Geht’s dem Sozialstaat gut, geht’s der Wirtschaft gut

Illustration Wirtschaftsmotor Sozialstaat
Illustration (C) Natalia Nowakowska
Geht es um den Sozialstaat, dreht sich alles um die Frage: Was kostet er? Was er uns bringt, wird selten diskutiert. Bei der Wirtschaft ist das genau umgekehrt. Fakt ist jedoch: Auch Unternehmen profitieren vom Sozialstaat.
Welchen Satz wiederholt die Wirtschaftskammer wie ein Mantra? „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut.“ Doch für den Erfolg, die Qualität und die Krisenfestigkeit des Wirtschaftsstandorts Österreich ist auch eines unabdingbar: der Sozialstaat. „Die guten sozialen Errungenschaften und Standards sind zentrale Voraussetzungen für den gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolg“, so Adi Buxbaum, Referent der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien.

Er spricht in diesem Zusammenhang von einem Kreislauf, bei dem die unterschiedlichen Komponenten wie Zahnräder ineinandergreifen, was auch die folgende Abbildung zeigt:

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Wer schafft die Arbeit?

Die Wirtschaft schafft die Arbeit – ein Satz von Sozialministerin Hartinger-Klein, der durch die Medien ging und seither in aller Munde ist. Doch Arbeitsplätze entstehen auch an anderen Stellen: Das öffentliche Angebot bzw. die öffentliche Finanzierung von Dienstleistungen für Gesundheit, Pflege, Kinderbetreuung und Bildung schafft ebenfalls Arbeitsplätze. Doch der Sozialstaat kann noch viel mehr und bietet durch seine Leistungen auch Rückhalt für Unternehmen.

Wenn man ihn lässt, kann der Sozialstaat enorm viel.

Vera Lacina, Referentin der Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien

„Wenn man ihn lässt, kann der Sozialstaat enorm viel“, betont Vera Lacina, Referentin der Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien. Sie bezieht sich dabei auf eine aktuelle WIFO-Studie, die die positiven Effekte des Sozialstaats für die Menschen, die Gesellschaft und den Wirtschaftsstandort insgesamt aufzeigt:

Sozialleistungen stützen Kaufkraft und schaffen Beschäftigung

Unternehmen profitieren vor allem in konjunkturell schwierigen Zeiten davon, dass monetäre Sozialleistungen die Kaufkraft stützen und so die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisieren.

Denken wir beispielsweise das Szenario einer Wirtschaftskrise ohne Sozialleistungen: Fakt ist, dass in solch besonders schwachen Konjunkturphasen die Arbeitslosigkeit steigt. Der Verlust eines Jobs bringt enorme negative Auswirkungen mit sich – sowohl für die Personen, die zwischenzeitlich keine Arbeit haben, als auch für Unternehmen. Der Sozialstaat sorgt in diesem schwierigen Lebensabschnitt durch das Arbeitslosengeld für die finanzielle Absicherung der betroffenen Menschen. Dadurch steht ihnen das Geld zur Verfügung, mit dem sie ihren Lebensalltag bestreiten können.

Ohne diese Sozialleistung würde sich bei Unternehmen ein deutlicher Rückgang der Verkaufszahlen bemerkbar machen. Denn wo kein Geld, da auch kein regulärer Konsum von Produkten und keine übliche Inanspruchnahme von Dienstleistungen.

Bildungsinvestitionen sind Investitionen in die Zukunft

Durch Investitionen in die Bildung werden die Innovations- und Entwicklungsfähigkeit des Landes gesteigert, die Erwerbsbeteiligung erhöht und das Produktionspotenzial gehoben.
Der Zugang zu und die Qualität von Bildungsangeboten sowie Gesundheitsleistungen sind wichtige Determinanten der Lebensqualität. Und nicht zuletzt sind gut qualifizierte und gesunde Arbeitskräfte auch für Unternehmen essenziell.

Denn was wäre ein Unternehmen ohne seine MitarbeiterInnen, die das System am Laufen halten? Ohne ihre Expertise? Ohne ihren Einsatz? Jeder Betrieb sucht sich am Arbeitsmarkt die besten Bewerber aus, die das nötige Know-how mitbringen. Nur selten wird jedoch daran gedacht, dass auch unser Schul- und Bildungssystem durch sozialpolitische Maßnahmen profitiert: angefangen vom kostenfreien universellen Zugang zu primärer und sekundärer Bildung, kostenfreien Schulbüchern bis hin zu Ausbildungsförderungen, Beihilfen und steuerlichen Begünstigungen. Dadurch, dass Menschen Schulbeihilfen, Studienbeihilfen, SchülerInnen- und Lehrlingsfreifahrten, aber auch Bildungskarenz, Bildungsteilzeit oder ein Fachkräftestipendium in Anspruch nehmen können, wird Bildung leistbar und für Unternehmen am Arbeitsmarkt in Form von gut qualifizierten Arbeitskräften verfügbar.

Umverteilung stärkt die Konsumnachfrage

Für Unternehmen ergeben sich positive Nachfrageimpulse, wenn Steuern und Abgaben von Haushalten mit hohem Einkommen ärmeren Haushalten mit hoher Konsumneigung zugutekommen.
Durch eine Minderung der Ungleichheit in den Einkommen können auch Menschen mit geringerem Einkommen ihre Ausgaben besser bestreiten. Und gerade sie sind es, die den Großteil ihres Einkommens nicht sparen, sondern konsumieren. Für Unternehmen ist diese Stabilisierung der Inlandsnachfrage sehr wichtig.

Ohne den Sozialstaat wäre die Situation fatal: Laut den Ergebnissen der EU-SILC-Erhebungen der Statistik Austria wäre die Armutsgefährdung ohne den Rückhalt des Sozialstaates mehr als dreimal so hoch. Rund 4 Millionen Menschen wären armutsgefährdet, darunter besonders PensionistInnen und alleinerziehende Frauen. Für betroffene Haushalte mit niedrigem Einkommen macht gerade der Bezug von Sozialleistungen einen wesentlichen Bestandteil ihres Haushaltsbudgets aus.

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Darunter fallen Pensions- und Arbeitslosenunterstützungsleistungen, Wohnbeihilfen, Pflegegeld und ausgewählte Familienleistungen wie etwa das Kinderbetreuungsgeld. Steht ihnen dieses Geld nicht zur Verfügung, bedeutet das einen Kaufkraftverlust: Wo kein Geld, da kann auch nichts ausgegeben werden, und das bekämen à la longue auch die Unternehmen zu spüren.

Sozialpartnerschaft bringt Vorteile für die Volkswirtschaft

Von gleichen kollektivvertraglichen Bedingungen für alle Unternehmen einer Branche profitieren ArbeitnehmerInnen und Unternehmen gleichermaßen, denn sie sorgen für Sicherheit und schützen vor unfairem Wettbewerb.
Für Beschäftigte ist der Kollektivvertrag eine Basisverhandlung über Beschäftigungsbedingungen, die sie nicht selbst führen müssen. Damit nicht jeder bzw. jede Einzelne bei seinen oder ihren Forderungen bei null beginnen muss, legen Kollektivverträge die grundlegenden Spielregeln der Arbeit fest: die Mindeststandards bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen.

Was dabei jedoch oft vergessen wird: Auch Unternehmen profitieren von diesen Mindeststandards, denn sie sorgen für ein gutes Marktgleichgewicht. Sie verhindern, dass konkurrierende Betriebe den Markt durch Preisdumping zusammenbrechen lassen, wenn sie ihre Produkte aufgrund von zu niedrig angesetzten Personalkosten zu einem Bruchteil dessen produzieren und anbieten können, was sie in der restlichen Branche kosten. Stattdessen gibt es ausverhandelte Mindestlöhne, an die sich jedes Unternehmen halten muss, sowie Spielregeln, die für alle gelten und die für die Sicherheit innerhalb einer Branche oder Berufsgruppe sorgen.

Erfolgsfaktoren des Sozialstaats

Verlässlichkeit, Planbarkeit, Innovation, Resilienz  wenn man sich die Erfolgsfaktoren für unseren Wirtschaftsstandort genauer ansieht, wird schnell klar, dass diese nur durch einen gut funktionierenden Sozialstaat möglich werden. Denn: „Gibt ein soziales Netz Sicherheit, ist es für den Einzelnen oder die Einzelne leichter, sich auf Wagnisse, das Aneignen neuer Qualifikationen, neue berufliche Herausforderungen und die Zukunft einzulassen“, so die zentrale Erkenntnis der WIFO-Studie.

Gibt ein soziales Netz Sicherheit, ist es für den Einzelnen oder die Einzelne leichter, sich auf Wagnisse, das Aneignen neuer Qualifikationen, neue berufliche Herausforderungen und die Zukunft einzulassen.

Vor allem in Zeiten von Umbrüchen und Veränderung bietet der Sozialstaat den nötigen Rückhalt und die Sicherheit, die sowohl die Menschen als auch die Unternehmen benötigen. Der Strukturwandel und die Digitalisierung machen Anpassungsprozesse erforderlich, und auch hier spielt der Sozialstaat eine wichtige Rolle, indem er Menschen bei Umschulungen und Weiterbildungen unterstützt und Unternehmen Anpassungsförderungen zukommen lässt, wie beispielsweise die Förderung von Kurzarbeit.

Adi Buxbaum plädiert daher: „Anliegen wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Umsetzung von Ausbildungs- und Beschäftigungsoffensiven für unterschiedliche Zielgruppen, die Erhöhung der Arbeitsplatzqualität, mehr Zeitautonomie und bessere Planbarkeit der Arbeit, bessere Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie müssen weit oben auf der Prioritätenliste einer verantwortungsvollen Politik stehen. Klar ist, dass davon letztlich auch die Unternehmen profitieren.“

Mehr über den Sozialstaat und seine Leistungen gibt es auf: sozialleistungen.at

Über den/die Autor:in

Beatrix Ferriman

Beatrix Ferriman hat internationale Betriebswirtschaft an der WU Wien, in Thailand, Montenegro und Frankreich studiert. Sie ist Autorin, Schreibcoach sowie freie Redakteurin für diverse Magazine und Blogs.

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