Das reiche Establishment Monacos ist seit geraumer Zeit in Aufruhr, denn unter die feine Gesellschaft mischen sich jüngst die neuen Superreichen. Aus China und Russland, von der Wall Street und aus dem Londoner Finanzbezirk strömen sie an die Mittelmeerküste und lassen die alteingesessene Elite die Nase rümpfen. Unweit der Villen ankern sie ihre riesigen Jachten, feiern Partys bei lauter Musik und entsprechen damit so gar nicht dem vornehmen Geschmack der oberen Zehntausend. Hinter vorgehaltener Hand echauffiert sich der alte Geldadel über den Verlust traditioneller Gepflogenheiten im Kreise der Reichen.
Ungeschriebene Verhaltensregeln
Soziologinnen und Soziologen würden sagen, die Neureichen haben einen anderen Habitus als jene, die in reichen und einflussreichen Familiendynastien aufgewachsen sind. Der Habitus einer Person bezeichnet nach Pierre Bourdieu ein System von Grundhaltungen und Verhaltensweisen. Er markiert aber auch die unsichtbaren Grenzen, die den Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft gezogen sind. Die entscheidende Prägung findet bereits in der Kindheit statt und wird vor allem durch das familiäre und soziale Umfeld bestimmt. Die Vertrautheit mit den Gepflogenheiten und den ungeschriebenen Verhaltensregeln sei eine Voraussetzung für den Aufstieg in gewisse soziale Kreise, erklärt der deutsche Eliteforscher Michael Hartmann. Der Habitus ist sozusagen die gläserne Decke sozialer Klassen.
Auch ohne jemals von Pierre Bourdieu gehört zu haben, spüren Kinder aus Arbeiterfamilien instinktiv, was der Habitus bedeutet. Eine Akademikerin aus einem Berliner Arbeiterbezirk erzählt der deutschen „Zeit“ über die schwierigen Anfänge ihrer Studienzeit: „Die Studierenden, wie die sich ausdrückten! Es kam mir so unnatürlich vor.“ Die kannten bereits alle Theaterstücke und Bücher, die im Unterricht vorkamen. Die hatten alle eine Bibliothek zu Hause, sie selbst nur alte Schulbücher. „Als Tochter einer alleinerziehenden Mutter, die sich als Putzfrau ihren Lebensunterhalt verdienen musste, weiß ich, wie schwierig es ist, soziale Barrieren zu überwinden“, sagt auch eine Frau, die es bis in die Vorstandsetage bei Siemens Österreich geschafft hat. Die ehemalige Generaldirektorin und studierte Volkswirtin Brigitte Ederer unterstützt deshalb die Initiative „Arbeiter-Kind.at“, die Kindern aus Arbeiterfamilien bei alltäglichen Stolpersteinen in ihrer Ausbildung hilft.
Dass solche Initiativen ihre Berechtigung haben, beweist ein Blick auf die soziale Herkunft von Akademikerinnen und Akademikern in Österreich. Demnach erreicht mehr als die Hälfte der Kinder aus Akademiker-Haushalten wieder einen Universitätsabschluss, während dies nur elf Prozent jener Kinder gelingt, deren Eltern einen Lehrabschluss haben. Aktuelle Forschungsergebnisse der WU Wien zeigen, dass bereits die vorschulische Betreuung den wichtigen Unterschied für den späteren Bildungsweg macht. „Eltern geben ihre Bildung schon ab dem ersten Geburtstag an ihre Kinder weiter“, erklärt Wilfried Altzinger, Wirtschaftsprofessor an der Wirtschaftsuniversität.
Rastignacs Dilemma kehrt zurück
Neben der Bildungsvererbung spielen Vermögensübertragungen eine wesentliche Rolle für die Einschätzung sozialer Mobilität. Thomas Piketty hat in seinem Buch „Capital in the Twenty-First Century“ festgestellt, dass Erben heute wieder so wichtig wird wie in der feudalen Aristokratie des 19. Jahrhunderts (siehe „Das Erbe der Ungleichheit“). Exemplarisch für diese Epoche ist Honoré de Balzacs Roman „Vater Goriot“, in dem der talentierte, aber mittellose Eugène de Rastignac vom Aufstieg in die feine Pariser Gesellschaft träumt. Dieser merkt schnell, dass Studium, Talent und Fleiß diesen Traum nicht ermöglichen, sondern nur geschickte Heiratspolitik und damit verbundene Erbschaften. Seit geraumer Zeit gewinnt das Dilemma Rastignacs wieder an Aktualität, denn große Erbschaften sichern den Verbleib in der sozialen Exklusivität. Das ist kein rein österreichisches Phänomen, denn Piketty beschreibt die Entwicklung des globalen Kapitalismus im 21. Jahrhundert.
Natürlich sind auch in Österreich Erbschaften vor allem für die reichsten Haushalte von beträchtlicher Bedeutung. Während die untere Hälfte der Haushalte kaum nennenswerte Erbschaften erhält, erben die reichsten zehn Prozent der Haushalte durchschnittlich mehr als 300.000 Euro. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern der EU sind diese leistungslosen Einkommen in Österreich noch dazu steuerfrei. Dem Matthäus-Effekt folgend gilt: Wer hat, dem wird gegeben. Wer bereits mit Vorteilen ins Leben startet, kann später mit weiteren Privilegien rechnen.
Begüterte Familiendynastien weisen oft eine jahrhundertelange Geschichte von Reichtum auf. Anhand seltener Nachnamen haben ForscherInnen die Stammbäume von reichen Familien historisch analysiert und festgestellt, dass Vermögen, Bildung, sozialer Status und politische Macht über viele Generationen weitervererbt werden. Der britische Ökonom Gregory Clark untersuchte englische Familien vom 19. Jahrhundert bis heute und stellt eine beeindruckende Diagnose. Die Nachfahren von sehr reichen Familien anno 1850 haben in der heutigen Generation immer noch rund viermal so große Vermögen wie die durchschnittliche britische Familie. In der wissenschaftlichen Literatur wird ein weiterer Kanal genannt, der soziale Mobilität eingrenzt: das soziale Netzwerk. Es dient nicht nur bei der Arbeitssuche, sondern auch beim Eintritt in bestimmte Gesellschaftsschichten als Strickleiter. Kinder aus wohlhabenden Familien können oft auf die weitläufigen Netzwerke ihrer Eltern vertrauen, um sich bessere Positionen auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. Diese Möglichkeit bleibt Kindern aus weniger privilegierten Familien oft verwehrt. Der Apfel fällt somit auch beruflich nicht weit vom Stamm. Das ist ein weiteres der zahlreichen kleinen Puzzleteile, die dazu führen, dass sozialer Auf- oder Abstieg in Österreich die Ausnahme bleibt.
Der Traum, durch Arbeit reich zu werden – der sprichwörtliche Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär –, bleibt bei einer neutralen Betrachtung der Fakten lediglich Stoff für die Filmindustrie. Die Hälfte der ArbeiterInnen verdient in Österreich selbst im besten Verdienstalter zwischen 40 und 50 Jahren nicht mehr als 2.100 Euro brutto im Monat. Die vereinzelten, selbst ernannten „Selfmade-Milliardäre“ dienen zwar immer wieder als plakative Beispiele für soziale Durchlässigkeit. Dem Großteil der Gesellschaft sind beim Aufstieg aber enge Grenzen gesteckt.
Schiefes Spielfeld ebnen
Es ist schwierig, ein gewünschtes Niveau an sozialer Mobilität zu definieren und einen Grad der Durchlässigkeit als Ziel wirtschaftspolitischer Maßnahmen festzulegen. Allerdings muss die Diskussion um Chancengleichheit für alle Kinder unabhängig von ihrem finanziellen Familienhintergrund ins Zentrum rücken. Denn die Vererbung von Bildung, beruflichen Möglichkeiten und großen Vermögen erzeugt Startvorteile für die einen – und schier unüberwindbare Barrieren für die anderen. Das Ziel einer nach Gerechtigkeit und Fairness strebenden Gesellschaft muss somit das Ebnen dieses schiefen Spielfelds sein. Die Bildungspolitik spielt dabei eine wichtige Rolle, wobei die Reformära Kreisky beispielhaft deren positive Auswirkungen für eine Ausweitung sozialer Mobilität belegt.
Die wissenschaftliche Forschung zeigt aber vor allem die Relevanz frühkindlicher Förderung auf. Die öffentliche Bereitstellung sozialer Dienstleistungen im Rahmen der Vorschulförderung ist nicht nur eine Grundvoraussetzung für einen raschen Wiedereinstieg von Müttern in das Erwerbsleben, sondern auch für Chancengleichheit der Kinder. Die Bandbreite politischer Lösungsansätze reicht zudem von hohen Steuern auf Vermögensübertragungen bis hin zu alternativen Formen von Eigentum und demokratischer Kontrolle, wie Thomas Piketty in seinem Bestseller schreibt.
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Von Matthias Schnetzer, Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/14.
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