Arbeitsmarktpolitik: Sparen an der falschen Stelle

Portrait von Heinz Rammel, Zentralbeitriebsrat des AMS. Im Gespräch über die Arbeitsmarktpolitik und das Budget 2023.
„Es ist eine Fehleinschätzung, jetzt Stellen abzubauen, weil die Arbeitslosenzahlen niedrig sind“, so Heinz Rammel, Zentralbeitriebsrat des AMS. | © Markus Zahradnik
© Markus Zahradnik
Eine aktive Arbeitsmarktpolitik hilft Arbeitslosen und Unternehmen. Die Regierung spart damit sogar Geld. Doch Studienergebnisse werden nicht umgesetzt, Mittel sogar gekürzt. Nachhaltige Lösungen sehen anders aus.
Es könnte so einfach sein, denn alle wollen das Gleiche. Beschäftige und Firmen, Arbeitslose und das AMS, Regierung und Sozialpartner. Alle wollen, dass möglichst wenig Geld an Menschen ohne Beschäftigung gezahlt werden muss, weil möglichst viele eine feste Anstellung haben. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner der Arbeitsmarktpolitik. Der Weg zu diesem Ziel ist aber Gegenstand heftigster Streitereien. Keine Regierung, die sich nicht an einer Reform der Arbeitsmarktpolitik in der einen oder anderen Form versucht hätte. Keine Reform der Arbeitsmarktpolitik, die nicht weit unter ihren Möglichkeiten geblieben wäre. Jetzt belasten multiple Krisen die Gesellschaft – von der Klimakatastrophe über die Inflation bis hin zur Energiekrise. Und wieder soll an der Arbeitsmarktpolitik gespart werden. Die Opfer stehen schon fest.

Voreilige Freude bei der Arbeitsmarktpolitik

Grundsätzlich gibt es Grund zur Freude. Die Arbeitslosenzahlen im Oktober 2022 waren die niedrigsten seit 14 Jahren. 319.000 Menschen waren als arbeitslos gemeldet oder in Schulungen. „Es ist eine Fehleinschätzung, jetzt Stellen abzubauen, weil die Arbeitslosenzahlen niedrig sind. Die Forschungsinstitute prognostizieren, dass das Wirtschaftswachstum nicht weitergeht. Die Teuerungswelle wird nicht aufhören, der Krieg in der Ukraine wird nicht plötzlich enden, und die Energiekrise ist auch noch nicht gelöst. Und wenn der Konsum einbricht, steigt die Arbeitslosigkeit“, prognostiziert Heinz Rammel. Er ist Vorsitzender des Zentralbetriebsrats des AMS.

Eine Niederlassung des AMS in Österreich. Symbolbild für das AMS-Zwischenparken und die Arbeitsmarktpolitik im Budget 2023.
Für eine aktive Arbeitsmarktpolitik braucht das AMS entsprechende Mittel. | © Adobe Stock/ZIHE

Er geht damit auf den Plan von Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) ein, der 250 Planstellen beim AMS streichen möchte. Hintergrund ist, dass mit Ausbruch der Pandemie 2.050 zusätzliche Stellen geschaffen wurden, um den Andrang bewältigen zu können. Eine Streichung von Stellen setzt jedoch voraus, dass die wirtschaftliche Erholung nachhaltig ist. „Wenn ich jetzt Personal abbaue, sich aber im März herausstellt, dass die Krise doch nicht vorbei ist, brauche ich ein Jahr Zeit, bis neue Angestellte zum:zur Berater:in ausgebildet sind“, mahnt Rammel.

Gerade weil derzeit so wenig Menschen arbeitslos gemeldet sind, würde das kommende Budget die Chance für eine nachhaltige Verbesserung bieten. „Wir haben eine große Masse an Langzeitarbeitslosen – und eine Gruppe Arbeitsloser, die älter sind als 50 Jahre. Diese Personen zu vermitteln ist ein Knochenjob, dafür braucht es Berater:innen und Zeit“, sagt Rammel. Und weiter: „Wir haben 30 Minuten pro Arbeitlose:n an Beratungszeit pro Monat eingeplant. Weitet man die Zeit auf eine Stunde aus, brauche ich 1.300 Angestellte mehr. Wenn wir einen Beratungsschlüssel wollen, bei dem ein:e Berater:in weniger als hundert Arbeitslose betreuen muss, brauche ich noch mal 1.300 Leute mehr.“

Es fehlt an Mitteln für aktive Arbeitsmarktpolitik

Für das AMS ist eine entsprechende Aufstockung längst überfällig. Die Einrichtung gehört aktuell zu den effizientesten in Europa: Rund 6.300 Menschen arbeiten dort. Würde das deutsche Pendant – die Bundesagentur für Arbeit – genauso arbeiten, wären dort nur rund 63.000 Menschen tätig. Es sind aber fast doppelt so viele.

Das AMS hat im Jahr 2017 einen Versuch gestartet, den das WIFO begleitet hat. In Linz und Wien wurden jeweils zwei identische Abteilungen – was Aufgaben und Besetzung anging – gesucht. Je eine davon bekam doppelt so viele Mitarbeiter:innen. Das Ergebnis war, dass die jeweils stärker besetzte Abteilung durch bessere Arbeit Kosten einsparen konnte. „Wenn man das Ziel hat, weniger Leistungen auszahlen zu müssen und mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen, dann muss das AMS mehr Geld für Personal zur Verfügung haben. Das ist klar, das haben Studien gezeigt. Es passiert nur nicht, und das ist unverständlich“, fasst Rammel das Ergebnis zusammen.

Es ist notwendig, mehr zu tun.
Es braucht eine strategische Ausrichtung
des AMS zur Unterstützung der Klimaziele
und Beschäftigungsprogramme für
Menschen, die arbeitslos sind. 

Silvia Hofbauer, Arbeitsmarktexpertin, AK Wien

Das hätte nicht nur Vorteile für das Budget und die arbeitslosen Menschen, sondern auch für die Arbeitgeber:innen, glaubt Silvia Hofbauer. Sie ist Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der Arbeiterkammer Wien. „Wenn man perspektivisch denkt, braucht man deutlich mehr Personal. Denn mehr Personal bedeutet eine bessere Betreuung, und zwar sowohl für Arbeitnehmer:innen als auch für Arbeitgeber:innen. So kann kompetenzorientiert vermittelt werden.“ So müssten beispielsweise nicht immer arbeitslose Menschen gesucht werden, die hundertprozentig auf eine offene Stelle passen. Bei intensiveren Gesprächen könnte herauskommen, dass bestimmte fehlende Qualifikationen durch eine gezielte Schulung erlernt werden könnten.

Falsches Sparen

Doch die Regierung spart im neuen Budget an Aus- und Weiterbildung. Dabei müsste sie gerade hier mehr Geld zur Verfügung stellen. „Wir wissen aus Beratung und Studien, dass Ausbildungen nicht angetreten werden, weil die Menschen sie sich nicht leisten können. Es braucht eine bessere existenzielle Absicherung für Aus- und Weiterbildung.“

Auch für Hofbauer kommt das sinkende Budget der Arbeitsmarktpolitik zur Unzeit, denn gerade jetzt müsste ein Transformationsprozess angestoßen werden. „Was unbedingt notwendig ist angesichts der Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt wie Klimawandel und Digitalisierung, sind langfristige Qualifizierungsmaßnahmen mit mehr finanziellen Mitteln.“

Ausgerechnet die langfristige Planung dürfte aber zum Problem werden. Aktuell ist wegen des Kriegs in der Ukraine der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU außer Kraft gesetzt. Im Jahr 2024 soll er wieder gelten. Dann müssten die Nationalstaaten wieder vorsichtiger mit Schuldenaufnahmen sein. Umso wichtiger wäre es, frühzeitig mit dem Umbau zu beginnen, denn die Forderungen sind klar. Hofbauer: „Es ist notwendig, mehr zu tun. Es braucht mehr Qualifizierungen für Arbeitslose und Beschäftigte. Es braucht eine strategische Ausrichtung des AMS zur Unterstützung der Klimaziele. Es braucht existenzsichernde und armutsfeste Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung – und Beschäftigungsprogramme für Menschen, die arbeitslos sind.“

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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