Arbeitslosenunterstützung

Die Notwendigkeit gesellschaftlicher Solidarität mit Arbeitslosen als demokratische Grundforderung war eines der zentralen Ergebnisse der Studie »Die Arbeitslosen von Marienthal«, die ein junges Forscherteam 1933 veröffentlichte. Der erste Bericht darüber außerhalb der Wissenschaftsszene erschien im Juli 1933 in »Arbeit und Wirtschaft«, verfasst von der Volkswirtschaftsexpertin und AK-Frauenreferentin Käthe Leichter. Sie schrieb unter anderem:

Die Arbeitslosigkeit ist heute das große zentrale Problem, das das Denken und Handeln der Gewerkschaften beeinflusst. Umso wichtiger jeder Versuch, die Arbeitslosigkeit und ihre Folgen mit wissenschaftlichen Erhebungsmethoden zu untersuchen. … Es ist die langdauernde Arbeitslosigkeit, deren Auswirkungen wir hier sehen. … Die(se) Zustände … ändern sich ständig zum Schlechteren. Sie müssen sich ändern, denn mit der Zeit wird die Arbeitslosenunterstützung von der Notstandsaushilfe abgelöst, bis auch diese einmal eingestellt wird. Das Inventar verschlechtert sich ständig. Neuanschaffungen und Reparaturen erfolgen nicht mehr. Von jedem Schilling mehr oder weniger an Unterstützung hängen aber nicht nur Ernährung und Kleidung, hängt auch die ganze Einstellung des Arbeitslosen zum Leben ab. Ein Versuch, die (oben gezeigten) Haltungsgruppen mit dem persönlichen Monatseinkommen zu vergleichen, ergibt im Durchschnitt:

In der Gruppe Betrag in Schilling
Ungebrochen                 34
Resigniert                      30
Verzweifelt                     23
Apathisch                      19

Versteht man jetzt, was der Kampf um die Arbeitslosenunterstützung bedeutet? »Schon eine Differenz von monatlich 5 S heißt, nur mehr mit Sacharin kochen zu können oder doch noch Zucker verwenden; die Schuhe in Reparatur geben zu können, oder die Kinder von der Schule zu Hause lassen zu müssen, weil sie nichts mehr an den Füßen haben; … 5 Schilling auf oder ab, das bedeutet die Zugehörigkeit zu einer anderen Lebensform.«

Käthe Leichter wurde Opfer des nationalsozialistischen Terrors. Maria Jahoda, eine der AutorInnen der Marienthal-Studie, entkam nach Großbritannien. Als Universitätsprofessorin von internationalem Ruf erinnerte sie in einem Fernsehinterview 1973 an die großen Fortschritte durch den Sozialstaat, warnte aber gleichzeitig davor, das Problem Arbeitslosigkeit auf die leichte Schulter zu nehmen:

Es hat sich im letzten halben Jahrhundert ungeheuer viel in der Welt verändert – für Arbeitende, für Arbeitslose und für die ganze Gesellschaft. Der wichtigste Zusammenhang ist, dass sich die Lebenshaltung aller Menschen, auch der Arbeitslosen, verbessert hat – obwohl es natürlich noch immer ein schreckliches finanzielles Problem für den einzelnen ist, die Arbeit zu verlieren. … Die Gewerkschaften und die Arbeiterparteien haben viel dazu beigetragen, das zustande zu bringen. Das wichtigste Resultat aber ist, dass es trotz dieser verbesserten Lebensbedingungen psychologisch genauso unerträglich ist, arbeitslos zu sein, wie es in den dreißiger Jahren war.

Zusammengestellt und kommentiert von Dr. Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

Von

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 12/2009.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.