Österreich ist mit einem Investitionsvolumen von über vier Milliarden Euro nach Deutschland zweitwichtigster Investor in dem Land am Westbalkan. Österreichische Unternehmen beschäftigen rund 25.000 Arbeitnehmer:innen in Serbien. Gewerkschaftsvertreter:innen und Betriebsrät:innen reisten nun diesen März für eine Fact-Finding-Mission nach Serbien. Sie wollten dabei aus erster Hand erfahren, wie es um die Arbeitsbedingungen tatsächlich bestellt ist. Wie um Arbeitnehmer:innenrechte und Mitbestimmung? Sie wollten aber auch ausloten, was Betriebsrät:innen der Unternehmensstandorte in Österreich beitragen können, um den Beschäftigten in Serbien den Rücken zu stärken.
Gute Arbeitsbedingungen? Mangelware.
„Wir sehen hier schon seit einigen Jahren“, sagt Martina Schneller, die die Internationale Abteilung der Produktionsgewerkschaft PRO-GE leitet, „dass namhafte österreichische Automobilzulieferfirmen in Serbien Fertigungen aufbauen.“ Überraschend sei das nicht, wenn man weiß, wie die serbische Regierung agiere: „Da regnet es großzügige Anreize für Ansiedlungen, von steuerlichen Vergünstigungen bis zu billigen Grundstücksmieten.“ Verlockend sind aber vor allem billige Arbeitskräfte. „Die Löhne werden faktisch von der Regierung verhandelt“, schildert Schneller. Der Mindestlohn liege bei 40.000 Dinar netto, das seien rund 340 Euro, auch in Serbien reiche das nicht zum Leben. Der Durchschnittslohn liege bei netto 700 Euro. In den Gesprächen sei zudem von langen Arbeitszeiten und massiver Arbeitsverdichtung berichtet worden.
Gegen all das hätten Arbeitnehmer:innen allerdings kaum Handhabe, schildert Schneller nach den Gesprächen mit Betroffenen: „Es ist sehr schwierig, eine Betriebsgewerkschaft zu gründen, das wird meist vom Management verhindert. Und gibt es eine, kann sie nur über einen betrieblichen Kollektivvertrag verhandeln, wenn mindestens 15 Prozent der Beschäftigten in dem Unternehmen Mitglied sind. Aber auch dann ist es schwierig – es gibt keinen Kündigungsschutz, der Druck ist groß und auch die Gewerkschafter:innen sind sehr eingeschüchtert.“ Als PRO-GE wolle man zudem nicht einfach zusehen, wie à la longue immer mehr Arbeitsplätze von Österreich nach Serbien abwandern.
Sozialpartnerschaft exportieren
„Wir kämpfen für gute Arbeitsbedingungen und den Schutz von Arbeitnehmer:innenrechten entlang der gesamten Lieferkette“, ergänzt Isabelle Ourny, sie ist Internationale Sekretärin im ÖGB und war ebenfalls Teil der Delegation, die nach Serbien reiste. Da Serbien zwar EU-Beitrittskandidat, aber eben noch kein Mitglied der Europäischen Union sei, greifen EU-Richtlinien nicht. Wenn es um österreichische Unternehmen gehe, die auch in Serbien aktiv sind, könne man aber versuchen, über die Betriebsrät:innen in Österreich auch die Belegschaft vor Ort zu stärken.
„Wir haben zwei Betriebe besucht und gemerkt, wie viel Angst Menschen schon nur davor haben, Mitglied in einer Gewerkschaft zu sein, sich zu organisieren“, erzählt Ourny. Das hätten auch Vertreter der zwei großen Gewerkschaften, dem Bund der selbstständigen Gewerkschaften Serbiens (SSSS) und der Vereinigten Branchengewerkschaft Nezavisnost in Gesprächen bestätigt. „Da könnten österreichische Betriebsrät:innen beim Management darauf hinweisen, dass es eine gute Tradition der Sozialpartnerschaft gibt und für eine Vertretung – dann durch eine Betriebsgewerkschaft – auch in Serbien eintreten.“
EU-Beitrittsprozess zermürbt
Was Schneller und Ourny in Serbien auch festgestellt haben: Der lange EU-Beitrittsprozess hat inzwischen viele Serb:innen mürbe gemacht. Die anfängliche Begeisterung ist einer breiten Skepsis bis sogar Ablehnung der Europäischen Union gewichen. „Je länger man das hinauszögert, umso mehr Frustration ist da“, sagt die PRO-GE-Vertreterin. Dabei wäre ein Beitritt auch aus europäischer Sicht wünschenswert. „Es würde dann ja der gesamte Rechtsbestand im Sozialbereich übernommen, ich denke da etwa an die Arbeitszeitrichtlinie. Das wäre ein Sprung nach vorne.“
Serbien hat sich zuletzt allerdings außenpolitisch anders positioniert – in Richtung Russland. Mit dem seit mehr als einem Jahr andauernden Ukraine-Krieg ist das von besonderer Brisanz. Aber auch mit China gibt es beste Beziehungen, es siedeln sich auch immer mehr chinesische Firmen in Serbien an, so können sie vor den Toren Europas fertigen, lange Transportwege entfallen.
Ein bisschen Auftrieb
„Am Ende wird der EU-Beitritt aber geopolitisch entschieden werden“, ist Ourny überzeugt. Ihr ist dabei wichtig: „Falls es plötzlich schnell gehen soll, weisen wir jetzt schon als Gewerkschaften darauf hin: Nein, man kann das Kapitel soziale Rechte nicht einfach über Bord werfen. Serbien hat, was Gewerkschaften, was Sozialpartnerschaft, was Demokratie insgesamt anbelangt, großen Aufholbedarf.“
Die aktuelle Arbeitsmarktsituation könnte den Gewerkschaften im Land ein bisschen Auftrieb geben. Ursprünglich hofierte die serbische Regierung ausländische Investoren, um die hohe Arbeitslosigkeit im Land zu bekämpfen. Inzwischen gibt es aber auch in Serbien einen „Fachkräftemangel“, Betriebe buhlen um Arbeitskräfte. Ein guter Zeitpunkt also, um zumindest in Zweigstellen österreichischer Unternehmen auch in Serbien das Bewusstsein für die Wichtigkeit betrieblicher Mitbestimmung zu schärfen – beim Management und bei den Arbeitnehmer:innen. Dabei kommt den österreichischen Betriebsrät:innen dieser Firmen eine wichtige Rolle zu.