Wie wir arbeiten wollen

Eine Frau mit Schutzbrille arbeitet an einem Auto. Symbolbild für den Arbeitsmarkt.
Die Zeichen stehen auf Veränderung. Auch für den Arbeitsmarkt. | © InputUX
Der Arbeitsmarkt ist im Umbruch. Die stärksten Treiber sind dabei die Klimaziele und die Dekarbonisierung der Wirtschaft. Wenn sich ohnehin alles ändert, ist aber auch vieles möglich. Daher ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um einzufordern, wie wir künftig arbeiten wollen.
Der Begriff „Zeitenwende“ wurde 2022 zum Wort des Jahres gekürt, hat aber das Zeug dazu, eine ganze Ära zu beschreiben: Inflation, Wohlstandsverlust, Krieg in Europa – und zudem eine globale Klimakrise, die der Menschheit tiefgreifende Veränderungen auf allen Ebenen, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, abverlangen wird. Die Ausgangslage für die von Pandemie und Turboinflation krisenmüden Arbeitnehmer:innen wäre prekär, würde da nicht die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften auf der Habenseite stehen.

Wandel mit Wucht

Der Umbruch kommt nicht morgen, wir sind bereits mittendrin, auch wenn das viele noch nicht realisiert haben. Umso wichtiger ist es, diesen Wandel mitzugestalten, denn jede Veränderung bietet auch Chancen. Das mag wie ein Spruch fürs neoliberale Poesiealbum klingen, doch es ist schon etwas dran – auch wenn neue Möglichkeiten nicht immer gleich ersichtlich sind. Hinzu kommt: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und Veränderung macht ihm wenig Freude. Aber wenn sich ohnehin alles ändert, der Wandel mit voller Wucht durch Wirtschaft und Gesellschaft fegt, wird auch vieles möglich. Wann also, wenn nicht jetzt, die Bedingungen einfordern, unter denen wir künftig arbeiten wollen?

Im Kern geht es darum,
wie die Dekarbonisierung der Wirtschaft
gelingt und wie dies sozial gerecht
gestaltet werden kann.

Jonas Langen, ÖGB

Klima macht Krise am Arbeitsmarkt

Tauchen wir also ein in den Strukturwandel samt seinen Chancen und Risiken für Arbeitnehmer:innen. Den Auftakt macht das Jahrhundertprojekt der Menschheit: das Überleben der Klimakrise. Klimaziele und Dekarbonisierung verändern Wirtschaft, Arbeits- und Lebenssituation der Menschen tiefgreifend. Die Klimaziele sind also oberstes Gebot. „Es gibt keine Jobs auf einem toten Planeten“, bringt es Jonas Langen vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) auf den Punkt. „Im Kern geht es darum, wie die Dekarbonisierung der Wirtschaft gelingt und wie dies sozial gerecht gestaltet werden kann.“

Es brauche dringend eine übergeordnete Institution, eine „Just-Transition-Agentur“, die die Dekarbonisierung der Betriebe begleitet, fordert Jonas Langen. | © Markus Zahradnik

Der Umbau fossiler Geschäftsmodelle geht weit über die umweltpolitische Reduktion von Emissionen hinaus. Es ist das große Thema, das die Wirtschaft umtreibt. Besonders stark betroffen sind die verarbeitende Industrie und ihre Beschäftigten. Das Ziel ist, die österreichische Industrie so umzubauen, dass sie auch in Zukunft möglichst klimaneutral im Land produziert. Dafür werden in einem ersten Schritt bis 2030 staatliche Förderungen in Höhe von 5,7 Milliarden Euro bereitgestellt.

Geld mit Kontrolle

5,7 Milliarden – das ist eine Menge Steuergeld, das optimal investiert werden will. Was jedenfalls nicht passieren soll: dass die Klimaziele auf den Rücken der Arbeitnehmer:innen erreicht werden und die Betriebe hohe Förderungen ohne viel Nachfragen abholen können. Deshalb muss die Vergabe entsprechender öffentlicher Fördergelder für Unternehmen unter anderem an konkrete Transformationspläne samt Einbeziehung der Beschäftigten in den Prozess gekoppelt werden. ÖGB und AK forderten eine entsprechende gesetzliche Verankerung – in den im Mai erlassenen Förderrichtlinien sind auf Druck der Arbeitnehmervertretung zumindest erste Ansätze verankert. Weitergehende Forderungen bleiben allerdings aufrecht.

Was sich immer wieder zeigt: Mit einem engagierten Betriebsrat kommen Unternehmen besser durch Krisen. Eine Bedingung für eine „Just Transition“ – einen fairen Wandel – ist die Einbindung der Beschäftigten in den Transformationsplan ihres Betriebs. Ihr Wissen und ihren Erfahrungsschatz gilt es zu nutzen, wobei ihre Interessen zu berücksichtigen sind. Das wären beste Voraussetzungen dafür, dass der Prozess von der Belegschaft mitgetragen und die Angst vor Veränderung entschärft wird – und das Projekt gelingen kann. „Zurzeit gibt es zwar viele Studien und Pläne, es bleibt jedoch ein Fleckerlteppich ohne übergeordnete Strategie“, sagt Langen. Es brauche deshalb dringend eine übergeordnete Institution, eine „Just-Transition-Agentur“, die auf Basis einer Strategie die Dekarbonisierung der Betriebe begleitet.

Klimafit mit Jobgarantie

Wie soll die Transformation im Betrieb funktionieren? Die wichtigsten Forderungen sind eine staatliche Jobgarantie für jene, deren Arbeitsplatz im Zuge des Umbaus entfällt (auch eine Europäische Jobgarantie wird angedacht). Ihnen soll entweder im runderneuerten, klimafitten Unternehmen mittels Qualifizierung eine neue Stelle angeboten werden, oder es ist dafür zu sorgen, dass sie anderswo einen gleichwertigen Job bekommen.

Beim AMS gilt der Grundsatz:
vermitteln, vermitteln, vermitteln.  

Alexander Prischl, ÖGB

Qualifizierung ist für sehr viele Arbeitnehmer:innen das Gebot der Stunde, denn die Anforderungen ändern sich. „Es muss deutlich mehr in Qualifizierung investiert werden. Dies betrifft sowohl die Erstausbildung als auch die Weiterbildung oder Umschulung von Erwachsenen. Das kann aber nicht von der öffentlichen Hand alleine gestemmt werden. Auch Unternehmen haben hier eine Verantwortung“, betont Ines Stilling, Leitung Soziales bei der AK Wien.

Berufliche Sackgasse statt sinnvollem Arbeitsmarkt

Es ergibt sich auch die Chance, Arbeitsuchende so zu qualifizieren, dass sie einen gefragten Job finden. „Beim AMS gilt der Grundsatz: vermitteln, vermitteln, vermitteln. Wir müssen zu einem Ansatz kommen, der neben der bloßen Stellenvermittlung insbesondere auch auf Qualifizierung setzt“, sagt Alexander Prischl, Arbeitsmarktexperte des ÖGB. Der starre Fokus aufs Vermitteln führt dazu, dass Menschen zwischen Schulungen und Jobs „hoppen“ und Weiterbildungen abgebrochen werden, sobald ein Stellenangebot da ist, weil das Geld dringend benötigt wird. Nicht selten führt die neue Stelle in eine berufliche Sackgasse, die Betroffenen kündigen bald und landen wieder beim AMS. Nicht zuletzt deshalb fordert die AK die Einführung eines Qualifizierungsgeldes, das Personen über 25 Jahre eine Weiterbildung ermöglichen soll.

Da sich die Qualifizierungsanforderungen auf dem Arbeitsmarkt immer rascher verändern, müssen Arbeitskräfte in der Lage sein mitzuhalten – Stichwort lebensbegleitendes Lernen. Prischl spricht sich deshalb für eine Bildungspflicht statt Pflichtschule aus. Die Schulpflicht wäre demnach dann erfüllt, wenn ein Bildungsniveau erreicht ist, auf dem aufgebaut werden kann. „Die Basisausbildung muss so gut sein, dass man weiterlernen kann“, betont der Arbeitsmarktexperte – damit ein junger Mensch mit Lehrabschluss, der eine Fachhochschule besuchen will, künftig keine Probleme bei der Studienzulassung bekommt, weil etwa Englisch in der Berufsausbildung vernachlässigt wurde.

Gesunde Vollzeit

Ein massiver Stellenabbau im Zuge der wirtschaftlichen Transformation soll also abgefedert werden. Die Arbeit soll auf mehr Köpfe verteilt werden. Bei gleichem Lohn, versteht sich. Dann gelingt auch der große Umbruch ohne menschlichen Kollateralschaden. „Die Produktivität hat sich seit Mitte der 1970er-Jahre verdoppelt. Die Beschäftigten haben sich die Arbeitszeitverkürzung also längst verdient“, sagt Stilling.

Im Zuge der Transformation der Wirtschaft soll am besten auch gleich ein neues Arbeitszeitgesetz auf den Weg gebracht werden. „Im Mittelpunkt muss eine neue, gesunde Vollzeit stehen, also eine spürbare Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und damit eine gerechtere Verteilung der Erwerbsarbeit“, bringt es Stilling auf den Punkt.

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