Auf dem Weg zur Mitbestimmung: Die Evolution der AK Wahlen

Eine Person wirft einen Stimmzettel in eine Wahlurne. Symbolbild für die AK Wahlen.
Wer die Wahl hat, hat die Qual: Die AK-Wahlen stehen bevor. | © New Africa
Die Vorbereitungen für die Arbeiterkammerwahlen sind im vollen Gange. Arbeitnehmer: innen stimmen darüber ab, wofür sich ihre Interessensvertretung in den nächsten fünf Jahren einsetzt. Aber wie kam es überhaupt dazu? Die Historikerin Brigitte Pellar erklärt, wie die „demokratischste Wahlen“ Österreichs entstanden sind.
Von Februar bis April 2024 ist es soweit: Bei den AK-Wahl bestimmen Arbeitnehmer:innen mit, wofür sich die Arbeiterkammer in den nächsten fünf Jahren einsetzen soll. Die Staatsbürgerschaft ist dabei egal, jedes AK-Mitglied ist wahlberechtigt. Warum das so wichtig ist, wie die AK Wahlen ablaufen und sich historisch entwickelt haben, erklärt die Gewerkschaftshistorikerin Brigitte Pellar.

Zur Person
Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der Arbeitnehmer:innen-Interessenvertretungen. Sie war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

Was und wer soll überhaupt gewählt werden?

Pellar: Gewählt werden Kandidat:innen, die von „wahlwerbenden Gruppen“ aufgestellt werden und die für die Arbeitnehmer:innenparlamente der Bundesländer, die Vollversammlungen, kandidieren. Die Vollversammlungen sind das Herz der demokratischen Selbstverwaltung, und damit der gesetzlichen Interessenvertretung, die ausschließlich für die Arbeitnehmer:innen einzutreten hat.

Was bedeutet eigentlich „Selbstverwaltung“? Und welche Rolle spielt sie?

Die Selbstverwaltung, wie sie in Österreich besteht, ist eine Ausweitung der demokratischen Mitbestimmung über das Wahlrecht für den Nationalrat und die Landtage hinaus. Sie ist seit 2008 auch in der Verfassung verankert. Es gibt unterschiedliche Bereiche der Selbstverwaltung. Demokratische Bewegungen forderten eine Gemeindeselbstverwaltung beispielsweise schon vor Jahrhunderten, ermöglichten sie nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend, verwirklichten sie aber erst in der Zweiten Republik vollständig. Seit den 1920er Jahren werden Bürgermeister:innen nicht mehr von oben eingesetzt, statt dessen werden Gemeinderäte und Bürgermeister:innen durch die Bewohner:innen in demokratischen Wahlen bestellt. Im Gesetz wird festgelegt, wer als Gemeindebürger:in anerkannt ist und damit das Wahlrecht besitzt. Man kann sich das nicht selbst aussuchen und „Gemeindemitglied“ werden, weil sonst das Recht auf Mitbestimmung eingeschränkt würde. Die Aufgabe der Gemeindeselbstverwaltung ist es gute Lebensbedingungen für die Einwohner:innen zu schaffen, sowie die Gemeindeinteressen in Land, Bund und bei europäischen Entscheidungen zu vertreten.

Brigitte Pellar erzählt von den AK Wahlen.
„Die Vollversammlungen sind das Herz der demokratischen Selbstverwaltung.“ | © Nurith Wagner-Strauss | © Nurith Wagner-Strauss

Andererseits gibt es die Kammern als gesetzlich geschaffene Interessenvertretungen und die Selbstverwaltung der Sozialversicherung, und sie geht von ganz ähnlichen Demokratievorstellungen aus: Der Staat verzichtet auf einige seiner Hoheitsrechte und überträgt sie den von den politischen Entscheidungen Betroffenen. Die Sozialversicherung ist ein eigenes Thema, daher dazu nur ein Satz: Während der letzten 20 Jahre wurde durch den Umbau der Sozialversicherungsorgane eine wichtige Möglichkeit zur Mitbestimmung für Arbeitnehmer:innen massiv eingeschränkt. Umso wichtiger ist eine starke Arbeiterkammer, die die Entwicklung bei der Sozialversicherung im Auge behalten kann, zumal die Vollversammlungen die Vertreter:innen der Versicherten entsenden.

Welche Bedeutung haben die AK Wahlen für die Verteidigung und Durchsetzung der Interessen der Arbeitnehmer:innen?

Die Arbeiterkammern sind gleichzeitig mit der österreichischen Demokratie entstanden. Die Handelskammern, die heutigen Wirtschaftskammern, gab es damals schon mehr als 70 Jahre und die Unternehmer:innen wollten auf keinen Fall auf ihre gesetzliche Interessenvertretung verzichten. Die neuen demokratischen Grundsätze besagten aber, wie es dann 1920 in der Verfassung bestimmt wurde: „Vorrechte des Standes, der Klasse sind ausgeschlossen“. Es war klar: die Arbeitnehmer:innen müssen eine gleichberechtigte Interessenvertretung bekommen, und das erste AK-Gesetz wurde einstimmig beschlossen.

Die AK Wahlen sind gerade dann wichtig, wenn die Mehrheit im Parlament und die Regierung, die sich auf sie stützt, Arbeitnehmer:inneninteressen nicht für wichtig nehmen oder es sogar ablehnen, sie zu beachten. Die Arbeiterkammern haben das Recht auf Gesetzesbegutachtung und darauf, sich bei Maßnahmen und Entscheidungen der Regierung politisch einzumischen. Ihre Stimme kann nicht unterdrückt werden, außer man schafft sie ab, wie sich das einige Parteien wünschen. Bisher sind allerdings alle Versuche in diese Richtung gescheitert, weil immer wieder Umfragen und auch eine Mitgliederbefragung 1996 bestätigt haben, dass die Arbeitnehmer:innen auf ihre AK nicht verzichten wollen. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts OGM weist die Arbeiterkammer nach Volksanwaltschaft und Polizei als jene Institution aus, der die Bevölkerung am meisten vertraut.

Welche Aufgaben haben die von den Arbeitnehmer:innen eines Bundeslandes gewählten Vollversammlungen?

Die Vollversammlungen der Bundesländer treten zwar in der Regel nur zweimal im Jahr zusammen, aber sie bestimmen die Schwerpunkte bei der Interessenvertretung. Sie wählen aus ihren Mitgliedern – den Kammerrät:innen – die Gremien und Personen, die die laufende interessenpolitische Arbeit machen, also vor allem den/die Präsident:in und den Vorstand. Der Selbstverwaltung sind die Expert:innen der AK-Büros direkt verantwortlich. Die Vollversammlungen delegieren ihre Vertreter:innen in der Hauptversammlung der Bundesarbeiterkammer, die die gesamtösterreichischen AK-Gremien und den/die Präsident:in der AK Österreich wählt. Die Hauptversammlung beschließt die interessenspolitischen Grundsätze, die sie dann in der österreichischen Politik vertritt.

Mehr zur Aufgabe der AK-Gremien und der Kammerrät:innen
Der von der Vollversammlung gewählte Vorstand entscheidet zwischen ihren Zusammenkünften in allen zentralen Fragen. Die/der Präsident:in und der/die Direktor:in des AK-Büros sind ihm verantwortlich und berichtspflichtig. Der Vorstand kann Ausschüsse einsetzen, die wie die Nationalratsausschüsse über Gesetzes- und Verordnungsentwürfe beraten, etwa zu Sozial- und Finanzpolitik oder Frauenarbeit. Die Ausschüsse entscheiden, ob ein Vorschlag der beratenden AK-Expert:innen als Stellungnahme an Regierung und Parlament weitergeleitet wird. Die Vollversammlung wählt auch den AK-Kontrollausschuss. In ihm müssen alle Fraktionen der Vollversammlung vertreten sein und den Vorsitz führt grundsätzlich der/die Vertreter:in einer Minderheitsfraktion. Die Delegierten der Vollversammlungen in der Hauptversammlung beschließen auch die Richtlinien, die für alle Arbeiterkammern gelten.  Ein eigenes Büro hat die AK Österreich im Gegensatz zur Wirtschaftskammer Österreich nicht, das Büro der AK Wien ist gleichzeitig auch für sie zuständig. Das hat zur Folge, dass die Kammerrät.innen in den Ausschüssen der AK Wien besonders intensiv mit bundespolitischen Fragen befasst sind.

Wer ist bei den Wahlen zu den AK-Vollversammlungen wahlberechtigt und wer darf kandidieren?

In ganz Österreich haben etwa 3,7 Millionen Arbeitnehmer:innen bei AK Wahlen das Wahlrecht. Damit sind sie nach den Nationalratswahlen die politischen Entscheidungen, bei denen die meisten in Österreich lebenden Menschen mitbestimmen können. Die Regeln sind dem Wahlrecht für den Nationalrat angepasst, nur eben beschränkt auf Arbeitnehmer:innen, Lehrlinge eingeschlossen. Auch Arbeitslose können unter bestimmten Voraussetzungen mitmachen.

Entscheidend ist nicht, wo man wohnt, sondern wo man arbeitet. Und kandidieren dürfen alle, die auch wählen dürfen und 19 Jahre alt sind. Eine Besonderheit: Es handelt sich um die einzigen Wahlen in Österreich, bei denen die Staatsbürgerschaft egal ist, und das gilt auch für Arbeitnehmer:innen aus sogenannten Drittstaaten außerhalb der EU. Für viele der 30 Prozent Einwohner:innen von Wien, die von den Nationalratswahlen ausgeschlossen sind, ist das die einzige Chance auf Mitbestimmung. Das gilt natürlich auch für viele Beschäftigte in den Bundesländern.

Arbeitnehmer:innen, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben und auch keine EU-Bürger:innen sind, dürfen also wählen und auch gewählt werden. War das schon immer so?

Das sogenannte aktive Wahlrecht, also das Recht zu wählen, gibt es seit den ersten AK Wahlen 1921/1922. In der Zeit des Austrofaschismus 1934 bis 1938 bestanden die Arbeiterkammern zwar weiter, aber sie waren keine eigenständige Interessenvertretung mehr und ihre Gremien wurden vom Staat eingesetzt. Demokratische Wahlen gab es so wenig wie unter dem Nationalsozialismus, der die AK dann vollständig abschaffte. Als sie auf Initiative der Gewerkschaft 1945 als demokratische Einrichtung wiedererrichtet wurde, übernahm man das Wahlrecht unabhängig von der Staatsbürgerschaft aus der Ersten Republik. Allerdings sollte es noch bis 2006 dauern, ehe auch das passive Wahlrecht, das Recht zu kandidieren, durchgesetzt werden konnte.

Die AK Wahlen sind gerade dann wichtig,
wenn die Mehrheit im Parlament und die Regierung,
die sich auf sie stützt, Arbeitnehmer:inneninteressen nicht für wichtig nehmen
oder es sogar ablehnen, sie zu beachten.

Wer sind die „wahlwerbenden Gruppen“, also die Arbeitnehmer:innen-Parteien, die bei den AK-Wahlen antreten, mit welchen Programmen werben sie um die Stimmen der Arbeitnehmer:innen und wer sind die Kandidat:innen auf ihren Listen?

Die meisten „wahlwerbenden Gruppen“ bei den AK Wahlen sind die großen Fraktionen des Österreichischen Gewerkschaftsbunds. Aber es treten auch viele kleine Gruppen an und wie viele es in welchem Bundesland 2024 sein werden, wissen wir noch nicht, da die Frist für die Bekanntgabe der Kandidatur noch nicht abgelaufen ist.

Es ist Sache der „wahlwerbenden Gruppen“, ihre Programme bekanntzumachen und dafür um Zustimmung zu werben, wie das bei jeder demokratischen Wahl geschieht. Dabei ging und geht es letzten Endes immer um die Auseinandersetzung darüber, wie die Interessen der Arbeitnehmer:innen am besten vertreten werden können und welche Rolle der Sozialstaat dabei spielen soll. Zentrales Thema ist dieses Mal sicher der Kampf gegen die Inflation. Dass die Oppositionsfraktionen die Tätigkeit der jeweiligen Mehrheitsfraktion während der vergangenen fünf Jahre unter Beschuss nehmen, ist fast selbstverständlich.

Auf den Listen der „wahlwerbenden Gruppen“ befinden sich in der großen Mehrheit Gewerkschafter:innen und Betriebsrät:innen, die in der Regel ja auch Gewerkschafter:innen sind. Sie haben es allerdings viel schwieriger als Kandidat:innen politischer Parteien bei Nationalrats- oder Landtagswahlen, sich und das Programm ihrer Fraktion über den eigenen Betrieb, die eigene Gewerkschaft hinaus bekannt zu machen. Diese Möglichkeit bleibt, von der Internetnutzung abgesehen, fast nur den Spitzenkandidat:innen vorbehalten. Sie bestreiten ihren Wahlkampf auch durch Betriebsbesuche, Fernsehauftritte oder Zeitungsinterviews.

Hier knüpft gleich meine nächste Frage an: Wie erfahren die Arbeitnehmer:innen, wie sie an den AK Wahlen teilnehmen können und wie sieht die Organisation der Wahlen aus?

Hier sei gleich vorweggenommen: Es gehört zur politischen Unabhängigkeit der Interessenvertretung, dass die Arbeiterkammern die Wahlen nur mit Unterstützung der Betriebsräte völlig eigenständig organisierten. Die einzige staatliche Beteiligung besteht darin, dass das als Aufsichtsbehörde zuständige Ministerium überwacht, ob die gesetzlichen Vorgaben korrekt eingehalten werden. Die Organisationsleistung ist herausfordernd. Wo immer die Voraussetzungen vorhanden sind, soll die Wahl direkt im Betrieb möglich sein, das Ausstellen von Wahlkarten muss organisiert werden, mit denen man seine Stimme per Briefwahl oder in einem öffentlichen Wahllokal abgeben kann. Im Vorfeld müssen die Wähler:innenlisten erstellt werden und jene, die nicht automatisch wahlberechtigt sind, müssen die Möglichkeit haben, die Berechtigung nachträglich zu erhalten, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen.

Die Wahlkommissionen müssen zusammengestellt werden und vor allem ist es das Recht aller der AK-zugehörigen Arbeitnehmer:innen, in vollem Umfang über die Beteiligungsmöglichkeiten informiert zu werden. In diesem Zusammenhang kommt dem Wiener AK-Büro über die Wahl-Organisation im eigenen Bundesland hinaus eine besonders wichtige Aufgabe zu, nämlich die gemeinsame Informationskampagne der AK Österreich über die Bedeutung der AK Wahlen. Sie ist neben den Information durch Betriebsrät:innen und Gewerkschafter:innen die entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Arbeitnehmer:innen ihr Wahlrecht tatsächlich in Anspruch nehmen. Und eine gute Wahlbeteiligung ist eine große Unterstützung dafür, dass die Stimme der Arbeitnehmer:innen gehört werden muss.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp

arbeitet seit 2013 als freie Journalistin und gestaltet Print- und Radiobeiträge. Sie ist Podcasterin (z.B. dabei sein im Arbeitsleben und Freakcasters) und ihre Schwerpunktthemen sind Inklusion, Arbeitsmarkt und soziale Gerechtigkeit.

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