Alina Brad (Dr. phil.) ist Senior Scientist am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und forscht zu internationaler Klima- und Umweltpolitik und sozial-ökologischer Transformation.
Arbeit&Wirtschaft: Immer wieder hören wir, dass Transformationen notwendig sind, um die Klimakrise zu bewältigen. Von welchen notwendigen Veränderungen sprechen wir da auf gesellschaftspolitischer Ebene?
Dr. phil. Alina Brad: Wir kommen nicht um einen umfassenden Systemwandel herum – ein „Weiter so“ mit „grünen“ Innovationen allein wird nicht ausreichen. Denn die Dekarbonisierung aller Sektoren wird notwendig sein, um die Klimakrise abzuwenden. Und diese Transformationen werden die Gesamtgesellschaft betreffen. Mir schwebt deshalb eine sozial-ökologische Transformation vor, die auch Funktionsprinzipien und soziale Verhältnisse angeht.
Wir brauchen also einen umfassenden Systemwandel. Einfach daheim den Strom öfter abzudrehen, wird also nicht ausreichen?
Nein. Wie viel Emissionen mit dem individuellen Energieverbrauch verbunden sind, hängt im Wesentlichen von den Systemen der Energieversorgung, aber auch materiellen Infrastrukturen ab – und diese Bereiche können nicht ausreichend durch individuelles Verhalten verändert werden. Individuen ein moralisches Konsumverhalten aufzubürden, liegt mir fern. Vielmehr ist der Staat gefragt. Entscheidend ist, dass Infrastrukturen aufgebaut werden, die ein klimafreundliches Leben ermöglichen.
Abseits von klimafreundlichen Infrastrukturen: Müssen wir auch unseren materiellen Wohlstand überdenken, oder kann es so weitergehen wie bisher?
Prinzipiell ist materieller Wohlstand nicht per se schlecht. Dass Menschen ihre Bedürfnisse auch materiell abdecken können, ist ein Erfolg moderner Gesellschaften. Und da auch in Österreich noch viele Menschen von Armut betroffen sind, halte ich einen generellen Fokus auf „Verzicht“ und Wohlstandseinbußen für problematisch. Aber wir wissen, dass einkommensstarke Haushalte weitaus mehr Emissionen verursachen als einkommensschwache Haushalte. Es sind die übermäßigen Konsumformen als wesentlicher Teil kapitalistischer Ökonomien, die zu hinterfragen sind. Übermäßige Konsumformen sind also ein Problem.
Was können wir diesen ganz konkret entgegensetzen?
Klimafreundliche Routinen und Gewohnheiten müssen eine konkrete Alternative sein, etwas anders zu tun als bisher. Ein Beispiel: Eine kostengünstige und praktisch funktionierende Infrastruktur für Hochgeschwindigkeitszüge quer durch Europa könnte ein Gegenentwurf zum Fliegen sein. Auch positive Zukunftsbilder spielen eine Rolle, denn diese können Menschen motivieren. Gleichzeitig zeigen sich immer wieder Widerstände gegen weitreichende Maßnahmen.
Wann wacht die AT Regierung endlich auf und setzt Maßnahmen zum #Klimaschutz ? @lgewessler @Ecolomist @Die_Schlager @younion_at @HeleneSchuberth @oegb_at @Arbeiterkammer @L_Oberndorfer https://t.co/TMQ8bdNfNb
— Sylvia Leodolter (@sleodolter14) March 21, 2023
Wer kämpft gegen diese an?
Es gibt massive Widerstände seitens der Industrien, insbesondere der Öl- und Gasindustrie, weitreichende Klimamaßnahmen umzusetzen. Veränderungen erzeugen außerdem oft Angst, und Veränderungsbereitschaft setzt das Gefühl von Sicherheit voraus. Gleichzeitig sind grüne Alternativen oft teuer. Deshalb muss Klimapolitik mit Umverteilung verbunden sein. Eine soziale Absicherung und eine umfassende Sozialpolitik müssen die Lasten der Transformation abfedern.