Seit der Gründung der Europäischen Union im Jahr 1957 kamen 22 Staaten zu den Gründungsmitgliedern Frankreich, Italien, Deutschland, Luxemburg, Belgien und den Niederlanden hinzu. Jeder europäische Staat kann eine Mitgliedschaft in der Union beantragen – unter der Voraussetzung, dass Grundsätze der Freiheit und Demokratie, die Menschenrechte sowie die Rechtsstaatlichkeit geachtet werden.
Kriterien von Kopenhagen
Wird ein Beitrittsgesuch eingereicht, setzt dies eine Reihe von EU-Beurteilungsverfahren im Gang. Dabei richten die Verfahren sich nach den sogenannten Kriterien von Kopenhagen: Festgelegte politische und wirtschaftliche Voraussetzungen sowie das Acquis-Kriterium – die Fähigkeit, aus der Mitgliedschaft entstehende Verpflichtungen zu übernehmen und die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion anzunehmen – müssen erfüllt werden. Außerdem muss die EU in der Lage sein, ein zusätzliches Mitglied aufzunehmen. Erst dann erhält das ansuchende Land einen Kandidatenstatus und kann mit den Beitrittsverhandlungen beginnen. Im Zuge dessen müssen die Kandidaten die Rechtsvorschriften der EU in nationales Recht umsetzen. Die letzte Hürde stellt die Unterzeichnung des sogenannten Beitrittsvertrages von allen gegenwärtigen EU-Mitgliedsstaaten sowie durch das Kandidatenland dar, unter der Voraussetzung, dass dieser Vertrag im Vorfeld vom EU-Parlament formal gebilligt wurde. Derzeit haben acht Länder den Status eines Beitrittskandidaten oder potenziellen Kandidaten mit Aussicht auf EU-Mitgliedschaft. Wie sieht jedoch aktuell der Status quo im Wartezimmer der EU aus?
Warten und warten lassen
In Island sind die Beitrittsverhandlungen momentan sprichwörtlich auf Eis gelegt. Grund dafür ist die im Mai 2013 neu gewählte Mitte-rechts-Regierung, die die Bevölkerung über einen EU-Beitritt abstimmen lassen möchte. Erst nach einem positiven Referendum sollen die seit 2009 laufenden Beitrittsgespräche wieder aufgenommen werden. Der nördlichste Staat Europas ist ein gebranntes Kind der Finanzkrise 2008, die die Wirtschaft des Landes aus den Angeln hob und den isländischen Staatshaushalt ins Wanken geraten ließ. Mehrere Banken wurden durch Verstaatlichungen vor einem Kollaps gerettet.
Obwohl die sozialdemokratische Regierung unter Jóhanna Sigurðardóttir durch eine erfolgreiche Wirtschaftssanierung und Stabilisierung des Staatshaushaltes Island wieder auf EU-Kurs bringen konnte, wandte sich der Großteil der öffentlichen Meinung gegen die EU. Sogar ein Beitritt zur Eurozone erscheint den Isländerinnen und Isländern laut aktuellen Umfragen immer weniger attraktiv. Die zusätzliche Furcht der InselbewohnerInnen vor dem Einziehen großer EU-Fangflotten in Islands Gewässer erscheint angesichts der wachsenden Skepsis fast noch als Randbemerkung. Ein baldiger EU-Beitritt ist daher nicht absehbar.
Warten auf Erdogan
Die Türkei ist das Sorgenkind des tschechischen EU-Erweiterungskommissars Štefan Füle – das Land am Bosporus sitzt seit seinem Beitrittsantrag am 1. April 1987 im EU-Wartezimmer, obwohl es bereits seit 1999 den Kandidatenstatus innehat. Dass die Verhandlungen immer wieder ins Stocken geraten oder teilweise gar zum Erliegen kommen, liegt am permanenten Widerstand der Türkei, das Zusatzprotokoll von Ankara zu ratifizieren, das für den Abschluss derzeit offener Verhandlungskapitel von wesentlicher Bedeutung ist. Das Zusatzprotokoll regelt die Erweiterung der Zollunion mit der Türkei auf die im Mai 2004 beigetretenen neuen EU-Mitglieder, darunter auch Zypern. Die Türkei, die seit 1974 den nördlichen Teil der Insel besetzt hält, weigert sich, Zypern als Staat anzuerkennen. Die Ratifizierung des Zusatzabkommens würde einer Anerkennung Zyperns gleichkommen, und die derzeitige Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan scheint diese Haltung vorläufig nicht zu ändern – auch wenn Erdoğan in letzter Zeit deutlich mildere Töne in der Zypern-Problematik anschlägt. Zudem verliert die Türkei momentan in puncto Demokratie und Rechtsstaat zunehmend an Glaubwürdigkeit. „Die Türkei ist ein wichtiger Partner für die EU, auch wenn sie derzeit weit von der Beitrittsreife entfernt ist“, sagt Oliver Röpke vom ÖGB-Europabüro in Brüssel. „Ein Beitritt würde aber auf absehbare Zeit auch die Aufnahmefähigkeit der EU sprengen. Dazu kommen massive Verletzungen von grundlegenden Gewerkschaftsrechten, die für die europäischen Gewerkschaften völlig inakzeptabel sind. Leider wurden in den letzten Jahren aber auch in einigen EU-Mitgliedsstaaten grundlegende soziale Rechte der ArbeitnehmerInnen verletzt. Die europäische Grundrechtecharta muss in jedem Land der Maßstab sein, an dem es gemessen wird, egal ob EU-Mitglied oder nicht.“
Vom ehemaligen Jugoslawien in die EU
Slowenien und Kroatien sind bereits Mitglieder – nun drängen auch die restlichen Staaten des ehemaligen Jugoslawien in die EU: Montenegro, Mazedonien und Serbien. Während Montenegro bereits 2010 Kandidatenstatus erlangte und die Verhandlungen seit 2012 im Gange sind, muss Mazedonien vorerst noch den seit 20 Jahren schwelenden Namenskonflikt mit Griechenland lösen. Athen ist es nach wie vor ein Dorn im Auge, dass Mazedonien einen ähnlichen Namen wie die nördliche griechische Provinz Makedonien beansprucht, und es blockiert daher eine Aufnahme der Beitrittsverhandlungen.
Für Serbien hingegen fiel Ende Jänner 2014 der Startschuss für die Beitrittsverhandlungen. Der serbische Premier Ivica Dacic hofft, dass sein Land im Jahr 2020 der EU beitreten kann. Laut EU-Kommission ist der Staat jedoch noch weit davon entfernt, die EU-Standards in puncto Rechtsstaatlichkeit sowie Bekämpfung von Korruption und organisiertem Verbrechen zu erfüllen. Denn Politik und organisierte Kriminalität sind weiterhin miteinander verflochten, der Kampf gegen die Korruption geht schleppend voran. Die wichtigste Bedingung der EU ist jedoch die Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo, der von den Serben nach wie vor nicht offiziell anerkannt wird.
Bosnien-Herzegowina und der Kosovo haben hingegen noch keine Mitgliedschaft beantragt. Während es in Bosnien und Herzegowina noch keine einheitliche Linie der Regierung zur EU-Politik gibt, hat der Kosovo mit schwerwiegenderen Problemen zu kämpfen: Er wird von Griechenland, Rumänien, der Slowakei, Spanien und Zypern noch nicht als eigener Staat anerkannt und muss zunächst diese Hürde überstehen, bis ein Beitrittsantrag eingereicht werden kann.
Albanien beantragte 2009 die Mitgliedschaft. Trotz Empfehlung der EU-Kommission im Oktober 2012, Albanien den Kandidatenstatus zu gewähren und die Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, muss Albanien aufgrund des Widerstands einiger EU-Länder in Warteposition verharren. Die EU lobte zwar die Fortschritte bei der Reformierung der Justiz und der öffentlichen Verwaltung, fordert allerdings verschärfte Vorgehensweisen gegen Korruption und organisierte Kriminalität.
Soziales Europa in weiter Ferne
Nicht nur Albanien, sondern alle – potenziellen – EU-Anwärter haben noch einen langen Weg vor sich. Jedes Land hat stark zu kämpfen – hauptsächlich mit sich selbst. Das EU-Wartezimmer wird daher noch einige Jahre besetzt sein. Aber auch die Union wäre durchaus gut beraten, die Erweiterungsprozesse zu entschleunigen. „Die EU befindet sich nicht nur wirtschaftlich und sozial in einer tiefen Krise, sondern auch politisch“, sagt Röpke. „Das Niveau der sozialen Standards und Löhne ist innerhalb der EU extrem unterschiedlich. Deshalb wird es immer schwieriger, in der EU hohe soziale Mindeststandards zu vereinbaren, die für alle ArbeitnehmerInnen einen Fortschritt bedeuten. Die rasche Aufnahme neuer Kandidaten würde bei den derzeitigen Strukturen noch mehr Stillstand bedeuten, das soziale Europa rückt in immer weitere Ferne.“
Homepage der EU-Kommission zur EU-Erweiterung:
ec.europa.eu/enlargement
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Von Maja Nizamov, Freie Journalistin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/14.
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