leute nur leichte Pflegefälle sind. Die kommen in die Privatwohnung und räumen zusammen.
Genau. Zum Beispiel von der »Volkshilfe« oder »Sozial Global«. Die versorgen kurzfristig, sind eine halbe Stunde bei den Klientinnen und Klienten.

 

Das sind ja unsere Eltern und irgendwann werden wir selber es sein, die auf das angewiesen sind. Oder?
Da läuft jetzt eine große Werbekampagne für diese Berufe. Es besteht hier tatsächlich hoher Bedarf an Arbeitskräften. Aber die wenigsten werden sich das wirklich antun. Und wenn, dann auch nur kurzfristig. Es sind vor allem Frauen ab 45, die in diesen Bereich einsteigen. Wir in der HGPD glauben übrigens nicht, dass Altenpflege ein geeigneter Lehrberuf für Mädchen und Burschen kurz nach der Pubertät ist. Die psychische Belastung ist dort schon sehr hoch. Und mir ist zum Beispiel nicht wohl bei dem Gedanken, dass ein 17-jähriges Mädchen einen inkontinenten 70-jährigen Mann trocken legt.

 

Die Bundesregierung plant ja jetzt, einen Dienstleistungsscheck einzuführen. Was sagt die HGPD dazu?
Ja, der soll für Haushaltshilfe und auch für Pflege gelten – das heißt, ich kaufe einen Dienstleistungsscheck im Wert von 10,20 Euro und kann dann arbeiten lassen.

 

Das ist für eine Stunde, die 10,20 Euro, und da braucht man sich nicht mehr zu kümmern um Anmeldung und Schwarzarbeit?
Ja, das heißt, ich kaufe mir diesen Scheck in der Trafik, dann sage ich zum Beispiel zu meiner Nachbarin, räume meine Wohnung zusammen und die löst den Scheck dann beim AMS ein.

 

Und dort kriegen sie dann die Steuern abgezogen?
Und sind je nach Geringfügigkeitsgrenze versichert. Das Problem ist, diejenigen, die bei uns jetzt schwarz beschäftigt sind, sind zu einem großen Teil nicht aus Österreich oder den EU-Ländern. Die polnische Putzfrau kann den Scheck nicht beim AMS einlösen. Die hat nach wie vor keine Beschäftigungsbewilligung.

 

Wieder zweierlei Maß …
Wir müssen uns diesen Vorschlag sehr gut anschauen. Ich habe auch die Arbeiterkammer gebeten, einmal eine Analyse zu machen. Damit wir auch eine gemeinsam Position innerhalb der Gewerkschaften zustande bringen.

 

Was ist eure Position in der Arbeitszeitdiskussion?
Der Vorschlag, die Normalarbeitszeit von acht auf zehn Stunden auszuweiten, trifft die Beschäftigten in »unseren« Branchen besonders hart. Die verdienen eh schon so wenig und wenn man denen auch noch die Überstunden wegnimmt, bleibt gar nichts.

 

Die wollen sich das Überstundengeld sparen?
Die Wirtschaft will sich im Endeffekt die Überstunden ersparen und ich denke nicht, dass ein einziger Arbeitsplatz dadurch gewonnen wird oder zusätzlich zustande kommt.

 

Die wollen einfach ihre Profite steigern.
Wir haben genug Flexibilisierung in den Kollektivverträgen – wie auch in allen anderen Gewerkschaften.

 

Ihr habt da auch schon so Jahresdurchrechnungszeiten.
Wir haben aufgrund der Saison vor allem im Hotel- und Gastgewerbe auch Durchrechnungszeiten.

 

Das heißt, sie versuchen es halt mit allen Mitteln und wir geben immer wieder nach, weil wir halt zu schwach sind. Oder?
So schwach sind wir nicht – denk an die Demonstrationen und Streiks im letzten Jahr. Wir müssen auch weiterhin die Menschen aufklären. Bei der Pensionsharmonisierung glaube ich sehr wohl, dass wir, wenn die Bundesregierung auf die Forderungen von ÖGB und AK nicht eingeht, sehr wohl Maßnahmen setzen müssen. Und ich glaube auch, dass das funktioniert. Wir haben zu diesem Thema demonstriert und wir können das auch weiterhin tun. Wir werden sehen, wie die Stimmung ist. Ich schließe auch weitere Aktionen nicht aus.

Von Siegfried Sorz spricht mit Renate Lehner

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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