Der Filmregisseur Oliver Stone nennt ihn einen großen Mann, Supermodel Naomi Campbell reist eigens nach Venezuela um ihn zu interviewen und kennenzulernen und beschreibt ihn als »Engelsrebellen«. Die Frankfurter Rundschau bezeichnet ihn nach seiner Beteiligung an der Befreiung dreier Geiseln in Kolumbien als einen »Friedenstifter und Gutmenschen«. Für US-Präsident George Bush steht er für die »Achse der Subversion« zwischen Kuba und Venezuela, und das britische Magazin »The Economist« freute sich im Dezember 2007 über »den Anfang vom Ende des Hugo Chávez«.
Popstar Hugo Chávez
Man kann den populistischen Präsidenten Venezuelas Hugo Chávez lieben oder hassen. Seine Sozialprogramme loben oder sich über seine rhetorischen Entgleisungen und seine unpassende Allianz mit dem iranischen Präsidenten Mahmūd Ahmadī-Nežād empören. Eines steht jedoch zweifelsfrei fest. Hugo Chávez ist im Moment der Popstar unter den lateinamerikanischen Staatsoberhäuptern. Er versteht es ausgezeichnet, die Öffentlichkeit in seinen Bann zu ziehen und symbolisiert für KritikerInnen und AnhängerInnen den Linksruck in Lateinamerika. Eric Hershberg und Fred Rosen nennen ihn in ihrem Buch »Latin America after Neoliberalism« »den unverfrorenen Rebellen und Radikalen«, der mit seiner antiimperialistischen Rhetorik und konsequenten Süd-Süd-Solidarität den Spielraum für alle vergrößert habe.
1999 wurde der ehemalige Putschist gegen die Militärdiktatur, Hugo Chávez, zum Präsidenten von Venezuela gewählt. Er propagierte einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts und läutete den Wandel im südlichen Amerika ein. 2002 siegte der Arbeiterführer und Gewerkschafter Luiz Inácio Lula da Silva bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien. Im selben Jahr übernahm der Linksperonist Nestor Kirchner die Präsidentschaft in Argentinien. 2007 wurde seine Frau Cristina Fernández de Kirchner zur Präsidentin gewählt. Sie hat angekündigt seine Politik fortzusetzen.
In Uruquay siegte 2004 der Kandidat der Linken Tabaré Vázquez und in Chile 2006 die Sozialistin Michelle Bachelet. In Nicaragua kamen 2006 mit Daniel Ortega zum ersten Mal seit 16 Jahren wieder die Sandinisten an die Regierung. Im Dezember 2006 übernahm der ehemalige Kokabauer und Sozialist Evo Morales als erster Indigener die Präsidentschaft in Bolivien. Und seit Jänner 2007 hat auch Ecuador einen linken Präsidenten: den Wirtschaftswissenschafter Rafael Correa. Um diese aktuelle Entwicklung besser nachvollziehen zu können, lohnt es sich, einen Blick auf die jüngere Geschichte des lateinamerikanischen Kontinents zu werfen.
Industrialisierung
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Ausbruch der Schuldenkrise in den Achtzigerjahren verzeichneten die meisten lateinamerikanischen Staaten ein beachtliches Wirtschaftswachstum von konstant über fünf Prozent – mit einer Politik, die auf wirtschaftlichem Protektionismus und öffentlichen Investitionen beruhte. In dieser Phase der sogenannten importsubstituierenden Industrialisierung wurden auch die Sozialsysteme ausgebaut.
Letztlich waren diese Verbesserungen aber partiell und die soziale Ungleichheit in Lateinamerika blieb eine der höchsten der Welt. Politisch war diese Zeitspanne gekennzeichnet durch relative Unsicherheit und einen Wechsel zwischen Phasen der Demokratie und – oft von den USA unterstützten – brutalen Militärdiktaturen. In der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs liehen sich viele Staaten Lateinamerikas große Summen von internationalen Gläubigern. Von 1975 bis 1983 vervierfachte sich so die Auslandsverschuldung des lateinamerikanischen Kontinents. Als schließlich die Weltwirtschaft in eine Rezession geriet, wurde klar, dass die meisten Länder keine Chance hatten, diese Schulden jemals zu begleichen.
Washington Consensus
Die unmittelbare Folge der Krise war nicht nur ein Einbruch beim Wirtschaftswachstum, sondern auch eine Kehrtwende bei der wirtschaftlichen Entwicklungsstrategie. Diskreditiert waren zudem die mit der importsubstituierenden Industrialisierung verknüpften Regime. Insofern trug die Schuldenkrise dazu bei, die Diktaturen in der Region zu Fall zu bringen. Die Krise hatte die hoch verschuldeten Länder jedoch auch unter Zugzwang
und in Abhängigkeit der vor allem von den USA dominierten internationalen Finanzinstitutionen gebracht.
Beinharte neoliberale Reformen, die auf den Abbau von Subventionen, Marktöffnung, Privatisierungen und Haushaltsdisziplin setzten, wurden in die Wege geleitet. Anhänger dieses »Washington Consensus« versprachen, dass diese »unvermeidlichen Einschnitte« nicht nur zu mehr wirtschaftlicher Stabilität führen, sondern letztlich auch die Armut reduzieren würden. Tatsächlich war die Folge dieser Politik jedoch ein weitgehender Abbau der ohnehin schwach ausgebauten sozialen Sicherungssysteme und der öffentlichen Versorgung. Obwohl sich die soziale Lage vieler Menschen immer weiter verschlechterte, glaubten die AnhängerInnen des Washington Consensus weiter an eine Alternativenlosigkeit ihrer Politik.
Die Linkswende
Ende der Neunzigerjahre war schließlich offensichtlich, dass die neoliberale Strategie niemals aufgehen würde. Das Wirtschaftswachstum war stark zurückgegangen (zwischen 1,0 und 3,2 Prozent), während der Prozentsatz jener Menschen, die in absoluter Armut lebten, konstant bei 40 Prozent geblieben war. Nachdem schließlich 2001 der neoliberale Musterschüler Argentinien den Staatsbankrott erklären musste, war der Druck der Opposition bereits so stark, dass die Zeit für einen Wechsel mehr als reif war. Massenproteste wie in Bolivien, Argentinien und Ecuador führten in den vergangenen Jahren wiederholt zu Rücktritten und vorgezogenen Neuwahlen und haben Regierungen an die Macht gebracht, die sich wie die von Evo Morales in Bolivien mehr auf soziale Bewegungen als auf klassische politische Parteien stützen.
Gemeinsam ist all diesen Regierungen, dass sie sich großen Erwartungen gegenübersehen. Die politisierten Massen, die für einen Umbruch auf die Barrikaden gegangen sind und die sozialen Bewegungen, die ihre Wahl unterstützt haben, erwarten sich viel. Koalitionen waren geschlossen worden, um den Wahlsieg zu erringen und diese gilt es nun zusammenzuhalten.
Dafür setzt die neue Linke auf eine aktivere Rolle des Staates, mehr Regulierung für die Wirtschaft, verstärkte Partizipation jener Bewegungen, die sie unterstützt haben, und Armutsbekämpfung. Außenpolitisch hat sich die neue Linke tendenziell von den USA distanziert. Statt auf die von den USA forcierte Freihandelszone von Alaska bis Feuerland baut sie auf regionale Integration.
Neues Selbstbewusstsein
Und der Erfolg scheint ihr Recht zu geben. Das Wirtschaftswachstum in Lateinamerika ist mit 5,6 Prozent derzeit so hoch wie schon lange nicht und laut der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) schafften 2006 etwa 14 Millionen Menschen den Sprung über die Armutsgrenze. Eines nach dem andern haben die ehemals in Geiselhaft des Internationalen Währungsfonds befindlichen Länder ihre Schulden zurückbezahlt.
Seither wetteifern vor allem Brasilien und Venezuela mit Initiativen zur regionalen Integration und Kooperation um eine Vormachtstellung in Lateinamerika.
Damit sind die Probleme des Kontinents noch lange nicht gelöst. Nach wie vor ist in Lateinamerika das Gefälle zwischen Arm und Reich so hoch wie nirgendwo sonst auf der Welt. Der Rückgang der Armut ist nicht nur den Sozialprogrammen zu verdanken, sondern auch den hohen Ölpreisen und der großen Nachfrage nach Rohstoffen und Agrarprodukten. Viele dringend nötige Reformen, wie etwa die Landreform in Brasilien, lassen seit Jahren auf sich warten. Gerade in Brasilien vergeht kein Tag, an dem nicht enttäuschte AnhängerInnen gegen die lange ersehnte, linke Regierung protestieren, die sie vor kurzem noch unterstützt haben. Und auch in Bolivien läuft der Wandel alles andere als reibungslos. Der bolivianische Präsident Morales kann sich zwar noch der Unterstützung seiner Basis sicher sein. Die Opposition bekämpft aber jeden seiner Reformschritte und droht das Land zu spalten.
Keine Frage, hier gibt es noch viel zu tun, um den Aufschwung nachhaltig zu machen. Wichtig für die Menschen in Lateinamerika ist aber, dass Alternativen erkennbar werden: Dass erstmals die Früchte des wirtschaftlichen Erfolgs stärker verteilt werden. Dass wirtschaftspolitische Entscheidungen plötzlich auch umkehrbar sind, und dass erstmals Menschen politisches Gewicht erhalten, die bisher nie gehört wurden.
Und der Spielraum hat sich tatsächlich erweitert: Völlig undenkbar noch vor wenigen Jahren, dass der neu gewählte ecuadorianische Präsident Correa entgegen aller Warnungen einen Freihandelsvertrag mit den USA einfach aufkündigt. Oder, dass mit der Kokabäuerin Silvia Lazarte eine indigene Frau Präsidentin des bolivianischen Verfassungskonvents wird, in einem Land, in dem bisher alle Macht in den Händen einer kleinen, natürlich weißen Elite lag.
All das gibt dem Kontinent ein neues Selbstbewusstsein und lässt vorsichtig optimistisch in die Zukunft blicken. Laut Latinobarómetro, einem chilenischen Umfrageinstitut, das seit 1995 regelmäßig die Meinung der LateinamerikanerInnen erhebt, schätzen übrigens die VenezolanerInnen ihre Zukunft am positivsten ein.
WEBLINKS
Internetlexikon Wikipedia zu Lateinamerika
de.wikipedia.org/wiki/Lateinamerika
Lateinamerika-Institut
www.lai.at/
Österreichs Zeitschrift zu Lateinamerika und der Karibik
www.lateinamerika-anders.org/
GIGA Focus Lateinamerika
www.giga-hamburg.de/index.php?file=gf_lateinamerika.html&folder=publikationen
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Von Mag. Lucia Bauer (Büro des Vorsitzenden GPA-DJP)
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