Weibliche Interessen

Foto (C) ÖGB-Verlag/Michael Mazohl
Marion Polaschek, Betriebsrätin der Uni Wien, profitierte vom frauenpolitischen Lehrgang des VÖGB. Besonders zu schätzen weiß sie, dass sie jetzt besser vernetzt ist.
Seit mehr als 100 Jahren setzen sich Frauen für ihre KollegInnen ein. An vielen Stellen dominieren aber weiter die Männer.
Eine Frau als Vorsitzende eines Konzernbetriebsrats, das ist sogar Tageszeitungen einen längeren Artikel wert: Im Mai 2018 wurde Christine Asperger Betriebsratsvorsitzende im OMV-Konzern. Worauf die 54-Jährige, der Gleichstellungspolitik ein großes Anliegen ist, derzeit besonders stolz ist: Die Belegschaftsvertretung der OMV hat zum „Papamonat“ eine wirklich einzigartige Vereinbarung fixieren können. Das derzeit viel diskutierte Thema wurde erfolgreich in einer Betriebsvereinbarung verankert und wird von den jungen Vätern sehr gut angenommen.

Erst Anfang 1929 wurde die Frauensektion der Gewerkschaft konstituiert.
An sich sind Frauen in Betriebsräten nichts Neues. Schon als diese noch Vertrauenspersonen hießen und juristisch nicht anerkannt waren, setzten sie sich für ihre KollegInnen ein. 1895 soll in einer Nickelfabrik die erste Vertrauensfrau diese Funktion übernommen haben. Diese Frauen hatten es sicher nicht leicht, in der Männerdomäne vor Ort und auch innerhalb der Gewerkschaft dauerte es einige Zeit, bis männliche Widerstände überwunden waren. 1910 etwa begrüßte Anton Hueber prinzipiell weibliches Engagement, aber er war gegen eine eigene Frauenorganisation: „Fällt uns gar nicht ein, uns auch in solche separate Geschichten einzulassen.“ Erst Anfang 1929 wurde dann tatsächlich die Frauensektion der Gewerkschaft konstituiert und Anna Boschek zur Vorsitzenden bestellt.

Brot oder Gewerkschaft

Während des Ersten Weltkriegs gab es etwa 1917 bei den MetallarbeiterInnen fast fünfmal mehr Frauen als 1914. Der Anteil weiblicher Gewerkschaftsmitglieder stieg aber nur um das Dreifache.
Der Organisationsgrad weiblicher Beschäftigter war von Anfang an viel niedriger als der der Männer – auch weil sich viele die Beiträge einfach nicht leisten konnten. Während des Ersten Weltkriegs stieg in vielen Branchen der Frauenanteil unter den Beschäftigten. So gab es etwa 1917 bei den MetallarbeiterInnen fast fünfmal mehr Frauen als 1914. Der Anteil weiblicher Gewerkschaftsmitglieder stieg aber nur um das Dreifache.

Rückkehr in die Hauswirtschaft?

Als der Krieg vorbei war, hungerten alle, und es gab kaum Kohle zum Heizen. Von den Frauen wurde erwartet, Platz zu machen. Es sei, so ein Erlass des Staatsrats für soziale Fragen, „einer Frau zumutbar, wieder jene Tätigkeit auszuüben, die sie vor 1914 geleistet hat, und ein möglichst großer Teil soll zur Hauswirtschaft zurückkehren“.

Das wiederum konnten sich viele gar nicht leisten. Auch die Sozialdemokratin Rosa Jochmann (1901–1994) arbeitete seit ihrem 14. Lebensjahr in der Fabrik. Mit 18 Jahren wurde sie Betriebsratsvorsitzende in einer Simmeringer Fabrik für Gasglühstrümpfe. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Sache der Frauen in der Gewerkschaft rascher voran, schon im Juni 1945 wurde das Frauenreferat im provisorischen Gewerkschaftsbund eingerichtet.

Als dann im Laufe der Zeit die Wirtschaft florierte, arbeiteten immer mehr Frauen in Teilzeit. Trotzdem wuchs der Anteil weiblicher ÖGB-Mitglieder kontinuierlich. 1980 wurde die 30-Prozent-Marke erreicht.

Gleicher Lohn und Quote

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Das sind seit Jahrzehnten die großen Themen der ÖGB-Frauen. Auch um hier mehr zu erreichen, wurde immer wieder über Frauenquoten diskutiert. 2006 schließlich wurde bei einer ÖGB-Reformklausur beschlossen, dass Frauen in allen Gremien verpflichtend mindestens entsprechend dem weiblichen Mitgliederanteil vertreten sein müssen – was allerdings bis heute noch nicht in allen Gewerkschaften der Fall ist.

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Das sind seit Jahrzehnten die großen Themen der ÖGB-Frauen.

Zwischen 2003 und 2013 hat sich der Anteil weiblicher Betriebsratsvorsitzender um rund vier Prozent auf 23 Prozent erhöht. Knapp 33,5 Prozent aktive Betriebsrätinnen meldete der ÖGB für 2017. Das ist etwas weniger als die Frauenquote unter den Mitgliedern (36 Prozent).

2011 befragten die ÖGB-Frauen in Oberösterreich ihre weiblichen Mitglieder, um herauszufinden, unter welchen Umständen sich Frauen verstärkt in Gewerkschaften engagieren oder eine Funktion übernehmen würden. „90 Prozent der Frauen haben geantwortet, dass sie zunächst zahlreiche Schulungen absolvieren müssten, bevor sie sich eine Funktion zutrauen“, erinnert sich Bettina Stadlbauer vom ÖGB Oberösterreich. „Diesen Blödsinn wollten wir ihnen schleunigst ausreden und etwas entgegensetzen.“

Dieses „Den-Rücken-Stärken“ übernimmt zum Teil der VÖGB (Verband österreichischer gewerkschaftlicher Bildung), der beispielsweise seit 2010 in Kooperation mit den ÖGB-Frauen den Frauenpolitischen Lehrgang anbietet. „Zielgruppen sind Betriebsrätinnen und Frauensekretärinnen aus ganz Österreich“, erklärt Lehrgangsleiterin Tina-Bianca Ennikl. Der Lehrgang besteht aus vier Modulen. „Hier treffen sich Frauen mit unterschiedlichem Hintergrund, Alter, Erfahrungswerten, Berufsrealitäten und aus unterschiedlichsten Branchen, um mit Wissen angereichert und entsprechenden Werkzeugen ausgerüstet zu werden.

Auch die persönliche Weiterentwicklung und der Erfahrungsaustausch werden forciert.“ Ab drei Kindern, was selten vorkommt, ist Kinderbetreuung möglich. Bei weniger Kindern können die Aufenthaltskosten für eine Begleitperson teilweise übernommen werden. So ist eine Teilnahme an den dreitägigen Modulen auch für Mütter mit kleinen Kindern möglich, die aus den Bundesländern anreisen.

Ideale Lösung

Eine davon war 2017 Nicole Mayr, Betriebsrätin bei BMW Motoren Steyr und in der Frauenarbeit von PRO-GE aktiv. Die gelernte Produktionstechnikerin war Ersatzbetriebsrätin und schwanger, als der Frauenpolitische Lehrgang startete. In der Sommerpause kam dann ihr Sohn zur Welt. Gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester und dem zwei Monate alten Baby fuhr Nicole Mayr dann nach Wien. „Das war eine ideale Lösung, so konnte ich mich voll auf das Seminar konzen­trieren“, erzählt sie. Jetzt, nach der Karenz, profitiert sie als aktive Betriebsrätin vom Lehrgang.

„Ich habe schon als Jugendvertrauensrätin einen Rhetorik-Kurs gemacht, doch der Lehrgang hat mein Selbstbewusstsein wieder merklich gestärkt. Mein Motto ist, nicht zu lange nachzudenken. Wenn mich etwas interessiert, dann mache ich es einfach.“ Nur 20 Prozent der Beschäftigten bei BMW Motoren Steyr sind Frauen, noch niedriger ist die Quote im Betriebsrat (4 Frauen und 36 Männer).

Nicole Mayr ist allerdings zuversichtlich, dass sich das nach der BR-Wahl in rund einem Monat ändern wird. Auch Marion Polaschek hat vom Lehrgang profitiert: „Es war ein enormer Wissensgewinn und der Austausch mit den Kolleginnen sehr wertvoll.“ Sie ist seit 2012 Betriebsrätin und seit 2014 Erste stellvertretende Vorsitzende des Angestellten-Betriebsrats der Universität Wien.

Geschätzte Vernetzung

„Ich hatte immer im Kopf, dass ich etwas für die weiblichen MitarbeiterInnen machen möchte, wusste aber nicht genau, was. Jetzt habe ich zum Beispiel zum Frauentag einen Workshop organisiert. Ich war auch schon vorher nicht schüchtern, habe aber jetzt durch den Lehrgang mehr Selbstbewusstsein, um konkrete Angebote zu machen, Aussendungen zu verfassen, mich durchzusetzen et cetera.“ Als Gewerkschafterin weiß Marion Polaschek besonders zu schätzen, dass sie jetzt besser vernetzt ist. „Ich wusste zwar früher auch schon, dass ich mich mit meinen Anliegen und Fragen an den ÖGB wenden kann, aber die Strukturen sind mir jetzt klarer.“

Als Betriebsrätin ist es für Marion Polaschek weiterhin ein Thema, Frauen nach vorne zu bringen. Wenden sich Kolleginnen hauptsächlich an sie, weil sie eine weibliche Ansprechperson möchten? „Interessante Frage, aber ich denke nicht. Ich war vor meiner Betriebsratstätigkeit schon zehn Jahre im Betrieb und komme aus dem IT-Bereich. Eines meiner Themen ist daher Datenschutz, und das weiß man hier.“

Außerdem habe sie sich immer für mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie engagiert, so die Betriebsrätin. „Ich habe zum Beispiel eine Kinderbetreuung für Fenstertage organisiert. Vereinbarkeit ist nach wie vor ein zentrales Thema meiner Arbeit, um das sich allerdings vor allem Frauen kümmern. Erst langsam steigt bei den jüngeren Männern das Interesse daran.“

ÖGB-Frauen:
www.oegb.at/frauen
Spaziergang Gewerkschaftliche Frauengeschichte
tinyurl.com/yxa5rdga

Von
Astrid Fadler
Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/19.

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