Für die Wirtschaft lernen – und nicht für das Leben

Illustration Wirschaftsmotor Bildung
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Im Bildungssystem kurzfristig einen wirtschaftlichen Fokus einzuschlagen könnte sich langfristig als Trugschluss erweisen. Ein Kommentar.
Digitalisierung und Wirtschaft sind die Liebkinder der amtierenden Bundesregierung. Beide ausschließlich positiv besetzt, werden allfällige negative Auswirkungen am liebsten totgeschwiegen. Das bestätigt sich bei einem Blick in das Regierungsprogramm – und dominiert genauso die angestrebte Bildungspolitik. Das Stichwort „Digitalisierung“ schwebt über allem. Von der Ausbildung der LehrerInnen bis zum Unterricht, von digitalisierten Schulbüchern ist die Rede wie von der Programmiersprache Scratch, in die bereits TaferlklasslerInnen eingeführt werden sollen.

Wer der Digitalisierung das Wort redet, meint damit ebenfalls Förderung der Wirtschaft – allein aufgrund der notwendigen Infrastruktur von PC-Standgeräten bis hin zu Tablets. Zumal im (Hoch-)Schul-, Aus- und Weiterbildungsbereich. Sind doch in den öffentlichen Schulen noch viele Klassenzimmer mit jahrzehntealten dicken Röhrenfernsehapparaten bestückt (die nie zum Einsatz kommen) und die veralteten Geräte in den Computerräumen oftmals defekt.

Lehrplan: wirtschaftliche Kompetenz

Davon abgesehen, ist der Wirtschaftsfaktor Digitalisierung längst in den Bildungskanon ebenso eingezogen. Das bringt den Vorteil mit sich, dass die SchulabsolventInnen einigermaßen Schritt halten mit der zuvorderst aus wirtschaftlichen Überlegungen vorangetriebenen Software- und Hardware-Industrie: Es ist nun mal eine Tatsache, dass statt Faxen und Briefen im Berufsleben des 21. Jahrhunderts meist E-Mails verschickt werden und Kollaborationssoftware eingesetzt wird. Dem kann sich niemand verschließen, der am Wirtschaftsleben teilnimmt. Auffallend ist vielmehr, dass gemäß Regierungsprogramm 20172022 nicht nur Ziel ist, „die Vermittlung digitaler Grundkompetenzen als Teil der Lehrpläne“ zu verankern.

 Auffallend ist vielmehr, dass gemäß Regierungsprogramm 20172022 nicht nur Ziel ist, „die Vermittlung digitaler Grundkompetenzen als Teil der Lehrpläne“ zu verankern, sondern ausdrücklich „wirtschaftliche Kompetenz und unternehmerisches Denken“.

Sondern ausdrücklich „wirtschaftliche Kompetenz und unternehmerisches Denken“ sollen in den Lehrplänen etabliert werden. Bei LehrerInnen ist explizit „Wirtschaftsverständnis“ als inhaltlicher Schwerpunkt angeführt in einem geplanten neuen Bundesgesetz für alle PädagogInnen. Freilich hätte die Regierung genauso gut „Weltoffenheit“, „Zivilcourage“, „Empathie“ oder „nachhaltiger, ethischer Lebensstil“ als Vorsätze für unser Land festschreiben können, oder dass alle Schüler ein Musikinstrument beherrschen sollen. Hat sie aber nicht.

Mit vielen Studienrichtungen fangen die Unternehmen nichts an.

Margarete Schramböck, ÖVP-Wirtschaftsministerin

Vor dem Hintergrund der wirtschaftsfreundlichen Schwerpunktsetzung in sämtlichen Politikbereichen ist es daher nicht verwunderlich, dass sich die Wirtschaftsministerin und Ex-Telekom-Managerin Margarete Schramböck dahingehend äußerte, Österreichs Gymnasien würden „oft am Markt vorbei produzieren“. Und: „Mit vielen Studienrichtungen fangen die Unternehmen nichts an.“ Sollte diese Denkweise tatsächlich auf lange Zeit mehrheitsfähig sein, riskiert eines der ökonomisch wohlhabendsten Länder der Welt wie Österreich, seines traditionellen Kulturgutes verlustig zu gehen.

„Am Markt vorbeiproduzieren“

Doch die Kurz/Strache-Regierung setzt das fort, was die schwarz-blaue Regierung zu Beginn der 2000er-Jahre initiierte – bloß in etwas plumperer Art und Weise. Die Ex-Volksschullehrerin Elisabeth Gehrer, als Unterrichts- und Wissenschaftsministerin auch zuständig für den tertiären Sektor der Universitäten, führte etwa die Fachhochschulen – gepriesen als praxisnahe Ausbildung in Kooperation mit der Wirtschaft – ein. Das hatte nicht nur positive Auswirkungen wie die Anhebung der AkademikerInnenquote Österreichs, sondern sorgte auch für eine Flut an AbsolventInnen in manchen Branchen, namentlich im Journalismus; Dumping-Bezahlung für BerufseinsteigerInnen ist eine der Folgen.

Das hatte nicht nur positive Auswirkungen wie die Anhebung der AkademikerInnenquote Österreichs, sondern sorgte auch für eine Flut an AbsolventInnen in manchen Branchen, namentlich im Journalismus; Dumping-Bezahlung für BerufseinsteigerInnen ist eine der Folgen.

Ex-Ministerin Gehrer wurde vorgeworfen, die unter ihrer Ägide durchgeführten Reformen seien lediglich auf die Interessen von Lobbys aus der Wirtschaft zugeschnitten. Dazu zählt die Lockerung des Werbeverbots an Schulen (1996 noch unter der SPÖ-ÖVP-Koalition, Anm.) genauso wie die Einführung der kostspieligen, statistischen Bildungstests (PISA etc.) der OECD. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat, wie der Name suggeriert, eine stark ökonomisch geprägte Sicht der Welt. Geschichte, Geografie, Sozialwissenschaften, Musik, Kunst, Handwerk oder Bewegung werden denn auch vernachlässigt.

Kann das gut gehen?

Das geht gut, solange AbsolventInnen und letztlich ArbeitnehmerInnen in ein dominierendes Mainstream-Schema passen. Sobald jedoch keine ZollbeamtInnen mehr im globalisierten Europa benötigt, TankwartInnen oder andere handwerkliche Fachkräfte durch Automatisierung und Digitalisierung überflüssig werden, springt (noch) die öffentliche Hand ein. Und sei es, weil Hunderte ArbeitnehmerInnen einer Branche, wie der Cashcow Automobil, entlassen werden, beim Arbeitsmarktservice landen und allenfalls umgeschult werden. Oder weil WiedereinsteigerInnen – nachdem sie ihre Berufsbiografie jahrelang wegen betreuungspflichtiger Kinder und möglicherweise unzureichender Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen unterbrochen haben – eine Umschulung weg von ihrem verwaisten Beruf hin zu einer Ausbildung als OrdinationsassistentInnen bezahlt wird.

Zu kurzfristig gedacht, ist oft zu kurzfristig und somit langfristig teurer ausgebildet und finanziert.

Über den/die Autor:in

Heike Hausensteiner

Heike Hausensteiner ist seit ihrer Schulzeit Anhängerin der Aufklärung. Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie im Burgenland, studierte sie Sprach- und Europawissenschaften in Paris, Mailand, Wien und Krems/Donau. Als politische Redakteurin begann sie ihre journalistische Laufbahn 1996 bei der "Wiener Zeitung", wo sie u.a. auch das Europa-Ressort gründete. Nach einjähriger Baby-Karenz machte sie sich 2006 selbstständig und arbeitet seither als freie Journalistin für Zeitungen, Magazine und Online-Medien in Österreich und Deutschland sowie als Autorin (u.a. "Im Maschinenraum Europas. Die österreichische Sozialdemokratie im Europäischen Parlament", 2013) und Moderatorin. Sie lebt mit ihrer Familie und 2 Katzen in Wien.

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