Denkende Arbeiter trinken nicht

Friedrich Engels, einer der „Urväter“ der sozialdemokratischen ArbeiterInnenbewegung schrieb 1845 über „die Lage der arbeitenden Klasse in England“: Der Arbeiter kommt müde und erschlafft von seiner Arbeit heim; er findet eine Wohnung ohne alle Wohnlichkeit, feucht, unfreundlich und schmutzig; er bedarf dringend einer Aufheiterung, er muss etwas haben, das ihm die Arbeit der Mühe wert, die Aussicht auf den nächsten sauren Tag erträglich macht … es ist die moralische und physische Notwendigkeit vorhanden, dass unter diesen Umständen eine sehr große Menge der Arbeiter dem Trunk verfallen muss. Die ArbeiterInnenbewegung wollte das ändern. Parallel zum Gewerkschaftskampf für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen entstand die ArbeiterInnen-Abstinentenbewegung, ab 1905 mit einer österreichweiten Organisation. Sie setzte sich das Ziel, die ArbeiterInnen davon zu überzeugen, dass Bildung und Kultur bessere Hilfe brächten als Alkohol. Der Wiener Arbeiter-Abstinentenbund berichtete 1932, am Höhepunkt der großen Wirtschaftskrise, über seine Tätigkeit:
Der ungebrochene Wille einer stets wachsenden, tapferen Schar gerade in dieser schweren Zeit, welche die besondere Wichtigkeit des Kampfes gegen den Alkohol begriffen hat, um dieser Volksseuche in späterer, besserer Zeit Dämme setzen zu können, damit das geistige Gut des Proletariats nicht von den Wogen des Alkohols verdrängt werde, bürgt uns für den kommenden Erfolg.
Der Alkoholgenuss ist wohl stark im Rückgang begriffen. Die Not der Zeit muss auf den Alkohol verzichten. Dass es ein freiwilliger Verzicht im Sinne der Kulturerhöhung werde, ist Aufgabe des Arbeiter-Abstinentenbundes.
… Am 21. April wurde die zentrale Trinkerfürsorgestelle des Arbeiter-Abstinentenbundes in Ottakring (Bezirksvertretung) eröffnet, … Aus Anlass des Werbemonats wurde eine Begrüßungsfeier im Margaretner Volksbildungshaus abgehalten, bei der Genosse Dr. Luitpold Stern über „Sozialismus und Nüchternheit“ sprach, welche Rede als Broschüre unter dem Titel „Herakles unter den Arbeitern“ erschienen ist.
Besonders viele Anhänger hatte die ArbeiterInnen-Abstinentenbewegung in den Jugendorganisationen. Obmann der freigewerkschaftlichen Jugend war bis 1934 Anton Proksch, später ÖGB-Generalsekretär und von 1956 bis 1966 Sozialminister.
Er setzte einen Schwerpunkt bei der Hilfe für Suchtgefährdete und Suchtkranke und ermöglichte die Gründung des nach ihm benannten Anton-Proksch-Instituts.
Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at 

Von Brigitte Pellar

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 06/2011.

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