Immer weniger Leute haben einen unbefristeten Vollzeit-Arbeitsvertrag: Die einen müssen arbeiten, bis sie umfallen. Die anderen bangen immer um den nächsten Arbeitsauftrag.
Die stetig kleiner werdende Gruppe derer, die noch einen unbefristeten Vollzeit-Arbeitsvertrag ihr Eigen nennen können, leistet Überstunden am laufenden Band. Zumindest gilt das für die Zeit, in der sie in einem aufrechten Dienstverhältnis und nicht gerade arbeitslos sind. Deswegen ist Österreich im europäischen Vergleich Spitzenreiter, wenn es um die Dauer der Arbeitszeit geht, nur in Großbritannien und in Griechenland wird länger gearbeitet. Aber Österreich gehört auch zum oberen Drittel der Länder mit den meisten atypischen Beschäftigungsverhältnissen in der EU und ist mit einem Anteil von 47 Prozent auf Platz zwei bei der Quote der teilzeitbeschäftigten Frauen. Folglich ist der Unterschied in der Verteilung der Arbeitszeit auch zwischen den Geschlechtern in unserem Land besonders groß, denn Frauen leisten neben der Lohnarbeit immer noch den Löwenanteil der unbezahlten Familienarbeit. Doch wie passt diese Diskrepanz zusammen und wie kommt es zu dieser extremen Schieflage?
Das fehlende Korrektiv
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass das solide, regulierte Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Freizeit eine relativ junge Errungenschaft ist. Die Balance zwischen acht Stunden Schlaf, acht Stunden Arbeit und acht Stunden Freizeit hatte ihren Höhepunkt mit der breiten Etablierung des „Normalarbeitsverhältnisses“ erst in den 1970er-Jahren erreicht. Seit den 1990ern und insbesondere seit der Finanzkrise 2008 ist dieses Gleichgewicht jedoch wieder aus dem Lot geraten. Teilzeitjobs, Zeitarbeit, befristete Jobs und Vertragsformen, für die kein Arbeitszeitgesetz und keine Schutzvorschriften gelten, sind seither auf dem Vormarsch. Über ein Drittel aller Beschäftigten und mehr als die Hälfte aller Frauen sind heute atypisch beschäftigt. Über ein Drittel aller Beschäftigten behält ihre Jobs nicht einmal ein Jahr durchgehend.
Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind auf dem Vormarsch.
Nicht wenige Beschäftigte finden sich wieder in einer Welt, in der von früh bis spät zum Hungerlohn geschuftet werden muss und sich das Privatleben auf basale Erholung beschränkt, die lediglich der körperlichen Regeneration dient. Besonders für prekär Beschäftigte trifft dies zu.
Buchtipp: Veronika Bohrn Mena: Die neue ArbeiterInnen- klasse – Menschen in prekären Verhältnissen,Der Alltag von Prekären, wie es etwa MitarbeiterInnen von Lieferservices sind, hat so manche Härte zu bieten. Dazu zählen beispielseweise Algorithmen, die Lieferanten unabhängig von Wetter und Verkehr vorgeben, dass sie nicht länger als 12 Minuten für jede ihre Zustellungen brauchen dürfen. Es gibt Paketboten, die als Neue Selbstständige 45 Cent pro ausgefahrenem Paket erhalten, bevor sie am nächsten Tag wieder die Packesel der Nation geben müssen. Eine Jungwissenschafterin an der Universität räumte ein, sie habe keine Zeit und keine Sicherheit, um eine Familie gründen zu können, obwohl sie sich das wünschen würde. Eine „freie“ Grafikerin berichtete, dass sie an Sonn- und Feiertagen arbeiten muss, weil ihr keine Ruhezeit zusteht, und eine unfreiwillig Teilzeitbeschäftigte sagte, dass sie seit 25 Jahren um jede Stunde ihrer Arbeitszeit kämpft.
Heuern & feuern
Wenig besser geht es denjenigen, die stetig Arbeit suchen oder darauf warten müssen. Ermüdende und schwer belastende Phasen zwischenzeitiger Arbeitslosigkeit sind ständige Begleiterinnen vieler Beschäftigter. Dabei wird in der Öffentlichkeit inzwischen leider allzu pauschal das Bild von Arbeitslosen gezeichnet, die angeblich nicht bereit seien zu arbeiten. Dass unter den Arbeitslosen aber auch Beschäftigte sind, die immer wieder arbeitslos sind, allerdings an sich immer beim gleichen Arbeitgeber arbeiten: darüber wird viel zu wenig gesprochen. Schon gar nicht wird gerne darüber gesprochen, dass damit in Wahrheit Kosten an die Allgemeinheit abgewälzt werden.
Die Zeit ist abgelaufen
Interessante Daten dazu liefert das Wirtschaftsforschungsinstitut in einer Studie. Demnach lässt sich schon seit den 1990er-Jahren beobachten, dass zwischen 10 und 15 Prozent der Arbeitslosen, die eine neue Stelle angetreten haben, in den zwölf Monaten davor bereits für den gleichen Arbeitgeber gearbeitet haben. Wer denkt, diese üble Praxis würde sich auf Saisonarbeit und Gastronomiejobs beschränken, irrt. Sie ist vielmehr in allen Branchen zu finden. Das WIFO hält in seiner Studie fest: „Ein Drittel bis zur Hälfte der Betroffenen hat nach maximal zwei Monaten Arbeitslosigkeit die Arbeit beim vorherigen Arbeitgeber wieder aufgenommen.“ Betroffen von dieser Form der Arbeitslosigkeit sind insbesondere Menschen, die eine Pflichtschule oder eine Lehre abgeschlossen haben.
Die Betroffenen wurden vor ihrer Rückkehr in den alten Job zwischenzeitlich von Unternehmen beim AMS „geparkt“, um nur kurz darauf wieder eingestellt zu werden. Dazu kommt, dass dies mit Kosten für die Allgemeinheit verbunden ist. Laut Berechnungen des WIFO liegen die Mehrkosten, die der Arbeitslosenversicherung dadurch immerhin entstehen, bei bis zu einer halben Milliarde Euro. Dazu kommen fehlende Einnahmen in der Sozialversicherung, wenn Menschen arbeitslos sind, statt für ihre Löhne und Gehälter entsprechende Abgaben zu bezahlen.
Einmal in diese Spirale gerutscht, ist man darin schnell gefangen.
So weit zu den negativen Folgen für die Allgemeinheit, dazu kommen jene für die Betroffenen selbst. Einmal in diese Spirale gerutscht, ist man darin schnell gefangen. Im Jahr 2017 waren 70 Prozent der Wiedereinstellungen Wiederholungen einer ganzen Reihe von Beschäftigungsunterbrechungen. Für die betroffenen Beschäftigten wirkt sich dies über den bestreffenden Job hinaus negativ auf ihre berufliche Zukunft aus. Denn statistisch gesehen sind sie in den sechs Folgejahren im Durchschnitt um 74 Tage mehr arbeitslos als Beschäftigte mit einem stabilen, dauerhaften Arbeitsplatz. Sie werden schlechter bezahlt, müssen mit weniger Arbeitslosengeld auskommen und werden eine kleinere Pension bekommen.
Eines ist jedenfalls klar: Die Intensivierung des individualisierten Konkurrenzkampfes, die weitere „Flexibilisierung“ sowie „Ich-AGs“ bieten keinen Ausweg aus diesem grausamen Kreislauf. Bei diesem künstlichen Kampf verlieren alle Beschäftigten und ihre Angehörigen. Klar ist auch: Es gewinnen jene, die gut davon leben, dass die Allgemeinheit das unternehmerische Risiko abfedert und ihre Profite dadurch maximiert werden können.
Fakt ist:
Es wäre genug Arbeit da, bloß ist sie ungleich verteilt.
Fakt ist zudem, dass genug Arbeit da wäre, bloß ist sie ungleich verteilt. Folglich muss man bei dieser Ungleichverteilung ansetzen – und das funktioniert nicht mit „geschickt verhandelten“ Einzelvereinbarung, sondern ausschließlich über kollektivvertragliche und gesetzliche Regelungen, die Verbindlichkeit für alle garantieren. Man kann Arbeitende aller Branchen, jeden Alters und jeglicher Ausbildung daher nur wieder und immer wieder dazu aufrufen, sich zu solidarisieren. Und die Rechte – die wir haben, weil wir sie einst erkämpft haben – auch zu nutzen. Oder das Recht, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen, um ein starkes Gegengewicht gegen die Macht des Kapitals zu bilden und für mehr Fairness am Arbeitsmarkt zu sorgen.
Denn eines muss uns klar sein: Wenn wir jetzt nicht entschlossen aktiv gegensteuern, wird diese bewusst herbeigeführte Spaltung nicht geringer, sondern immer größer. Und das ist leider keine Horrorvision, sondern eine nüchterne Einschätzung vor dem Hintergrund von Erfahrungswerten anderer Länder weltweit und auch in Europa. Noch lässt sich das in Österreich verhindern. Organisiert euch!
WIFO-Studie:
tinyurl.com/y553aap7
Interessengemeinschaften in der GPA-djp:
www.gpa-djp.at/flex
Veronika Bohrn
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/19.
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