Arbeitslosigkeit abbauen oder Nulldefizit?

Über sieben Millionen Arbeitsplätze fehlen in Deutschland. Von den noch Beschäftigten werden immer höhere Leistungen abverlangt. In zunehmendem Maße geht die Angst um.

Vor der Zukunft, vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Zentraler Grund für die seit Jahren bestehende wirtschaftliche Schwächephase ist die stagnierende Binnennachfrage.

Verursacht durch staatliche »Sparhaushalte« und immer massiveren Druck auf die Einkommen. Letzteres mit der Begründung der notwendigen Wiederherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit – dabei ist Deutschland Exportweltmeister.

Wie soll die Wirtschaft angekurbelt werden?

Zwar kündigen die Regierungspartner ein Investitionsprogramm an, mit dem sie die Konjunktur anregen wollen. Ob der Umfang allerdings ausreichend ist, wird sich im Laufe der Entwicklung zeigen müssen. Die geplanten 25 Milliarden Euro Investitionsausgaben sollen auf vier Jahre verteilt werden. So bleiben pro Jahr nur sechs Milliarden Euro übrig. Zieht man von diesen noch einmal die ohnehin geplanten Investitionen ab, bleibt von dem angekündigten Aufbruch nicht mehr viel übrig.

So gibt es zwar Verabredungen für den Ausbau der Verkehrstechnik, zur steuerlichen Absetzbarkeit von haushaltsbezogenen Handwerksleistungen und Kinderbetreuungskosten, zur energetischen Gebäudesanierung sowie Finanzzusagen im Rahmen des Aufbau Ost und für Forschungsinvestitionen. Doch im Vergleich mit staatlicher Investitionspolitik anderer EU-Staaten ist es noch viel zu wenig.

Kaufkraftentzug

Dazu kommt ein Kaufkraftentzug bei RentnerInnen, Erwerbslosen und ArbeitnehmerInnen, denn:

  • Die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist gerade in einer wirtschaftlichen Stagnation falsch. Sie führt zu höheren Preisen und damit einem geringeren verfügbaren Einkommen.
  • Die Nullrunden bei den Renten und die Einführung der Rente mit 67 ab 2011 führen zu weiteren Verlusten für heutige und künftige Rentner.
  • Die »Reichensteuer«, die Schließung der Steuersparfonds und die Versteuerung der Veräußerungsgewinne bringen drei Milliarden Euro. Aber die Kürzungen des Arbeitslosengelds II sind größer als die Zusatzbelastungen für die Großverdiener.
  • Pläne, bei den Beamten die Arbeitszeit zu verlängern und bei der Besoldung und Versorgung einzusparen, sind für die Konjunktur und den Arbeitsmarkt schädlich.
  • Die Lockerung des Kündigungsschutzes und seine Beseitigung in den ersten beiden Jahren (kündbar zum jeweils nächsten Monatsende) verunsichern die Beschäftigten. Arbeitsplätze werden damit nicht geschaffen. Künftig kann bei Einstellungen eine Probezeit von bis zu 24 Monaten vereinbart werden.

»Stellen Sie sich vor, irgendwann in den zwei Jahren werden Sie mal krank«, sagt Mirjam Alex, Arbeitsrechtlerin bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Berlin.

»Was machen Sie, wenn Sie wissen, Sie können jeden Tag entlassen werden? Sie werfen ein paar Aspirin ein und hoffen auf das Wochenende.«

  • Zum Koalitionsvertrag gehört auch die Idee des Kombilohns. Damit soll die Beschäftigung gering Qualifizierter unterstützt werden.

Die Arbeitslosenquote von Ungelernten liegt bei 25 Prozent (im Osten sogar 51 Prozent), während sie unter Akademikern gerade vier Prozent beträgt. Wenn Kombi-Lohnmodelle allerdings nicht zielgruppengerecht geschneidert (z. B. Reintegration junger und älterer Langzeitarbeitsloser) und von der Dauer befristet sind (z. B. ein Jahr), dann können Verdrängungseffekte entstehen. Solche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sind nur für Übergangsarbeitsmärkte zu nutzen und nicht zum Aufmachen des Niedriglohnsektors.

Faktum ist, dass die deutschen Koalitionspartner über eine Kombination
aus Einsparungen und Einnahmeverbesserungen den Staatshaushalt so konsolidieren wollen, dass das Defizitkriterium des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes eingehalten wird.

Allerdings wurde dafür eine Synthese gewählt, die noch viel zu sehr von der Vorstellung geprägt ist, man könne sich aus der Krise heraussparen, statt aus ihr herauswachsen zu wollen.

Was wäre finanzpolitisch richtiger?

Auf kurze Sicht müsste das Wachstum stärker gefördert werden. Dafür kann eine höhere Neuverschuldung in Kauf genommen werden. Dies könnte über eine außerbudgetäre Bilanzierung von strategischen Investitionen in Straße, Schiene, Bildung, Forschung und Entwicklung erfolgen. Österreich hat dies erfolgreich mit seinen ASFINAG-Investitionen gemacht und EUROSTAT hat dies akzeptiert. Darüber hinaus müsste in Deutschland das Kapital mehr zur Verantwortung gezogen werden. Dies könnte durch eine höhere Besteuerung des Kapitals über Vermögen, große Erbschaften, Unternehmensgewinne und Börsenumsätze erfolgen. In Zeiten einer wirtschaftlich schwierigen Situation müssen starke Schultern mehr tragen als die schwachen.

Gibt es für die Gewerkschaften etwas Positives an dieser Koalition?

Ein Kampf hat sich für die deutschen Gewerkschaften allerdings ausgezahlt: Die Verhinderung einer konservativen politischen Mehrheit in Deutschland rettete sie vor dem politischen Anschlag auf die Tarifautonomie, die Mitbestimmung der Beschäftigten auf Unternehmensebene sowie auf die Beteiligungsrechte der Beschäftigten auf europäischer Ebene, wie z. B. Eurobetriebsräte oder Europäische Aktiengesellschaft.

Eine Verschlechterung des Betriebsverfassungsgesetzes ist ebenfalls nicht vorgesehen.

Auch in der Familienpolitik gibt es soziale Akzente: Die Einführung eines einkommensabhängigen Elterngeldes ab 2007 und der Ausbau der Kinderbetreuung sind weitere Schritte zu mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Last but not least, ein heftig umstrittenes Thema in Deutschland: der Atomausstieg. Hier hat sich die SPD standhaft gehalten und hat der Atompartei CDU die Fortsetzung des Ausstiegs aus der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung abgerungen. Darüber hinaus soll ein sichereres nationales Endlager für radioaktive Abfälle gebaut werden. Eine echte Alternative zu Gorleben.

Wie viel Mut der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD »Gemeinsam für Deutschland, mit Mut und Menschlichkeit« wirklich haben wird, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Aber eines ist heute schon klar. Ihr Schicksal hängt von der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ab und nicht von einem Nulldefizit.

Auch wenn Finanzminister Grasser vor kurzem in einer deutschen Talk-Show unserem Nachbarn wieder einmal verklickern wollte, der wirtschaftspolitische Erfolg Österreichs hätte auch damit zu tun.

Von Ortrun Gauper – Politische Sekretärin des GPA-Vorsitzenden

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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