Das ArbeitnehmerInnenparlament: So wird die Vollversammlung auch gerne genannt – und nicht mehr und nicht weniger ist sie auch. Immerhin treffen sich dort mindestens zweimal im Jahr die gewählten VertreterInnen der Beschäftigten eines Bundeslandes, genannt KammerrätInnen. Diese Wahl sei eine besondere Wahl, betonen Arbeiterkammer und Gewerkschaften, um die WählerInnen dazu zu motivieren, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen und so der AK den Rücken zu stärken. Schließlich geht es darum, ein klares Zeichen gegen die Politik der Regierung zu setzen, die zulasten der ArbeitnehmerInnen geht. Entsprechend lauteten auch die Themen, mit denen sich die KammerrätInnen bei dieser Vollversammlung beschäftigten, darunter der Umbau der Sozialversicherungen (der im Übrigen von allen Fraktionen abgelehnt wurde) oder die Kürzungen von Sozialleistungen.
Regierung aufseiten der Industrie
Die Arbeiterkammern bewegen sich in einem politisch angespannten Umfeld, und das liegt nicht nur an den politischen Vorhaben der Regierung in Arbeitsmarkt-, Sozial- oder Familienpolitik. Die AK selbst ist wieder einmal Angriffsfläche von ÖVP und FPÖ geworden, wie dies bereits in der VP-FP-Regierung Anfang der 2000er-Jahre der Fall war. Allerdings sieht Politikwissenschafter Ferdinand Karlhofer keinen Grund für Pessimismus. Vielmehr findet er, dass die Kammern durchaus gestärkt in diese Auseinandersetzung gehen.
Denn die Regierungspolitik, die darin besteht, „die ArbeitnehmerInnen beiseitezuschieben und der Wirtschaft freie Bahn zu geben“, komme bei den Beschäftigten nicht gut an. Karlhofer führt mehrere Punkte an, um seine Beurteilung der Regierungspolitik zu untermauern. „Das Interessante ist Folgendes: dass Maßnahmen von Interessenvertretungen der Wirtschaft vorab schon, vor Beschlussfassung, als Erfolg oder als Input für die Regierung verkauft werden.“ Karlhofer führt eine Reihe von Zitaten an, unter anderem Georg Kapsch, der meinte, der 12-Stunden-Tag sei „eine Sache, die die Modernisierung voll stützt“. Auch zitiert der Politikwissenschafter aus der Mitgliederzeitung der Industriellenvereinigung aus dem April 2018: „Die Standortoffensive der Regierung setzt wichtige Empfehlungen der Industrie um.“
Chancen für AK und ÖGB
Der Politikwissenschafter scheut nicht vor scharfen Worten zurück. „Das ist eine Regierung mit einem Bundeskanzler, der von Wirtschaft und Sozialpartnerschaft relativ wenig Ahnung hat“, so Karlhofer. Der Koalitionspartner FPÖ wiederum kann auf keine Erfahrungen in der Sozialpartnerschaft bauen, da er in den entsprechenden Gremien nirgends vertreten ist. Karlhofer fasst zusammen: „Den Ton gibt die Industrie oder die Wirtschaft an, die Umsetzung liegt bei der Regierung. Wir haben es mit einer Koalition zu tun, die große Bereitschaft hat, Vorhaben der Wirtschaft und Industrie gerecht zu werden. Und dabei in Kauf nimmt, mehr oder weniger bewusst, Arbeitnehmeragenden in den Hintergrund zu rücken.“
Während sich die Wirtschaft also freut, stoßen die Maßnahmen bei den Beschäftigten nicht auf ungeteilte Zustimmung, ganz im Gegenteil. „Der 12-Stunden-Tag wird von der Mehrheit der Bevölkerung nicht gerade als positive Angelegenheit angesehen“, so Karlhofer. „Das ist übrigens etwas, womit die Regierung rechnen muss: dass gerade hier Gewerkschaft und Arbeiterkammer im Verbund die besseren Karten haben, wenn es darum geht, dagegen zu argumentieren.“ Der Politikwissenschafter verweist dafür auf die KV-Verhandlungen der Metaller und ihre erfolgreiche Strategie, die Lohnerhöhungen mit dem 12-Stunden-Tag in Verbindung zu bringen. „Damit konnten sie punkten, und zwar nicht nur bei ihren Mitgliedern, sondern das hat so weit gewirkt, dass die Industriellenseite nach längerer Phase der Verhandlungsverweigerung sich dann doch durchgerungen hat, hier zuzustimmen.“
Einfallstor für Sonntagsöffnung
Einmal mehr wurden die Metaller somit dem Anspruch gerecht, dass ihr Abschluss Vorbildwirkung für die anderen KV-Verhandlungen hat. „Das überträgt sich auch auf andere Branchen, zum Beispiel gerade auf den Tourismus, die Gastronomie und den Handel“, hält Karlhofer fest. So konnten die Gewerkschaften schon einmal einen wichtigen Erfolg gegen die Regierungsmaßnahmen erringen. Der Politikwissenschafter weist noch auf eine weitere Dimension hin, die bislang in den Debatten noch gar nicht zur Sprache gekommen ist: „Die 60-Stunden-Woche könnte sich als Einfallstor zur Öffnung von Geschäften am Sonntag erweisen. Das würde eine völlige Veränderung der Arbeitszeiten zum Nachteil der Beschäftigten nach sich ziehen.“
Ob 12-Stunden-Tag, die Kürzung der Mindestsicherung oder die diskutierte Änderung der Notstandshilfe: An Wahlkampfthemen mangelt es wahrlich nicht. Dazu kommt, wie bereits erwähnt, dass die Arbeiterkammer selbst unter Druck gesetzt wurde. Auch dies geschieht nicht zum ersten Mal, weshalb Karlhofer zu den ersten Koalitionen von ÖVP und FPÖ zurückblendet, die ebenfalls die Arbeiterkammer im Visier hatten. Der Politikwissenschafter erinnert an einen Antrag, den die Klubchefs Andreas Khol (ÖVP) und Peter Westenthaler (FPÖ) eingebracht hatten und der eine Kürzung der Kammerumlage von 0,5 auf 0,3 Prozent vorsah. Dies wäre eine Kürzung um 40 Prozent gewesen und hätte bedeutet, dass die AK ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen hätte können.
„Das allerdings versandete“, so Karlhofer, „weil die anderen Kammern sahen, dass man nicht eine Kammer rausnehmen kann, ohne die anderen zu beschädigen.“ Sprich: Aus Eigeninteresse sprangen damals die anderen Kammern für die AK in die Bresche. „Es ist zu erinnern an die Aussage des damaligen Wirtschaftskammerpräsidenten Christoph Leitl, der meinte: ‚Wir lassen uns nicht einen Sozialpartner rausschießen, denn das würde alle betreffen.‘ So gesehen stand die Arbeiterkammer damals sozusagen unter dem Schutz der anderen.“