- Michaela Schön arbeitet für einen Autozulieferer im Waldviertel, und ohne Busse geht da gar nichts: Viele junge Lehrkräfte können aufgrund des dünnen öffentlichen Verkehrsnetzes nicht in die Ausbildungsstätte kommen – ein Ausbau ist in solchen Regionen unabdingbar, um die Wirtschaft anzukurbeln. Denn neben dem Nachwuchs macht dem Betrieb derzeit auch die Rezession zu schaffen.
- Harald Steer macht als Pflegekraft und Betriebsratsvorsitzender der VAMED AG gerade gegen die weitere Privatisierung des Gesundheitssektors mobil. Während das Pflegepersonal im ganzen Land fehlt, könnte die Übernahme durch einen Finanzinvestor die Arbeitsbedingungen in mehreren Gesundheitseinrichtungen weiter verschlechtern. Mehr Geld während der Ausbildung, ein höheres Grundgehalt und familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle könnten mehr Menschen in den Pflegebereich locken, weiß Harald Steer.
- Heidemarie Supper sieht als Betriebsrätin bei der Volkshilfe Wien deutlich, dass das Anheben des Pensionsantrittsalters der arbeitenden Bevölkerung nicht ohne gesundheitsfördernde Maßnahmen des Arbeitgebers einhergehen kann. Supper fragt sich, wie man auch bei belastenden beruflichen Tätigkeiten gesund altern kann.
Michaela Schön: Ohne Busse keine Lehrlinge
Als Michaela Schön Anfang der 1990er-Jahre in Niederösterreich ihre Lehrausbildung als Werkzeugmacherin startete, gehörte sie zu den ersten Frauen in dem Berufsfeld. Frauen in der Technik waren damals eine Ausnahmeerscheinung. Ihren Platz in der Branche mussten sie sich erst erkämpfen. Zumindest bei Pollmann International, einem Autozulieferer im niederösterreichischen Karlstein an der Thaya, ist das gelungen – und Michaela Schön war ein Teil dieser Entwicklung.
Dort hat die gebürtige Waldviertlerin 1996 begonnen. „Es ist ein Wahnsinn, wie sich der Betrieb seither entwickelt hat“, sagt sie. „Als ich vor 28 Jahren hier angefangen habe, gab es nur den Standort in Tschechien. Heute sind auch Mexiko und China dabei.“ Pollmann International hat momentan 570 Beschäftigte in Österreich, ein Drittel davon ist weiblich. Seit 2008 ist die 54-jährige Schön Mitglied im Betriebsrat. Die Mitarbeiter:innen wenden sich zu vielen Themen an sie. Eine oft gestellte Frage: Wie lässt sich die Arbeit im Schichtbetrieb mit der Pflege von Angehörigen vereinbaren? Unterstützung gibt es auch von der Arbeiterkammer, die einmal im Monat vor Ort Beratungen anbietet. Auch die Teuerung sei ein großes Thema. „Für mich ist das Zuhören und Reden mit allen Beteiligten sehr wichtig“, sagt Schön. „Ich versuche, meinen Kolleg:innen den Arbeitsalltag zu erleichtern, muss aber auch die Geschäftsführung überzeugen.“ Es brauche Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten.
Pollmann International ist seit 135 Jahren in Familienbesitz. Lehrlinge bildet man dort in sieben Berufsfeldern aus, Behaltequote und Aufstiegschancen seien hoch. Dennoch beginnen heuer nur sehr wenig neue Lehrlinge. Unter anderem sei es laut Schön die mangelnde Infrastruktur, die im Waldviertel die Suche nach Arbeitskräften erschwere. „Im Sommer fahren nur sehr wenige Busse nach Karlstein“, sagt sie. „Viele Lehrlinge wissen nicht, wie sie in die Firma und nach Schichtende wieder nach Hause kommen sollen. Sie müssen oft von ihren Eltern gefahren werden.“ Schön fordert deshalb einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs.
Personal im Wandel
„Viele junge Leute wollen zudem keine Nachtschichten mehr machen, weil diese körperlich sehr anstrengend sind“, sagt sie. Andere würden wiederum in die Städte abwandern, worunter alle Betriebe in der Region leiden würden. Auch die Rezession mache der Branche zu schaffen. Es seien bereits Stellen abgebaut worden, wobei man meistens versucht habe, Kündigungen zu vermeiden und bei Pensionierungen nicht nachzubesetzen.
Michaela Schön, die heute auch den stellvertretenden Betriebsratsvorsitz innehat, ist die Frauenförderung beim Personal weiterhin ein besonderes Anliegen. Damit noch mehr junge Frauen für die Technik begeistert werden, lädt Pollmann International im Rahmen eines „Girls Day“ Schülerinnen der dritten Hauptschulklasse zu sich ein. „Unser Betriebsrat besteht zu 50 Prozent aus Frauen“, erklärt Michaela Schön stolz. „Nächsten April geht unser Vorsitzender in den verdienten Ruhestand. Dann bekommen wir vielleicht sogar eine weibliche Doppelspitze.“
Harald Steer: Krokodile raus aus der Pflege
Man könne einem Krokodil nicht vorwerfen, dass es ein Krokodil sei, sagt Harald Steer, „aber man muss es nicht im Wohnzimmer halten!“ Der 51-Jährige arbeitet als psychiatrischer Krankenpfleger und ist Betriebsratsmitglied beim Anton-Proksch-Institut. Seit über 20 Jahren ist er in dem Wiener Therapiezentrum tätig, zum Teil auch auf der Station der Suchtpsychiatrie. Zudem ist Steer Betriebsratsvorsitzender des Gesundheitskonzerns VAMED AG und hat in dieser Funktion gerade alle Hände voll zu tun.
Mit dem Krokodil, von dem er spricht, meint er den französischen Finanzinvestor PAI Partners, der eine Möglichkeit sucht, Gewinne aus dem österreichischen Gesundheitssystem zu generieren. PAI kauft große Teile der VAMED auf, die Eigentümerin von mehreren Gesundheitseinrichtungen in Österreich ist. Das Anton-Proksch-Institut, das zu 60 Prozent der VAMED gehört, soll damit mehrheitlich in die Hände des Private-Equity-Fonds wandern. Die Befürchtung der Belegschaft: PAI will seine Anteile nur zur Profitmaximierung erwerben und nach einem Sparparket gewinnbringend weiterverkaufen. Bei einer Pflegeheimkette in Deutschland wurde ein ähnliches Vorgehen beobachtet. „Muss man diese Firmen an den österreichischen Sozialversicherungsgeldern partizipieren lassen?“, fragt Steer.
Geboren wurde Harald Steer 1973 in eine steirische Arbeiter:innenfamilie hinein. Seine Ausbildung absolvierte er auf der Baumgartner Höhe in Wien. „Schon in den 1980er-Jahren habe ich ein Gehalt bekommen, von dem ich mich selbst erhalten konnte“, erinnert er sich, was für Pflegeanwärter:innen heute nicht mehr der Fall sei. Ein höheres Ausbildungsgehalt könnte einen Umstieg in die Pflege erleichtern, sagt er.
Hohe Personalfluktuation in der Pflege
Der Betriebsratsvorsitzende kennt die Probleme der Belegschaft. „Eine psychiatrische Krankenpflegerin schrieb mir unlängst, dass sie uns verlässt, wenn ihre Tätigkeit auf Medikamentenausgabe und -kontrolle reduziert wird.“ Eine der größten Sorgen von vielen Pflegekräften: Die Arbeitsbereiche werden immer mehr verengt. Viele wollen den Personalmangel und die harten Arbeitsbedingungen in der Branche nicht mehr hinnehmen. Und je weniger diplomiertes Personal im Einsatz ist, desto mehr wird auf günstigere Hilfskräfte zurückgegriffen. Die hohe Personalfluktuation insbesondere im Anton-Proksch-Institut führt Steer darauf zurück, dass andere Kollektivverträge attraktiver seien. Ein:e diplomierte:r Gesundheits- und Krankenpfleger:in im 9. Dienstjahr verdiene in einer Privatkrankenanstalt wie im Anton-Proksch-Institut monatlich rund 500 Euro weniger als in einem Ordensspital.
„Die eklatante Gehaltslücke muss drastisch verringert werden, um konkurrenzfähig zu bleiben“, fordert Steer. Heuer wurden bereits um 9,15 Prozent höhere Löhne und Gehälter im Kollektivvertrag ausgehandelt, die künftigen Lohnrunden würden aber nicht leichter, meint Steer. Er wünscht sich auch deshalb „einen Träger, der nach fachlichen und nicht gewinnorientierten Grundlagen Entscheidungen trifft“, und eine finanzielle Ausstattung, mit der man die Kolleg:innen endlich leistungsgerecht entlohnen kann.
Heidemarie Supper: Arbeit darf nicht krank machen
Heidemarie Supper stammt aus dem Burgenland und arbeitet seit rund 20 Jahren als Sozialarbeiterin. In ihrem Berufsleben hat sie schon vieles gesehen. Sie hat sich bei der Aids Hilfe Wien engagiert und in einem Frauenhaus gearbeitet. Heute unterstützt sie in der Fachstelle für Wohnungssicherung der Wiener Volkshilfe Menschen, die vor dem Verlust ihrer Wohnung stehen. Sie entwickelt mit den Klient:innen einen Haushalts- und Finanzplan und vermittelt bei Gesprächen mit Eigentümer:innen und Hausverwaltung. Das Ziel ist ein langfristiger Wohnungserhalt.
Die Arbeit im Sozialbereich, in dem mehrheitlich Frauen arbeiten, sei physisch und psychisch herausfordernd, sagt Supper und verweist auf die vergleichbare Situation in der Pflege. Seit 2008 ist die 47-Jährige bei der Volkshilfe, seit 2017 Mitglied des Betriebsrats. „Mir gefällt es, wenn mir Kolleg:innen aus der sozialen Arbeit und aus der Pflege von ihrem Arbeitsalltag erzählen und ich mir überlegen kann, was sich verbessern lässt“, sagt Supper. Ein Schwerpunktthema ist die Frage, wie man im Job gesund altern kann. Das Pensionsantrittsalter von Männern liegt bei 65 Jahren. Bei Frauen lag es bisher bei 60, wird aber bis 2033 Schritt für Schritt auf 65 angehoben. „Es reicht nicht, nur aufzuschreien, dass das Pensionsalter steigen muss, um das System zu finanzieren“, sagt Heidemarie Supper. „Es muss auch überlegt werden, wie man so lange arbeiten kann, ohne kaputtzugehen.“
Mit dem Gehalt besser auskommen
Dafür brauche es im Sozial- und Pflegebereich konkrete Maßnahmen, zum Beispiel einen Rechtsanspruch auf Sabbaticals oder Bildungskarenz, um nach diesen Auszeiten wieder mit neuer Kraft in den Beruf zurückkehren zu können. Auch Altersteilzeitmodelle könnten helfen, stattdessen würde die geblockte Altersteilzeit seit heuer aber schrittweise abgeschafft. Eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 Stunden würde die Berufslast erleichtern, außerdem fordert Supper ein höheres Grundgehalt und die Anrechnung von Vordienstzeiten in voller Höhe. Momentan werden im Kollektivvertrag für die Sozialwirtschaft (SWÖ-KV) nur zehn Jahre angerechnet. Auch die Schmutz-, die Erschwernis- und die Gefahrenzulage sollten laut der Betriebsrätin leichter zugänglich werden. Es bräuchte gesundheitsfördernde Angebote und eine Kombination aus höheren Grundgehältern und Zulagen, wie zum Beispiel Beiträgen zum Mittagessen oder bezahlten Fortbildungen, damit Kolleg:innen mit ihrem Gehalt besser auskommen können.
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Ausbildung regeln
Heidemarie Supper kritisiert, dass es bis heute kein Berufsgesetz der sozialen Arbeit gibt. In ganz Österreich stünden diese Berufe auf der Mangelberufsliste. Es brauche mehr Ausbildungsplätze und Bemühungen, Menschen langfristig im Job zu halten. Mit Blick auf die Nationalratswahl 2024 im Herbst betont Supper die Bedeutung eines starken Sozialstaats. „Hände weg von populistischen Forderungen wie der Kürzung der Lohnnebenkosten!“, warnt sie. Unternehmen würden dadurch zwar profitieren, doch die Arbeitnehmer:innen nicht, fließen diese Gelder doch in Familienleistungen, Pensions- und Arbeitslosenversicherung mit ein.
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