Arbeitslosengeld ist zu niedrig: Entmutigt in neue Zeiten

Frau mit Besteck sitzt vor eine leeren Teller. Symbolbild. Arbeitslosengeld ist zu niedrig. Nettoersatzrate.
Das Arbeitslosengeld in Österreich ist zu niedrig. Die Nettoersatzrate muss erhöht werden. | © Adobe Stock/mpix-foto
Neunzig Prozent der arbeitslosen Menschen in Österreich, besagt eine SORA-Studie, sind armutsgefährdet. Ihr Arbeitslosengeld ist so niedrig, dass sich damit das Leben kaum mehr finanzieren lässt. AK und ÖGB fordern daher, die Nettoersatzrate auf 70 Prozent zu erhöhen.
Österreich gehört zu den reichsten Ländern Europas. Dennoch sind viele Menschen hierzulande arm dran. Dazu zählen die 238.000 Arbeitslosen (Stand Mai 2022), die beim Arbeitsmarktservice (AMS) vorgemerkt sind. 55 Prozent Nettoersatzrate vom letzten Gehalt stehen Menschen in Österreich in Form des Arbeitslosengeldes zu. Das sind bei neun von zehn ALG-Bezieher:innen weniger als 1.200 Euro im Monat. Die Armutsgrenze liegt aktuell bei 1.328 Euro im Monat bei einem Einpersonen-Haushalt. Und das Leben wird von Woche zu Woche teurer. Daher ist es wichtig, dass diese Gruppe finanziell abgesichert wird. Und nicht Angst haben muss, in die Armut zu rutschen. Denn die mentale Belastung, keine Arbeit zu haben, setzt vielen Arbeitssuchenden stark zu. Kommen noch Existenzängste dazu, befindet man sich schnell in einer Abwärtsspirale, aus der man so leicht nicht mehr rauskommt.

Das Arbeitslosengeld ist zu niedrig

Arbeitslosengeld zu beziehen, ist keine Schande, denn Arbeitslosigkeit kann jeden treffen. Bei diesem Bezug handelt es sich außerdem nicht um „Almosen“, die der Staat verteilt. Es ist eine Versicherungsleistung, für die von den Arbeitnehmer:innen zuvor Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden. „Neben der finanziellen Leistung ist das Arbeitslosengeld eine Krankenversicherung und die Anrechnung als Ersatzzeiten an die Pensionsansprüche, auf die man durch den Bezug Anspruch hat. Die Bildungsangebote sind ebenfalls wichtig, sowohl die finanzielle Förderung von selbst gewählten Ausbildungen als auch die AMS-Maßnahmen“, sagt Patrick Mokre, Referent der Arbeiterkammer Wien (AK) gegenüber Arbeit&Wirtschaft. Unter bestimmten Voraussetzungen gibt es noch weitere Unterstützungen. Wie eine Eingliederungshilfe, Kombilohnmodelle, eine Entfernungshilfe für Erwerbslose, deren Ausbildungsort weit weg ist oder Gebührenbefreiungen und Wohnbeihilfe.

Die aktuelle Form des Arbeitslosengeldes hat jedoch gravierende Schwächen, wie Expert:innen der AK und des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) betonen. Beispielsweise die 55 Prozent Nettoersatzrate. Dieser niedrige Satz bedeutet einen radikalen Einschnitt im Lebensstandard. Wohnungsmieten können dadurch zu einem erheblichen Problem werden oder die sozialen Aktivitäten oder Aktivitäten von Kindern nicht mehr finanzierbar sein. „Das ist sozial entmutigend. Und entmutigte Erwerbslose tun sich viel schwerer, wieder gut bezahlte, lohnsteuerpflichtige Jobs zu finden. Dass Armut in einem so reichen Land wie Österreich eine Schande ist, kommt dazu. Eine höhere Ersatzrate von 70 Prozent wäre daher sehr wichtig. Geldleistungen aus der Versicherung bedeuten Autonomie der Erwerbslosen“, sagt Mokre.

Nettoersatzrate muss angehoben werden

Auch der ÖGB stuft die 55 Prozent als zu niedrig ein. „Die derzeitige Höhe ist für viele Betroffene nicht existenzsichernd. Die im Vergleich äußerst geringe Nettoersatzrate liegt unter der Quote in der Niederlande, Dänemark, Deutschland, Belgien, Schweden und Finnland. Dies sind Staaten, deren wirtschaftliche Ausgangslage mit der von Österreich vergleichbar ist“, sagt Alexander Prischl. Er ist Leiter der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik im ÖGB ist. „Es bleibt also bei unserer Forderung, die Nettoersatzrate auf 70 Prozent zu erhöhen.“

Arbeitsminister Martin Kocher hat bereits konkrete Vorschläge zur Reform des Arbeitslosengeldes in diesem Jahr angekündigt. Doch in welche Richtung will die Bundesregierung gehen? Regelmäßig wird von einem degressiven Modell gesprochen, also am Anfang eine höhere Ersatzrate, die mit der Länge der Arbeitslosigkeit sinken soll. „Dem degressiven Modell liegt die Idee zugrunde, dass Leute, die schon länger arbeitslos sind, sich weniger bemühen würden und deshalb unter Druck gesetzt werden müssen. Erstens ist das ein hässliches Menschenbild, zweitens gibt es wenig empirische Evidenz dafür, dass Leute nach längerer Arbeitslosigkeit weniger suchen“, sagt Mokre. Ob ein progressives Arbeitslosengeld die Lösung ist, bezweifelt der Experte, allerdings könnte es in „Richtung zusätzlicher Sachleistungen, Ausbildungsunterstützung und Hilfe beim Bewerbungsprozess gehen“.

Patrick Mokre, Referent der AK Wien, erklärt, warum das Arbeitlosengeld zu niedrig ist.
„Entmutigte Erwerbslose tun sich viel schwerer, wieder gut bezahlte, lohnsteuerpflichtige Jobs zu finden“, erklärt Patrick Mokre, Referent der AK Wien, die Abwärtsspirale, in die Arbeitslosigkeit führen kann.

Zwischenparkgebühren

Und es gibt noch ein Problem, das Zwischenparken von Arbeitnehmer:innen beim AMS. Also Unternehmen, die die Angestellten zu gewissen Zeiten abmelden. Speziell Firmen der Baubranche, der Gastronomie und in der Leiharbeit wenden diese Praxis gerne an. Aber auch im Kulturbetrieb oder im Verkehrswesen kommt es oft vor. Jährlich kostet das „Parken“ die Arbeitslosenversicherung bis zu 500 Millionen Euro, wie eine WIFO-Studie aus dem Jahr 2017 belegt. „Es braucht eine gesetzliche Regelung, damit Betriebe an diesen absichtlich verursachten Kosten beteiligt werden“, betont Arbeitsmarktspezialist Alexander Prischl. Denn das „Zwischenparken“ ist doppelt schädlich.

Einerseits müssen Dienstnehmer:innen finanzielle Abstriche machen, und andererseits wälzen Unternehmen so Kosten auf die Allgemeinheit ab. „Stellt ein Betrieb die Person innerhalb eines Monats wieder an, hat der Arbeitgeber dem AMS die vollen Kosten für das in dieser Zeit ausbezahlte Arbeitslosengeld zu ersetzen“, fordert Prischl. Bei der Reform des Arbeitslosengeldes wird sich zeigen, wie die Regierung auf diese Praxis reagiert und die Arbeitgeber:innen in die Pflicht nimmt. Die zentrale Frage ist, ob Minister Kocher die AK- und ÖGB-Forderungen nach einer höheren Nettoersatzrate erhört.

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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