„Arbeit entlasten?”: Der faule Trick hinter gekürzten Lohnnebenkosten

Zwischen den Händen eines Mannes schweben Geldscheine. Symbolbild über gekürzte Lohnnebenkosten.
Alles andere als mehr „Brutto vom Netto”: Wer Lohnnebenkosten kürzt, kürzt unter anderem am Gesundheitssystem. | © Adobe Stock/vegefox.com
Wenn Neoliberale fordern, die Lohnnebenkosten zu kürzen, bedeutet das nichts Gutes. Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl zeigt, was dahinter steckt.

In regelmäßigen Abständen wird von vielen Seiten eine „Entlastung der Arbeit“ gefordert. Damit sind aber höchst unterschiedliche und teilweise gegensätzliche Konzepte gemeint. Neoliberale fordern mit einer Kürzung der Lohnnebenkosten nämlich eine Verschlechterung für die Allgemeinheit.

Was sind Lohnnebenkosten?

Lohnnebenkosten sind neben Steuern ein weiterer Teil der Abgabenstruktur. Sie sind die Abgaben der Arbeitgeber:innen, die auf das Bruttogehalt der Arbeitnehmer:innen aufgeschlagen werden und machen den Unterschied zwischen Brutto- und Nettogehalt aus. Beschäftigte erwirtschaften sich also einen Bruttolohn UND die Lohnnebenkosten.

Mit Lohnnebenkosten meint man konkret:

  • Beiträge zur Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung,
  • Familienlastenausgleichsfonds: u. a. für Kinderbetreuungsgeld, Leistungen aus dem Mutter-Kind-Pass und Schülerunfallversicherung
  • Wohnbauförderung,
  • Beitrag zur Mitarbeitervorsorgekasse,
  • Kommunalsteuer: Gemeindeabgabe, u. a. für Müll, Verkehr oder Kindergärten,
  • Wohnbauförderung,
  • in Wien: U-Bahn-Abgabe.

All diese Abgaben sind für einen Zweck bestimmt. Die Versicherungsbeiträge dienen zur Absicherung für den Notfall und finanzieren so das Gesundheitssystem, die Abwasser- und Müllentsorgung, die Unfallspitäler oder auch das Pensionssystem. Wohnbauförderung bedeutet beispielsweise öffentlichen Wohnbau. Der Familienlastenausgleichsfonds finanziert etwa die Familienbeihilfe und wurde in den letzten Jahren bereits dreimal gekürzt. Die U-Bahn-Abgabe erklärt sich von selbst.

Wessen Lohnnebenkosten sollen gekürzt werden?

Reden Neoliberale von der Kürzung der Lohnnebenkosten, dann meinen sie die zusätzlichen Abgaben für Arbeitgeber:innen. So wollen sie verhindern, dass es Proteste gibt, wenn die Beiträge gekürzt werden. Doch das macht es nicht weniger perfide. Eine Kürzung des Familienlastenausgleichsfonds oder der Wohnbauförderung würde nur bedeuten, dass diese Leistungen, wenn sie erhalten bleiben sollen, zukünftig von der Allgemeinheit übernommen werden sollen, konkret durch Steuern. 

Die Kosten würden sich also von den Arbeitgeber:innen hin zu den Arbeitnehmer:innen verschieben. Arbeitgeber:innen müssen weniger zahlen und sparen sich Geld, der ganze Rest muss diese Kosten künftig aber durch Steuer-Euros begleichenund das bei gleichbleibender Leistung. Die Alternative wäre, dass diese Leistungen in dieser Form nicht mehr existieren sollen. Das würde Einsparungen bei Familienleistungen, U-Bahn oder Wohnbau bedeuten. 

Wo soll man bitte kürzen?

Gerade beim Wohnbau ist die öffentliche Hand den Neoliberalen ein Dorn im Auge: Wohnbau soll lieber ganz dem freien Markt und privaten Anbietern überlassen werden. Wohin das führt, lässt sich vor allem in deutschen Städten, aber auch immer öfter in Österreich ablesen: Hohe Mieten, wenig Wohnraum, Verschlimmbesserungen und viele unnötig geschnittene Wohnungen, die leer bleiben. 

Das U-Bahnnetz, wie das Öffi-Netz in Wien, ist teuer. Es ist aber eine willkommene Infrastruktur für Unternehmen, die sich so nicht (bzw. weniger) um (teure) Parkmöglichkeiten auf dem Firmengelände kümmern müssen. Das Öffi-Netz in Wien ist damit ein Service für Unternehmen, die oft bis vor die Haustür ein hochrangiges ÖPNV-Netz haben, das ihnen die Arbeitnehmer:innen im 5-Minuten-Takt in die Arbeit bringt und von dort wieder abholt. 70 Prozent der Wiener:innen nutzen die Öffis regelmäßig, 87 Prozent der Wiener:innen haben Zugang zu hoch- oder höchstrangigen Öffis. Das ist ein Standortfaktor, der (neben der öffentlichen Hand und den Fahrgästen) eben auch von Arbeitgeber:innen durch einen geringen Betrag bezahlt wird.

Der Familienausgleichsfonds finanziert Familienleistungen. Familienleistungen werden zum größten Anteil von Frauen bezogen. Betreuungspflichten sind zudem ein Hauptfaktor dafür, warum Frauen weniger oft Vollzeit arbeiten als Männer. Eine Kürzung des Dienstgeberanteils bei Familienleistungen würde also die Kosten der Allgemeinheit zuschieben oder gekürzte Leistungen für diese Gruppe bedeuten.

Also weg mit der Kammerumlage?

Bleibt die Kammerumlage. Arbeitnehmer:innen zahlen monatlich in die Arbeiterkammer ein, Unternehmer:innen in die Wirtschaftskammer. Das zeigt im Übrigen, dass sich die Arbeitnehmer:innen die Arbeiterkammer, ihre gesetzliche Vertretung, selbst zahlen und kein zusätzliches Steuergeld hineinfließt und dementsprechend Arbeitgeber:innen und ihre parlamentarischen Vertreter:innen dort auch nicht mitentscheiden sollen. Mitglieder der Wirtschaftskammer zahlen auch eine Umlage. Es handelt sich dabei um marginale Beträge mit hohen Freigrenzen. Es ist natürlich einfach, gegen die Kammerbeiträge zu wettern und ihre Abschaffung zu fordern. Dahinter steht aber die Idee, nicht nur die Wirtschaftskammer, sondern mit ihr auch die Arbeiterkammer zu entmachten und abzuschaffen. Die ersparten Beträge, die im Fall der Wirtschaftskammer noch dazu auf Basis der Selbstbemessung laufen, sind nicht der große Batzen Geld der Lohnnebenkosten.

Worum geht’s wirklich?

Denn eigentlich geht es um etwas ganz anderes: Lohnnebenkosten sollen einzig und allein für Dienstgeber gesenkt werden, ohne die Idee einer Gegenfinanzierung abseits der Allgemeinheit. Das ist Umverteilung nach oben. Steuersenkungen für Arbeitnehmer:innen kommen hier gar nicht in den Sinn, dabei könnten diese durch Steuern auf Vermögen gegenfinanziert werden. Auch das wäre eine Entlastung des Faktors Arbeit (und der Mehrheit) und eine Belastung des ohnehin kaum belasteten Faktors Vermögen. Neoliberale meinen mit „Arbeit entlasten“ stattdessen „Dienstgeber:innen entlasten“ und „Leistungen kürzen“, also einen Angriff auf den Sozialstaat. 

Über den/die Autor:in

Natascha Strobl

Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin aus Wien und beschäftigt sich mit den rhetorischen Strategien der (extremen) Rechten. Auf Twitter liefert sie unter #NatsAnalysen tief gehende Analysen zu tagesaktuellen Themen.

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