Fit bis zur Pension? Das brauchen ältere Beschäftigte

Zwei Frauen in einer Bäckerei. Altersgerechtes Arbeiten ist für jede Branche wichtig.
Vom altersgerechten Arbeiten profitieren sowohl die Beschäftigten als auch das Unternehmen. | © Adobestock/Robert Kneschke
Altersgerechtes Arbeiten bedeutet, dass die Beschäftigten länger und gesünder arbeiten können. Das hilft auch den Unternehmen. Denn entsprechende Maßnahmen müssen nicht teuer sein. Ein Interview mit Julia Stroj, ÖGB-Expertin für Gesundheit.

Die Politik hat entschieden: Frauen müssen seit diesem Jahr später in Pension, denn das Antrittsalter steigt nun alle sechs Monate um ein halbes Jahr. Doch ein grundlegendes Problem bleibt ungelöst: altersgerechtes Arbeiten. Viele Jobs sind schlicht nicht für ältere Beschäftigte gemacht. Wie Unternehmen das ändern können, erklärt Julia Stroj, ÖGB-Expertin für Gesundheit, der Arbeit&Wirtschaft. 

Julia Stroj
arbeitet im Referat Sozialpolitik-Gesundheitspolitik des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB). Sie vertritt außerdem eine der Ansprechpartnerinnen der Plattform Arbeit&Alter. Ein Gemeinschaftsprojekt von Industriellenvereinigung, Bundesarbeitskammer, Österreichischer Gewerkschaftsbund, Wirtschaftskammer Österreich, das sich für altersgerechtes Arbeiten einsetzt.
Portrait Julia Stroj, Gesundheitsexpertin des ÖGB, im Interview über altersgerechtes Arbeiten.
„Altersgerechtes Arbeiten ist eine Verpflichtung des Arbeitgebers“, sagt Julia Stroj, Gesundheitsexpertin des ÖGB. Entsprechende Initiativen helfen auch dem Unternehmen. | © Markus Zahradnik

Altersgerechtes Arbeiten als Zukunftschance

Alters- und alternsgerechtes Arbeiten – Wo liegt da der Unterschied und wie hängt beides zusammen?

Beide Begriffe klingen sehr ähnlich, aber das „n“ macht einen großen Unterschied. Altersgerechtes Arbeiten zielt speziell darauf ab, dass der Arbeitsplatz für das jeweilige Alter geeignet ist. Beim alternsgerechten Arbeiten kommt der Faktor Zeit dazu. Man schaut sich über die gesamte Berufslaufbahn hinweg an, ob die Arbeitsplätze gesund sind, die Arbeitsfähigkeit erhalten oder sie vielleicht sogar fördern. 

Von welchem Alter sprechen wir denn überhaupt, wenn wir von altersgerechter Arbeit sprechen?

Die eine harte Grenze gibt es nicht. Aber natürlich wird es verstärkt ein Thema, wenn die Beschäftigten sich dem Pensionsantrittsalter nähern. 

Betrifft es eher körperliche Berufe?

Der Schichtbetrieb oder körperlich anstrengende Tätigkeiten wie im Bau oder Pflege– und Sozialberufe fallen einem natürlich gleich ein. Aber altersgerechtes Arbeiten ist genauso im Handel ein Thema, wo das viele Sitzen an der Kasse und das Einschlichten mit den Jahren anstrengend wird. Auch Computerarbeitsplätze im Büro können negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. 

Viele denken meist erst an das Thema, wenn die Bandscheibe schon kaputt ist.

Genau deshalb ist der Ansatz der alternsgerechten Arbeitsplätze so wichtig. Es gibt im Bereich des Arbeitnehmer:innenschutzgesetzes und im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung auch entsprechende Maßnahmen und Instrumente. Dazu gehören teilweise sehr konkrete Dinge wie das zur Verfügung stellen von Hebe- oder Tragehilfen. Manchmal ist es auch eine Frage der Arbeitszeit und -organisation und damit verbunden, wer welche Arbeiten übernimmt. Generationenübergreifendes Zusammenarbeiten in Teams kann hier sehr wertvoll sein. 

Das bedeutet, dass jede:r seine:ihre entsprechenden Stärken einbringt?

Ja. Ältere Arbeitnehmer:innen bringen sehr viele Vorteile mit in das Unternehmen. Sie haben einen großen Erfahrungsschatz und können beispielsweise mit Stresssituationen oft besser umgehen. Ihr Alter darf nicht ständig als belastender Faktor wahrgenommen werden.

Frauen sind von der Thematik besonders betroffen. Zwischen ihrem letzten Beruf und dem tatsächlichen Pensionsantritt liegen hier oft Jahre der Arbeitslosigkeit. Warum ist das so?

Gerade frauendominierte Branchen – Reinigung, Handel, Pflege, Pädagogik oder Sozialberufe – sind physisch und auch psychisch anstrengend. Dazu kommt der laufende Anstieg des gesetzlichen Pensionsantrittsalters von Frauen. Deswegen gilt es, noch mehr darauf zu achten, dass sie länger arbeitsfähig sind. Die große Lücke, die zustande kommt zwischen Pensionsantritt und letzter Beschäftigung, hat aber auch in vielen Fällen mit Unterbrechungen aufgrund von unbezahlter Sorgearbeit zu tun. Die Frauen finden dann oft nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurück, weil Unternehmen ältere Arbeitnehmerinnen nicht mehr so gerne einstellen. 

Langzeitarbeitslose Menschen sind zu 54 Prozent über 45 Jahre alt. Ist man damit schon zu alt?

Also 45 Jahre würde ich als Grenze ganz klar verneinen. Das gesetzliche Pensionsantrittsalter liegt bei 65 Jahren, das heißt, diese Menschen nnen noch 20 Jahre in einem Betrieb arbeiten können. Das sind Personen, die einen Erfahrungsschatz haben, bei denen die Familienplanung bis zu einem gewissen Grad abgeschlossen ist und einen ganz anderen Fokus auf ihren Job legen können. Aber die Arbeitslosenzahlen lassen vermuten, dass es da trotzdem extreme Vorbehalte von Seiten der Arbeitgeber:innen gibt. Da braucht es ein Umdenken. 

Ein Umdenken benötigt Zeit. Wie kann ich Langzeitarbeitslosen kurzfristig helfen?

Kurzfristig würden den Menschen Qualifizierungsangebote helfen, damit könnten sie auch in andere Branchen wechseln. Für manche braucht es aber ein alternatives Angebot. Es gab beispielsweise ein Pilotprojekt im Marienthal, in einer ehemaligen Fabrikssiedlung in der Gemeinde Gramatneusiedl (NÖ). Langzeitarbeitslosen Menschen konnten in dem dreijährigen Projekt auf die Arbeitsplatzgarantie bauen. Solche Angebote am zweiten Arbeitsmarkt braucht es, weil die Menschen dabei in einer Tätigkeit bleiben. 

Alters- und alternsgerechtes Arbeiten ist mit Investitionen verbunden. Was haben Unternehmen davon?

Die Investitionskosten sind oft gar nicht so hoch. Oft geht es um praktische Dinge, wie zum Beispiel, dass wichtige Signaltöne im Betrieb gut hörbar sind oder dass die Belichtung verbessert wird. Da halten sich die Kosten sehr in Grenzen. Der ökonomische Nutzen kann allerdings sehr hoch sein. Denn die Maßnahmen führen zu einer besseren Bindung der Beschäftigten – die Menschen bleiben gerne, weil die Arbeitszufriedenheit steigt, weil sie gesund sind. In Zeiten des demografischen Wandels können es sich Unternehmen auch nicht leisten, auf so viele potenzielle Arbeitnehmer:innen zu verzichten. 

Wenn mir als Betriebsratsmitglied das Thema wichtig ist, was tue ich dann?

Altersgerechtes Arbeiten ist eine Verpflichtung des Arbeitgebers, daher gilt es die Geschäftsführung zu überzeugen. Es gibt sehr viele Angebote und Plattformen, die Informationen oder Unterstützungen bieten, wie beispielsweise das Magazin Gesunde Arbeit oder die gemeinsame Seite von Arbeiterkammer, Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer und ÖGB namens Arbeit&Alter. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) bietet zahlreiche Infomaterialien an und mit der Initiative Demografieberatung Digi Plus gibt es auch Beratungsangebote. Und besonders engagierte Betriebe können sich über das Sozialministerium mit dem Nestor GOLD Gütesiegel auszeichnen lassen. 

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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