Argentinien: unsozialer Sparkurs
Seit seinem Amtsantritt im November 2023 verfolgt Milei einen rigorosen Umbau des Staates. Ministerien wurden zusammengelegt, Subventionen für Energie und Lebensmittel gekürzt, Zahlungen an die Provinzen eingefroren, und Zehntausende öffentlich Bedienstete verloren ihre Jobs. Proteste werden mittlerweile kriminalisiert, Sicherheitskräfte unterdrücken gewerkschaftliche Aktionen, und Gesetze zum Arbeitnehmer:innenschutz wurden per Dekret außer Kraft gesetzt.
Die Menschen können sich kaum noch Fleisch leisten,
was in Argentinien symbolisch enorm viel bedeutet.
Marcus Strohmeier,
internationaler Sekretär des ÖGB
Aus Sicht der Regierung zeigen die radikalen Einsparungen erste Erfolge: Argentinien erzielte 2024 erstmals seit 2010 einen Haushaltsüberschuss. Die Inflationsrate wurde fast halbiert, ist jedoch mit 118 Prozent immer noch eine der höchsten weltweit. Doch die sozialen Kollateralschäden sind enorm.
Dramatischer Reallohnverlust
Laut offiziellen Angaben des nationalen Statistikamts INDEC wurden zwischen November 2023 und Oktober 2024 über 65.000 Beschäftigte entlassen. „Diese Zahl dürfte aber stark untertrieben sein“, sagt Marta Scarpato vom argentinischen Gewerkschaftsbund Central de Trabajadores de la Argentina (CTA). Die Arbeitslosigkeit ist auf acht Prozent gestiegen, während etwa die Hälfte der Erwerbstätigen im informellen Sektor ohne soziale Absicherung arbeitet. Im kommenden Jahr wird ein weiterer Anstieg erwartet.
Hinzu kommt ein dramatischer Reallohnverlust: Allein von Oktober bis November 2024 sanken die Löhne um 15 Prozent. „Die Menschen können sich kaum noch Fleisch leisten, was in Argentinien symbolisch enorm viel bedeutet“, berichtet Marcus Strohmeier, internationaler Sekretär des ÖGB, der im Dezember die Gewerkschaften in Argentinien besuchte. Viele Menschen hätten zwei oder drei Jobs, um sich das Leben noch leisten zu können.
Geschichte gestrichen
Die Einschnitte im öffentlichen Budget treffen auch Bereiche, die tief mit der Geschichte des Landes verbunden sind. So wurden Gedenkstätten wie der ESMA in Buenos Aires, einst das größte Folterzentrum der Militärdiktatur (1976–1983), die finanziellen Mittel gestrichen. „Da geht es nicht nur um Wirtschaftsliberalismus, sondern auch um Geschichtsrevisionismus“, warnt Strohmeier.
Ganz schön turbulent waren die vergangenen Wochen in der benachbarten Slowakei. Tausende gingen auf die Straße, um gegen den prorussischen Kurs ihrer Regierung zu protestieren. 📢
Für Ministerpräsident Robert Fico wird es zunehmend eng. 👇
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 25. März 2025 um 16:01
Auch Gewerkschafterin Scarpato zeigt sich besorgt: „Milei propagierte bereits im Wahlkampf eine Rückkehr zum angeblichen goldenen Zeitalter Argentiniens Anfang des 20. Jahrhunderts.“ Diese Zeit sei jedoch von massiver sozialer Ungleichheit, Entrechtung der Bevölkerung und gewaltsamer Unterdrückung geprägt gewesen. Gewerkschaften waren damals illegal.
Dennoch gebe es Hoffnungsschimmer. Die Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft mobilisierten Tausende Menschen, um gegen die Sparpolitik Mileis zu protestieren. Einige Vorhaben wurden daraufhin abgeschwächt. Auch die Parlamentswahlen im Oktober 2025 könnten Mileis Macht beschränken. Wenn sein Bündnis in keiner der Kammern eine Mehrheit schafft, verlieren die Präsidialdekrete ihre Gültigkeit.
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