Die Politik hat entschieden: Frauen müssen seit diesem Jahr später in Pension, denn das Antrittsalter steigt nun alle sechs Monate um ein halbes Jahr. Doch ein grundlegendes Problem bleibt ungelöst: altersgerechtes Arbeiten. Viele Jobs sind schlicht nicht für ältere Beschäftigte gemacht. Wie Unternehmen das ändern können, erklärt Julia Stroj, ÖGB-Expertin für Gesundheit, der Arbeit&Wirtschaft.
Altersgerechtes Arbeiten als Zukunftschance
Alters- und alternsgerechtes Arbeiten – Wo liegt da der Unterschied und wie hängt beides zusammen?
Beide Begriffe klingen sehr ähnlich, aber das „n“ macht einen großen Unterschied. Altersgerechtes Arbeiten zielt speziell darauf ab, dass der Arbeitsplatz für das jeweilige Alter geeignet ist. Beim alternsgerechten Arbeiten kommt der Faktor Zeit dazu. Man schaut sich über die gesamte Berufslaufbahn hinweg an, ob die Arbeitsplätze gesund sind, die Arbeitsfähigkeit erhalten oder sie vielleicht sogar fördern.
Von welchem Alter sprechen wir denn überhaupt, wenn wir von altersgerechter Arbeit sprechen?
Die eine harte Grenze gibt es nicht. Aber natürlich wird es verstärkt ein Thema, wenn die Beschäftigten sich dem Pensionsantrittsalter nähern.
Betrifft es eher körperliche Berufe?
Der Schichtbetrieb oder körperlich anstrengende Tätigkeiten wie im Bau oder Pflege– und Sozialberufe fallen einem natürlich gleich ein. Aber altersgerechtes Arbeiten ist genauso im Handel ein Thema, wo das viele Sitzen an der Kasse und das Einschlichten mit den Jahren anstrengend wird. Auch Computerarbeitsplätze im Büro können negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben.
Viele denken meist erst an das Thema, wenn die Bandscheibe schon kaputt ist.
Genau deshalb ist der Ansatz der alternsgerechten Arbeitsplätze so wichtig. Es gibt im Bereich des Arbeitnehmer:innenschutzgesetzes und im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung auch entsprechende Maßnahmen und Instrumente. Dazu gehören teilweise sehr konkrete Dinge wie das zur Verfügung stellen von Hebe- oder Tragehilfen. Manchmal ist es auch eine Frage der Arbeitszeit und -organisation und damit verbunden, wer welche Arbeiten übernimmt. Generationenübergreifendes Zusammenarbeiten in Teams kann hier sehr wertvoll sein.
Das bedeutet, dass jede:r seine:ihre entsprechenden Stärken einbringt?
Ja. Ältere Arbeitnehmer:innen bringen sehr viele Vorteile mit in das Unternehmen. Sie haben einen großen Erfahrungsschatz und können beispielsweise mit Stresssituationen oft besser umgehen. Ihr Alter darf nicht ständig als belastender Faktor wahrgenommen werden.
Frauen sind von der Thematik besonders betroffen. Zwischen ihrem letzten Beruf und dem tatsächlichen Pensionsantritt liegen hier oft Jahre der Arbeitslosigkeit. Warum ist das so?
Gerade frauendominierte Branchen – Reinigung, Handel, Pflege, Pädagogik oder Sozialberufe – sind physisch und auch psychisch anstrengend. Dazu kommt der laufende Anstieg des gesetzlichen Pensionsantrittsalters von Frauen. Deswegen gilt es, noch mehr darauf zu achten, dass sie länger arbeitsfähig sind. Die große Lücke, die zustande kommt zwischen Pensionsantritt und letzter Beschäftigung, hat aber auch in vielen Fällen mit Unterbrechungen aufgrund von unbezahlter Sorgearbeit zu tun. Die Frauen finden dann oft nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurück, weil Unternehmen ältere Arbeitnehmerinnen nicht mehr so gerne einstellen.
Langzeitarbeitslose Menschen sind zu 54 Prozent über 45 Jahre alt. Ist man damit schon zu alt?
Also 45 Jahre würde ich als Grenze ganz klar verneinen. Das gesetzliche Pensionsantrittsalter liegt bei 65 Jahren, das heißt, diese Menschen können noch 20 Jahre in einem Betrieb arbeiten können. Das sind Personen, die einen Erfahrungsschatz haben, bei denen die Familienplanung bis zu einem gewissen Grad abgeschlossen ist und einen ganz anderen Fokus auf ihren Job legen können. Aber die Arbeitslosenzahlen lassen vermuten, dass es da trotzdem extreme Vorbehalte von Seiten der Arbeitgeber:innen gibt. Da braucht es ein Umdenken.
Ein Umdenken benötigt Zeit. Wie kann ich Langzeitarbeitslosen kurzfristig helfen?
Kurzfristig würden den Menschen Qualifizierungsangebote helfen, damit könnten sie auch in andere Branchen wechseln. Für manche braucht es aber ein alternatives Angebot. Es gab beispielsweise ein Pilotprojekt im Marienthal, in einer ehemaligen Fabrikssiedlung in der Gemeinde Gramatneusiedl (NÖ). Langzeitarbeitslosen Menschen konnten in dem dreijährigen Projekt auf die Arbeitsplatzgarantie bauen. Solche Angebote am zweiten Arbeitsmarkt braucht es, weil die Menschen dabei in einer Tätigkeit bleiben.
Aufgrund der Belastung im Job geht jede 3. Frau und jeder 4. Mann nicht aus der Erwerbstätigkeit heraus in Pension, sondern aus dem Krankenstand oder der Arbeitslosigkeit. Statt neoliberaler Träume braucht es altersgerechte Arbeitsbedingungen!@barbarablaha #Imzentrum pic.twitter.com/xyKptJkqK9
— ÖGB (@oegb_at) September 23, 2024
Alters- und alternsgerechtes Arbeiten ist mit Investitionen verbunden. Was haben Unternehmen davon?
Die Investitionskosten sind oft gar nicht so hoch. Oft geht es um praktische Dinge, wie zum Beispiel, dass wichtige Signaltöne im Betrieb gut hörbar sind oder dass die Belichtung verbessert wird. Da halten sich die Kosten sehr in Grenzen. Der ökonomische Nutzen kann allerdings sehr hoch sein. Denn die Maßnahmen führen zu einer besseren Bindung der Beschäftigten – die Menschen bleiben gerne, weil die Arbeitszufriedenheit steigt, weil sie gesund sind. In Zeiten des demografischen Wandels können es sich Unternehmen auch nicht leisten, auf so viele potenzielle Arbeitnehmer:innen zu verzichten.
Wenn mir als Betriebsratsmitglied das Thema wichtig ist, was tue ich dann?
Altersgerechtes Arbeiten ist eine Verpflichtung des Arbeitgebers, daher gilt es die Geschäftsführung zu überzeugen. Es gibt sehr viele Angebote und Plattformen, die Informationen oder Unterstützungen bieten, wie beispielsweise das Magazin Gesunde Arbeit oder die gemeinsame Seite von Arbeiterkammer, Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer und ÖGB namens Arbeit&Alter. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) bietet zahlreiche Infomaterialien an und mit der Initiative Demografieberatung Digi Plus gibt es auch Beratungsangebote. Und besonders engagierte Betriebe können sich über das Sozialministerium mit dem Nestor GOLD Gütesiegel auszeichnen lassen.
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