Arbeit&Wirtschaft: Wie weit hat Sie das diesjährige Gedenkjahr beschäftigt bzw. betroffen?
Ferdinand Lacina: Wichtig war für mich erstens 100 Jahre Gründung der österreichischen Republik am 12. November. Zweitens das Jahr 1968 in der Tschechoslowakei, ein beeindruckender Versuch, einen Kommunismus mit menschlichem Antlitz zu schaffen – der dann ja unter den Panzern zermalmt wurde. Ich habe damals eine Reportage für die A&W über die Veränderungen in der Stahlindustrie gemacht.
Da war ich unter anderem in Košice, in der Slowakei und in den Stahlwerken in Mährisch-Ostrau. Die Eindrücke waren sehr unterschiedlich: In der Slowakei war alles sehr offen, in Mähren dagegen sehr stalinistisch geprägt. Dort hatten die alten Funktionäre auch zur Zeit Dubčeks noch sehr viel Macht.
In den Werken in Mährisch-Ostrau war neben jedem Arbeitsplatz eine Messlatte angebracht, wo für alle sichtbar die Produktivität und die Fehlzeiten jedes Arbeiters aufgelistet waren. Der dortige Belegschaftsvertreter hat mir erklärt, das diene dazu, den „sozialistischen Wettbewerb“ voranzutreiben. Die leistungsfähigsten Arbeiter bekamen dann Prämien, durften auf Urlaub fahren etc.
Wie haben Sie 1968 in Wien erlebt?
Das waren im Prinzip Ausläufer von dem, was in Deutschland oder Frankreich passierte. Man hat versucht, das hier nachzumachen. Das grenzte manchmal schon ans Absurde, etwa wenn vor dem Büro der Programmzeitschrift HörZu, dem einzigen hier ansässigen Medium der reaktionären Springer-Presse, demonstriert wurde. Ich habe damals zwar auch an der Demonstration teilgenommen, aber es war doch schwer zu vermitteln, denn die Fernseh-Illustrierte hatte nichts mit Politik zu tun.
Immerhin sind in Wien alle möglichen neuen Organisationen und Gruppen entstanden. Die meisten wurden von Frauen und Männern gegründet, die aus einem kommunistischen Elternhaus stammten. Im VSStÖ, der immer eher zum rechten Flügel der Partei gehört hatte, gewannen die „Linken“, zu denen auch ich gehörte, die Mehrheit.
Wie viele Menschen waren damals bei diesen Demos?
Ein paar hundert vielleicht, das waren keine Massendemos. Aber es hat sich danach doch einiges verändert, auch an den Universitäten. Fast bedeutender war eigentlich 1965 mit der Borodajkewycz-Affäre, die Heinz Fischer und ich ausgelöst hatten. Ich hatte noch während meiner Studienzeit die antisemitischen Aussagen bei den Vorlesungen mitgeschrieben. Was außerdem erwähnenswert ist: 1968 haben sich nicht nur linke Studenten, sondern auch die bürgerlichen radikalisiert.
1968 hat ja die ÖVP allein regiert …
Bruno Kreisky hat mit einem großen Team – er sprach immer von 1.400 Experten, ich habe nie nachgezählt – einen Gegenentwurf versucht. Ich war damals in der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK. Es wurden Reformprogramme ausgearbeitet, unter anderem in den Bereichen Justiz, Soziales, Bildung und Wirtschaft, die dann unter dem Motto „Leistung, Aufstieg, Sicherheit“ präsentiert wurden. Es war das erste Mal, dass die SPÖ ein komplettes Wirtschaftsprogramm, nicht nur für die Verstaatlichte und die Infrastruktur, präsentierte. Die ÖVP hat die SPÖ ja nach wie vor als Schreckgespenst dargestellt, mittels der legendären roten Katze, die sich leise ins Haus schleicht und so unauffällig den Kommunismus mit sich bringt.