Der Informatiker Hannes Werthner ist nicht nur ein brillanter Techniker, sondern hat sich stets auch mit gesellschaftspolitischen und philosophischen Fragen der Technologie auseinandergesetzt. Mit rund 40 Spitzenforscher:innen aus aller Welt erarbeitete er vor sechs Jahren ein „Wiener Manifest für digitalen Humanismus“ und hat nun ein kämpferisches Buch herausgebracht.
Arbeit&Wirtschaft: Ich habe ChatGPT gefragt, was eine zentrale Frage an Hannes Werthner wäre. Die KI meinte: „Wie können wir sicherstellen, dass künstliche Intelligenz und digitale Technologien langfristig dem Gemeinwohl dienen, anstatt primär wirtschaftlichen oder politischen Interessen?“ Keine blöde Frage, oder?
Hannes Werthner: Das ist eigentlich die Schlüsselfrage! Und wenn ich gleich einmal eine kleine Kritik anbringen darf: Die Linke kümmert sich ja nicht wirklich darum.
Wir beide kümmern uns gerade darum.
Die digitalen Technologien sind derartig mächtig, dass sie eine immens verändernde Wirkung haben – auf die Individuen, die Gesellschaft, die Politik und Geopolitik. Wir können uns das Leben ohne diese Technologien nicht mehr vorstellen. Die künstliche Intelligenz ist Teil der Computertechnologie, sie ist deren Weiterentwicklung. Und obwohl das Web ein dezentrales Medium ist, an dessen demokratische Macht vor einigen Jahren noch geglaubt wurde, ist der Markt mittlerweile besonders stark konzentriert. Nehmen wir den Softwarebereich, Social Media, die Verkaufsplattformen der Plattformökonomie, die Suchmaschinen: überall Konzentration, überall Fast-Monopole.
Die Firmen, um die es hier geht, sind die höchstbewerteten, mächtigsten Unternehmen der Gegenwart.
Ja, und das ist alles innerhalb von bloß 15 bis 20 Jahren geschehen. Es sind vor allem US-amerikanische Konzerne, abgesehen von wenigen chinesischen Firmen. Wenige Menschen können heute über unsere Informationssysteme bestimmen. Nur: Diese Systeme sind zugleich „Public Goods“, ohne die wir nicht mehr leben können. Es sind die Infrastrukturen unserer Demokratie.
Kann man überhaupt etwas tun?
Natürlich. Das ist eine klassische demokratiepolitische Aufgabe. Und hier kommt auch eine klassische linke Frage wieder hoch: Wie organisiert man Gerechtigkeit und Gleichheit?
Das heißt, diese Firmen leben von uns?
Die großen Tech-Konzerne – Amazon, Google, Microsoft, Apple, Facebook, Ali Baba – spielen auch bei der KI mit, einerseits als Financiers, andererseits mit eigener Forschung. Und da geht es um Milliarden. Wenn Wiener Universitäten acht Millionen Euro für ein KI-Center bekommen, kann man ja nur lachen. Die Start-up-Szene ist hochgradig mit diesen Firmen vernetzt. Die Konzentration ist unglaublich.

Ist Monopolbildung verhinderbar in dieser Branche? Sie lebt schließlich von Skaleneffekten. Niemand will auf einer Social-Media-Plattform aktiv sein, wo nur wenige Freund:innen sind, eine große Plattform hat immense Vorteile, da wollen alle dabei sein. „Der Teufel scheißt auf den größten Haufen“, heißt es im Volksmund.
Na ja, wir sehen beim chinesischen Start-up DeepSeek, dass auch Neulinge den Markteintritt schaffen können. Man kann auch lokale LLMs entwickeln. Es wird mittelfristig Aufgabe einer kulturellen Identität sein, Sprachformen in der KI zu haben, die unserer regionalen Kultur entsprechen. Wir haben Tests gemacht, wie gut ChatGPT österreichisch sprechen kann. Überspitzt formuliert haben wir der KI österreichische Begriffe und Redewendungen beigebracht wie „Paradeiser“ oder „Stufen raufgehen“. Das System lernt das zwar, kehrt aber schnell wieder zum statistisch Häufigeren – also dem Hochdeutschen – zurück, verlernt es also salopp gesagt wieder.
In der Geschichte gab es immer sowohl einen unglaublichen Technikoptimismus als auch -pessimismus. Die Produktivkraftentwicklung wurde immer gefeiert, als würde sie das Paradies auf Erden bringen, und zugleich verteufelt, weil die Maschine den Menschen unterjocht. Jetzt auch: Das Handy schließt uns an jegliches Wissen der Welt an und macht uns zugleich zum Sklaven. Der Technikpessimismus reicht heute bis zur Sorge, die KI könnte die Macht über die Menschheit gewinnen und eine Tyrannei errichten.
Interessant ist: Wenn man sich Umfragen ansieht, schätzt der Globale Süden die KI deutlich positiver ein als der Globale Norden. Natürlich brauchen wir keine KI, die bessere Gedichte schreibt als wir. Aber eine, die Arbeiten macht, die stumpfsinnig und repetitiv sind – wunderbar! Wenn gefährliche Arbeiten von intelligenten Maschinen erledigt werden, ist das doch toll! Die entscheidende Frage ist: Wer hat die Kontrolle? Wird Technologie so gestaltet, dass sie uns ersetzt, oder so, dass sie unsere Fähigkeiten erweitert? Soziale Medien sind in manchen Gesellschaften der Welt noch immer ein wesentliches Instrument, um zivilen Ungehorsam und Protest zu organisieren, gleichzeitig tendieren sie dazu, zu einem Instrument zu werden, bei dem Hetze dominiert. Ich bin ein kritischer Rationalist, der die Möglichkeiten sieht – und die Gefahren. In Summe ist das aber etwas Bereicherndes.
Vergessen wir nicht,
dass der Mensch nie in totaler Kontrolle seines Lebens ist,
er war es nie und ist es auch jetzt nicht.
Hannes Werthner
Was Social Media betrifft: Überwiegt hier nicht das Negative? Menschen lassen sich leichter durch negative Botschaften erregen, deshalb werden soziale Medien zu Technologien der Übellaunigkeit und des Hasses.
Zu Beginn standen sie in der Tradition dezentraler Selbstermächtigungsbewegungen, das kommt ja aus der Hippie-Zeit. Ich kann andere Algorithmen bauen, mit anderen Bewertungsschemen und Empfehlungssystemen für soziale Medien. Es gibt hier keinen technologischen Determinismus. Und zu den Fake News: Was war denn der Staberl, dieser bösartige „Krone“-Kolumnist von früher? Das böse Gerücht begleitet uns durch die Menschheitsgeschichte. Man kann es bekämpfen, durch Content-Moderation, das ist kein Problem. Das knifflige Problem, das bleibt, lautet: Wann ist eine Falschinformation eine Falschinformation? Wer ist hier der Richter? Das ist keine triviale Frage!
Gehen wir mal durch, was KIs und Automatisierung alles schon können: Bauroboter, die Ziegelhäuser bauen, oder 3-D-Drucker, die ganze Häuser ausdrucken …
Na ja, da wartest du aber fünf Jahre, bis es fertig gedruckt ist.
… Pflegeroboter für demente Patient:innen, KI in der Medizin, wo sie in der Computertomografie Krankheitsmuster leichter erkennt als der beste Arzt, bis hin zum Journalismus, wo die KI ganz passable Gebrauchstexte hinbekommt. Wenn ich mit einem Lkw-Fahrer oder einer Taxifahrerin spreche, dann ist eine reale Angst, dass der Beruf bald automatisiert ist.
Es gibt viele Berufe, die nicht automatisierbar sind, weil sie menschlicher Zuwendung bedürfen, aber auch Koordination. Man muss flexibel und kreativ reagieren. Ich glaube nicht, dass Installateur:innen ersetzt werden, aber einige Business-Analyst:innen sehr wohl. Was manche der Ängste anlangt: Vergessen wir nicht, dass der Mensch nie in totaler Kontrolle seines Lebens ist, er war es nie und ist es auch jetzt nicht.
Es wird mittelfristig Aufgabe einer kulturellen Identität sein,
Sprachformen in der KI zu haben,
die unserer regionalen Kultur entsprechen.
Hannes Werthner,
Informatiker
Kollaborative Roboter sind beispielsweise nicht einfach nur Automaten, die repetitiv einen Griff erledigen, sondern sie können reagieren und haben die Fähigkeit, zu erkennen, welche Hilfe der menschliche „Kollege“ braucht.
Vieles wird aber auch überschätzt. Zum autonomen Fahren: Es ist nicht absehbar, ob das überhaupt jemals kommt. Dafür braucht es ja z. B. auch standardisierte Straßen. Die Verwendung von Tools aus der KI, wie Mustererkennung, Sensorik usw., können Autofahren hingegen sehr viel sicherer machen. Aber die Frage bleibt: Nutze ich das, um bessere Autos zu bauen, oder stecke ich die Ressourcen in den öffentlichen Verkehr?
Wirtschaftsnobelpreisträger Daron Acemoğlu hat gezeigt, dass Technologie, wenn man nicht regulierend eingreift, häufig negative Effekte hat und ihre positiven erst durch Regulierung entfaltet. Deshalb braucht es jetzt auch starke und kluge Gewerkschaften. Die brauchte es immer schon: In der industriellen Revolution nahm zunächst einmal das Elend zu, durch Arbeitskämpfe wuchsen aber allmählich die Einkommen und dann der Wohlstand der breiten Bevölkerung.
Der Gewinn kommt also nicht von selbst …
Eigentlich könnte man auch sagen, es braucht „digitalen Sozialismus“, aber wir nennen es eben „digitalen Humanismus“.
Sie schreibt Texte, malt Bilder, analysiert Daten: KI ist gekommen, um zu bleiben. 🤖
Aber was macht KI mit unserer Arbeitswelt, mit uns als Gesellschaft?
Unsere neue Ausgabe liefert Antworten auf die großen Fragen: https://www.arbeit-wirtschaft.at/bewaehrte-antworten-fuer-rasante-zeiten/
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 16. April 2025 um 10:00
Sie haben gerade das Buch „Digitaler Humanismus“ (Picus-Verlag) verfasst: Was meinen Sie mit dem Begriff? Warum sollte sich ein digitaler Humanismus durchsetzen angesichts von Globalisierung, Monopolisierung und Machtkonzentration?
Jeder Mensch hat Rechte und Bedürfnisse, die im Zentrum stehen sollen – darum muss es gehen! Das muss man in der Wirtschaftsförderung beachten, aber am Ende geht es um Machtpolitik. Es beginnt schon damit, welche Angebote für Cloud-Lösungen europäische Regierungen verwenden, wohl wissend, dass die amerikanische Regierung immer Zugriff auf die Daten amerikanischer Firmen verlangen kann.
Bei der Regulierung sehen Sie erfreuliche Entwicklungen?
Es herrschte bis etwa 2020 totale Deregulierung in diesem Sektor. Und es gibt auch heute einen starken Wind gegen Regulierungen, auch in Europa. Angesichts ökonomischer Schwierigkeiten wird das als „Entbürokratisierung“ verkauft. Die EU hat mit dem AI Act und dem Digital Services Act endlich reagiert, die Politik ist in den vergangenen Jahren aufgewacht. Das kann man gar nicht hoch genug schätzen. Aber es gibt einen massiven Druck, durch die USA, durch Trump und seine Tech-Bros, aber nicht nur durch diese, den Regulierungsprozess zu stoppen.
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