Noch werden 80 Prozent von ihren Angehörigen gepflegt – in den meisten Fällen von den Ehefrauen und Töchtern, nur in seltenen Ausnahmen von Männern. Aber auch das wird nicht so weitergehen, schon deshalb, weil mehr Frauen erwerbstätig sind. Viele wohnen weit weg von ihren pflegebedürftigen Angehörigen, sie können und wollen nicht mehr rund um die Uhr zur Verfügung stehen.
[infogram id=“aandw-online-pflege-wer-pflegt-1h1749q9qljl2zj?live“]Das österreichische Pflegesystem wird überwiegend aus Steuermitteln finanziert. Seit 2011 gewährt der Pflegefonds Ländern und Gemeinden Zuschüsse für die Langzeitpflege. Heuer ist er mit 382 Millionen Euro dotiert. Das Problem ist jedoch, dass für den Pflegefonds nur bis 2021 finanzielle Mittel vorgesehen sind. Die Regierung prüft derzeit, wie die Pflege künftig finanziert werden soll. Konkretes war bisher noch nicht zu vernehmen. Aber immer öfter wird die Forderung nach einer Pflegeversicherung laut.
Versicherungslösungen gibt es zum Beispiel in den Niederlanden und in Deutschland. Dort wurde die Pflegeversicherung 1995 als eigene Sparte der gesetzlichen Sozialversicherung eingeführt. Sie wird durch ArbeitgeberInnen- und ArbeitnehmerInnenbeiträge finanziert.
„Gegen beide Varianten sprechen gute Gründe“, sagt Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB: „Hohe Kosten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, steigende Lohnnebenkosten und möglicherweise unterschiedlich gute Leistungen, je nachdem, wie viel man in die Versicherung eingezahlt hat. Die Zwei-Klassen-Pflege droht.“
Gesetzliche Pflegeversicherung
Eine gesetzliche Pflegeversicherung, entweder als eigene Sparte oder angesiedelt bei Kranken- oder Pensionsversicherung, müsste hohe Beiträge verlangen. „0,1 Prozent ArbeitnehmerInnenbeitrag würden nur zu Einnahmen von ungefähr 120 Millionen Euro im Jahr führen. Zum Vergleich: Allein das Pflegegeld macht 2,5 Milliarden Euro aus“, rechnet ÖGB-Sozialversicherungsexpertin Dinah Djalinous-Glatz vor. Insgesamt werden in Österreich 5,7 Milliarden Euro für die Pflege ausgegeben. Entsprechend hoch müssten die Beiträge sein. Den ArbeitnehmerInnen würde durch die Einführung einer Pflegeversicherung auf jeden Fall netto weniger vom Lohn bleiben.
Ein weiteres Problem: Viele Menschen können nicht selbst Beiträge in eine Pflegeversicherung einzahlen, zum Beispiel Arbeitslose oder Menschen, die selbst Angehörige pflegen. Wer soll für sie einzahlen? „Sehr schnell würde auch die Diskussion aufkommen, ob alle dieselben Leistungen bekommen sollen – oder ob es schlechtere Pflegeleistungen für jene geben soll, die weniger oder gar nichts eingezahlt haben. Man erinnere sich nur an die Diskussion um die ‚bedarfsorientierte‘ Mindestsicherung, wo auf einmal nicht mehr der Bedarf ausschlaggebend sein soll, sondern ob jemand vorher ins System eingezahlt hat“, erinnert Bernhard Achitz.
Private Pflegeversicherung
Pflegeversicherung wäre eine enorme finanzielle Belastung für Menschen mit niedrigen Einkommen.
Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB
Eine Versicherungspflicht bei privaten Versicherungskonzernen wäre die teuerste Lösung, denn die Erfahrung mit anderen Versicherungssparten zeigt, dass dort bis zu 30 Prozent Verwaltungs- und Werbungskosten anfallen. Entsprechend hoch müssten die Beiträge sein. „Vor allem für Menschen mit niedrigen Einkommen wäre das eine enorme finanzielle Belastung“, sagt Achitz. Ältere und kranke Menschen müssten nach der Logik von privaten Versicherungen höhere Prämien bezahlen als junge und gesunde. Darüber hinaus sind private Versicherungen abhängig vom Kapitalmarkt. Im schlimmsten Fall würde eine Wirtschafts- oder Börsenkrise dazu führen, dass die Pflege nicht mehr finanziert ist.
Besser: Pflege mit Steuern finanzieren
Eine Frage der Gerechtigkeit, dass die Pflege nicht allein von den ArbeitnehmerInnen finanziert wird.
Barbara Teiber, GPA-djp-Vorsitzende
Der ÖGB fordert, dass die Pflege und Betreuung weiterhin aus Steuermitteln finanziert wird. Der derzeit befristete Pflegefonds muss zur Dauereinrichtung werden. Zur Speisung dieses Fonds würde sich eine Steuer auf hohe Erbschaften und Schenkungen, aber auch Vermögen besonders anbieten. GPA-djp-Vorsitzende Barbara Teiber: „Das ist für mich eine Frage der Gerechtigkeit. Die Pflege kann ja nicht wieder nur von den ArbeitnehmerInnen und ihren Steuern und Abgaben getragen werden. Auch die großen Vermögen müssen ihren Beitrag leisten.“