Arbeitsmarkt: der Einsturz

Illustration Arbeitsmarkt
Illustration (C) Adobe Stock
Unser Arbeitsmarkt unterlag schon vor der Corona-Krise einem starken Wandel, die jetzigen Verwerfungen drohen gewaltig zu werden. In den letzten 40 Jahren haben sich Arbeitsprozesse massiv beschleunigt und verdichtet, unsere Einkommen samt Stabilität der Arbeitsplätze haben sich gespalten – mit Folgen, die sich auch und gerade jetzt in der Krise dramatisch auswirken.
ur wenige Wochen des Shutdowns haben gereicht, um das Leben vieler Menschen gehörig auf den Kopf zu stellen und neue Arbeitsmarktrealitäten zu schaffen, die uns vor gravierende Herausforderungen stellen. Fast zwei Millionen Erwerbstätige sind in Kurzarbeit oder erwerbsarbeitslos, das entspricht fast der Hälfte aller Beschäftigten in Österreich. Nachdem in der ersten strengen Phase der Betriebsschließungen zur Eindämmung des Coronavirus Ende März die Erwerbsarbeitslosigkeit auf ein Rekordniveau von rund 563.000 Menschen angestiegen war, erhöhten sich die Arbeitslosenzahlen zunächst weiter. Ab Mitte April beruhigte sich die Lage jedoch wieder, und der Anstieg kam zum Stillstand. Gegenüber dem Vorjahr belief sich der Anstieg Ende April nichtsdestotrotz auf rund 58 Prozent.

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Ein noch höherer Anstieg der Arbeitslosigkeit konnte nur durch die von den Sozialpartner*innen verhandelte COVID-19-Kurzarbeit verhindert werden. Gemessen am Beschäftigungsstand Ende April waren im Beherbergungs- und Gaststättenwesen die meisten Beschäftigten mit ganzen 83 Prozent zur Kurzarbeit angemeldet, im Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung 70 Prozent und im Bauwesen 53 Prozent. Addiert man Arbeitsplatzverluste und Beschäftigte in Kurzarbeit, so betrug der Rückgang des Beschäftigungsstandes insgesamt ganze 90 Prozent bei den Beschäftigten im Tourismus, 74 Prozent im Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung und zwischen 54 und 46 Prozent in der Warenherstellung, dem Handel und dem Bau. In der Gesamtwirtschaft wurden allein im Mai durchschnittlich 39 Prozent aller Beschäftigten zur Kurzarbeit angemeldet.

Nicht alle gleich betroffen

Da der österreichische Arbeitsmarkt schon vor dieser furchtbaren Krise gespalten war, erfasst diese bei Weitem nicht alle gleich. Männer und Frauen sind zwar in ungefähr gleichem Ausmaß vom Verlust ihrer Arbeit betroffen, unter den Frauen haben allerdings wesentlich mehr Akademikerinnen ihren Job verloren. Bei den unter 25-Jährigen sank die Beschäftigung mit einem Minus von 8,8 Prozent am stärksten, besonders deutlich zeigt sich dieser Beschäftigungsrückgang zudem auch bei ausländischen Beschäftigten und jenen mit Migrationsgeschichte. Und auch die Art der Beschäftigung und die Form des Arbeitsvertrages haben ihren Einfluss bewiesen.

Bei den unter 25-Jährigen sank die Beschäftigung mit einem Minus von 8,8 Prozent am stärksten, besonders deutlich zeigt sich dieser Beschäftigungsrückgang zudem auch bei ausländischen Beschäftigten und jenen mit Migrationsgeschichte.

Neun von zehn der verloren gegangenen Jobs entfallen auf Arbeiterinnen und Arbeiter, auch weil für sie bis 2021 noch ein deutlich schwächerer Kündigungsschutz gilt. So beträgt die Kündigungsfrist für Angestellte meist drei Monate, mit nur wenigen Kündigungsterminen pro Jahr, während Arbeiter*innen innerhalb von zwei Wochen an jedem beliebigen Wochentag gekündigt werden können, außer ihr Kollektivvertrag regelt es besser. Der stärkere Kündigungsschutz von Angestellten in Kombination mit der Kurzarbeit hat viele von ihnen vor diesem Schlag bewahrt.

Verschärfte Ungleichheit

Zeitarbeitskräfte, die zwar auch zur Kurzarbeit hätten angemeldet werden können, wurden hingegen viel zu oft umgehend wieder zu ihren Arbeitskräfteüberlassern zurück und von diesen weiter zum AMS geschickt. Die Kluft zwischen den Beschäftigten mit sicheren, unbefristeten und anständig bezahlten Jobs und der sogenannten „Randbelegschaft“ vertieft sich so noch weiter. Dass es durch Schließungen im Rahmen der Krise zu einer weiteren Verschärfung der Ungleichheit kommen würde, war zwar absehbar – aber gerecht ist es nicht. Noch weniger, dass die einen keine Arbeit mehr haben, während die anderen viel zu viel Arbeit leisten müssen, um sie in der ihnen vorgeschriebenen Arbeitszeit bewältigen zu können.

Die ungleiche Verteilung von Arbeit und ihren Früchten und die Finanzierung der Maßnahmen gegen die Krise formen folglich das zentrale Thema der Zukunft.

Die ungleiche Verteilung von Arbeit und ihren Früchten und die Finanzierung der Maßnahmen gegen die Krise formen folglich das zentrale Thema der Zukunft. Wenn große Konzerne wie Nestlé & Co durch die Krise ihre obszönen Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit noch weiter steigern können, dann kommen wir nicht daran vorbei, auch von ihnen einen Beitrag einzufordern. Im 21. Jahrhundert sollten wir endlich anerkennen, dass die Wirtschaft unserem Leben dient – und nicht unser Leben der Wirtschaft. Das heißt, dass diejenigen, die Arbeit erbringen, auch gut davon leben können müssen und die Finanzierung der allgemeinen Infrastruktur durch alle zu erfolgen hat. Wer mehr hat, muss mehr zahlen – und nicht umgekehrt. Alles andere ist völlig überholt und schadet uns allen.

Drei Maßnahmen, die wir brauchen:

  1. Höheres Arbeitslosengeld
    Eine umgehende Erhöhung des Arbeitslosengeldes, weil es in der derzeitigen Arbeitsmarktsituation, in der rund zehn Bewerber*innen auf nur eine freie Stelle kommen, kaum möglich ist, wieder einen Job zu finden. Aktuell erhalten Arbeitslose nur 55 Prozent ihres letzten täglichen Nettoeinkommens für eine zeitlich begrenzte Bezugsdauer von rund sechs Monaten. Doch wenn so viele Menschen auf Dauer fast um die Hälfte weniger Geld zur Verfügung haben, dann kaufen diese auch nur noch das Nötigste ein. Und so werden sehr viele von uns dem Wunsch der Wirtschaftsministerin, nämlich österreichische Produkte zu konsumieren und in Österreich Urlaub zu machen, um die Wirtschaft anzukurbeln, wohl eher nicht nachkommen können.
  2. Ausbildungsgarantie
    Im Rahmen der Ausbildungsgarantie bis 18 müssen für alle erfolglos Lehrstellensuchenden Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Dafür sollte das Angebot an überbetrieblichen Lehrausbildungsplätzen zumindest verdoppelt werden. Schließlich sind junge Beschäftigte als Erste und besonders stark von der Krise betroffen, und die Jugendarbeitslosigkeit ist auf einem historischen Rekordniveau.
  3. Schöne Worte und Applaus machen nicht satt
    Anerkennung allein reicht nicht aus, um die ungleiche Verteilung beruflicher und vermeintlich privater Sorgearbeit abzugelten. Es braucht dringend eine materielle Aufwertung unbezahlter oder schlecht bezahlter, systemerhaltender Tätigkeiten und eine grundlegende Neustrukturierung der ungleichen Arbeitsteilung. Der Corona-Tausender für die Held*innen der Krise ist das Mindeste, was ihnen zusteht!

Über den/die Autor:in

Veronika Bohrn Mena

Veronika Bohrn Mena ist Autorin des Buches „Die neue ArbeiterInnenklasse – Menschen in prekären Verhältnissen“ und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit prekären Arbeitsverhältnissen, Segmentierungsprozessen und Veränderungen in der Arbeitswelt mitsamt ihren Auswirkungen. Sie ist ausgebildete Fotografin und hat Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien studiert. Seit 2013 arbeitet sie hauptberuflich in der Gewerkschaft GPA-djp in der Interessenvertretung als Expertin für atypische Beschäftigung. Sie war auch die Vorsitzende der Plattform Generation Praktikum und hat sich als Studentin in der ÖH Bundesvertretung engagiert.

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