„Die Drei“ – ein untrennbares Team

Über Selbstverständlichkeiten zu schreiben ist nicht leicht, sind sie doch oft den Beteiligten unbewusst. Dennoch erscheint es – gerade im Hinblick auf das 90-jährige Jubiläum der Arbeiterkammern – wichtig, auf einige Stationen in der langen Geschichte erfolgreicher Zusammenarbeit hinzuweisen.

„Zukunftsprojekt Arbeiterkammer“

Als gegen Ende November 1917 die Reichskonferenz der Freien (sozialdemokratischen) Gewerkschaften die Forderung nach Errichtung von Arbeiterkammern aufstellte, ging es darum, den Mitte des 19. Jahrhunderts gegründeten Handels- und Gewerbekammern eine mit ähnlichen Kompetenzen ausgestattete gesetzliche Interessenvertretung für ArbeitnehmerInnen gegenüberzustellen. Mit der Errichtung von Einigungsämtern durch das Kollektivvertragsgesetz, dem Betriebsrätegesetz und dem am 26. Februar 1920 von der Nationalversammlung beschlossenen Arbeiterkammergesetz wurden unter Staatssekretär Ferdinand Hanusch die Grundlagen des modernen österreichischen Sozialstaates geschaffen.
Die Aufgaben der Arbeiterkammern waren durch den gesetzlichen Auftrag zur „Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Arbeiter“ breit gehalten. Während die Lohn- und Tarifpolitik, die Verhandlung und der Abschluss von Kollektivverträgen auf ArbeitnehmerInnen-Seite zentrale Aufgabe der Gewerkschaften als „Kampforganisationen“ zu sein hatten, war es Aufgabe der Arbeiterkammern, die Interessen der ArbeitnehmerInnen „in innigster Verbindung mit den Gewerkschaften und Betriebsräten“ gegenüber Bürokratie und Staat zu vertreten. Darüber hinaus sollten die Kammern für Arbeiter und Angestellte – wie es 1923 in der ersten Nummer der von Gewerkschaftskommission und Arbeiterkammer gemeinsam herausgegebenen Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft“ hieß – „Wegweiser der Zukunft zu“ sein.
Der erste „Kammertag“ fand nach den ersten AK-Wahlen am 14. und 15. Oktober 1921 in Wien statt. Es war eine Arbeitssitzung, die neben politischen Fragen vor allem der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften gewidmet war. Die Wiener AK, die mit der laufenden Geschäftsführung betraut war, wurde beauftragt, gemeinsam mit der Gewerkschaftskommission ein Bildungsprogramm für Betriebsräte auszuarbeiten. Darüber hinaus galt es, gemeinsame Aktionen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Förderung des Arbeiterbildungswesen und der Lehrlingsfür-sorge sowie eine Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschaftsstatistik zu vereinbaren. Als es im Rahmen der Lösung der wirtschaftlichen Probleme der Nachkriegszeit, gedrängt von den Siegermächten, durch die bürgerlichen Regierungen zu wirtschaftlichem und sozialem Kahlschlag kam, waren es die Arbeiterkammern, die zusammen mit allen Gewerkschaften in umfangreichen Stellungnahmen die sogenannten „Reform- und Sanierungsprogramme“ der Regierung geißelten.

„Die Drei“ in der Ersten Republik

Im politisch aufgeheizten Klima der 1. Republik waren die Arbeiterkammern nahezu der einzige Ort, an dem die sich bekämpfenden Richtungsgewerkschaften zu gemeinsamen Beschlüssen kamen. Bei sachbezogenen Maßnahmen, Studien, Stellungnahmen und Aktionen kam es kaum zu politischen Differenzen. Darüber hinaus wurde die Zusammenarbeit zwischen den Freien Gewerkschaften und den von ihr politisch dominierten Arbeiterkammern in vielen Bereichen intensiver. Beispiele sind die gemeinsame Ausbildung von BetriebsrätInnen und FunktionärInnen, Lehrlings- und Jugendschutz und auch die von Käthe Leichter ab 1926 zusammen mit Anna Boschek und Wilhemine Moik getragene Frauenpolitik.
Als nach der Ausschaltung des Parlaments auch die Selbstverwaltung der Arbeiterkammern zerstört und die Kammern ministeriellen Verwaltungskommissionen unterstellt wurden, hagelte es Proteste aus den Betrieben. Im Jänner 1934 kam es in ganz Österreich zu Demonstrationen, Vorsprachen von BetriebsrätInnen bei den Landeshauptleuten und zu Protestschreiben. Über 1.100 Betriebe mit rund 171.000 Beschäftigten protestierten gegen die Entfernung sozialdemokratischer FunktionärInnen aus den Arbeiterkammern. Doch das austrofaschistische Regime unter Dollfuß blieb hart: Für eine demokratische Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen gab es keinen Platz mehr.
Die Gründung des überparteilichen österreichischen Gewerkschaftsbundes 1945 brachte eine neue Qualität in die Zusammenarbeit zwischen den wiedererrichteten Arbeiterkammern, dem ÖGB und den Gewerkschaften und den Betriebsratskörperschaften. Als am 20. Juli 1945 im Kabinettsrat das Gesetz zur Wiedererrichtung der Arbeiterkammern verabschiedet wurde, setzte der Gründer und Präsident des ÖGB, Johann Böhm, Staatssekretär für soziale Verwaltung, die Verabschiedung des Gesetzes mit den Worten durch: „Entweder wird das Kammergesetz verabschiedet, oder ich lege meine Stelle als Staatssekretär für soziale Verwaltung zurück.“

Sozialpartnerschaft nach 1945

In der nach 1945 entstandenen „Sozialpartnerschaft“ stehen ÖGB und AK gemeinsam den gesetzlichen Interessenvertretungen der Wirtschaft und Landwirtschaft gegenüber. Nahezu alle modernen sozial- und wohlfahrtsstaatlichen Regelungen, die weit über die Grenzen Österreichs hinaus Beachtung fanden und finden, gehen auf Initiativen der Arbeiterkammern und Gewerkschaften zurück und sind unter ihrer Mitwirkung zustande gekommen. Mit dem AK-Gesetz 1992 wurde diese engen Bande auch rechtlich normiert, so steht in § 6 AKG , dass die Arbeiterkammern berufen sind, „die kollektivvertragsfähigen freiwilligen Berufsvereinigungen und die Organe der betrieblichen Interessenvertretung zu beraten sowie zur Förderung der sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer zu unterstützen und mit ihnen zusammenzuarbeiten“.
Die enge Kooperation zwischen den AK, Gewerkschaften und BetriebsrätInnen zeigt sich tagtäglich nicht nur bei gemeinsamen Veranstaltungen, sondern auch bei der Aus- und Weiterbildung von BetriebsrätInnen. Die BetriebsrätInnen-Akademien (BRAK) der Arbeiterkammern werden ergänzt durch ein umfangreiches Aus- und Fortbildungsprogramm sowie durch eine Reihe von Spezialkursen, wie etwa jene für betriebsrätliche Aufsichtsratsmitglieder. Die Spitzenausbildung für FunktionärInnen der Gewerkschaftsbewegung – die von der AK geleitete Sozialakademie – führt 2011/12 erfolgreich bereits den 61. Jahrgang durch. Die Stärkung gewerkschaftspolitischer Handlungskompetenz ist das Hauptziel dieser Hochschule der ArbeitnehmerInnen-Vertretungen.
Die Pensionsreform 2003 war einer der schärfsten Angriffe der blau-schwarzen Bundesregierung auf den Sozialstaat. Vorgeschlagen wurde damals eine drastische Kürzung der Pensionen. Dies konnten und durften die ArbeitnehmerInnenvertretungen nicht hinnehmen. Auch in den Betrieben regte sich Unmut und Widerstand. Dem ÖGB und allen Gewerkschaften gelang es, alle Widerstandskräfte im Lande zu bündeln. Die Organisation des größten Streiks seit Jahrzehnten lief auf Hochtouren. Die Arbeiterkammern zeigten durch von allen Medien übernommene Rechenbeispiele den geplanten Kahlschlag der Bundesregierung schonungslos auf und konnten dadurch das Meinungsklima im Lande entscheidend beeinflussen. Die Bundesregierung wurde zum Einlenken gezwungen und musste Abstriche ihrer Pläne hinnehmen. Das „Doppelpass-Spiel“ (es war allerdings kein „Spiel“, sondern ein beinharter Kampf um ArbeitnehmerInnenrechte) kann als nahezu „klassisches Beispiel“ für die Unverzichtbarkeit der österreichischen Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen gesehen werden. Hätte es die Mobilisierungsstärke von ÖGB und Gewerkschaften einerseits, und die Beeinflussung des Meinungsklimas durch die Expertisen der AK andererseits nicht gegeben, wären die Absichten der Bundesregierung beschlossen worden.

Gemeinsam in die Zukunft

Es kann hier nicht auf zahlreiche weitere Aktionen bis hin zum aktuellen Kampf um die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene eingegangen werden, denn die Liste der Kooperationen ist schier endlos. Das gemeinsame Auftreten von AK und ÖGB gestützt auf die Erfahrungen von BetriebsrätInnen in allen die Interessen der ArbeitnehmerInnen berührenden Fragen war nicht nur Grundlage für den erfolgreichen österreichischen Weg, sondern ist ein Zukunftsmodell. Gäbe es „die Drei“ nicht, man müsste sie erfinden!

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Von Klaus-Dieter Mulley (Institut für Geschichte der Gewerkschaften und AK Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/2011.

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