„Die Oppositionsrolle war einfacher: Man ist möglichst laut und fertig“

Gewerkschafter:innen demonstrieren für eine Sozialreform. Symbolbild für Gewerkschaften in Kolumbien
„Heute gibt es deutlich weniger Morde an Gewerkschafter:innen“, erklärt der Gewerkschafter Fabio Arias. | © ALEJANDRO MARTINEZ / AFP / picturedesk.com
Kolumbien galt lange Zeit als eines der gefährlichsten Länder für Gewerkschafter:innen. Heute hat sich die Situation zwar etwas verbessert, doch Drogenbanden stellen die Gewerkschaften weiter vor Herausforderungen, sagt CUT-Vorsitzender Fabio Arias.

Vor 20 Jahren war Kolumbien für Gewerkschaften einer der gefährlichsten Orte der Welt. Sich für Arbeitnehmer:innenrechte einzusetzen bedeutete, täglich um sein Leben fürchten zu müssen. Heute ist die Lage etwas besser, doch gewerkschaftliches Engagement bleibt riskant. Fabio Arias, Vorsitzender der Gewerkschaft CUT, spricht über die Veränderungen der vergangenen Jahre und die neuen Herausforderungen unter der linken Regierung von Gustavo Petro.

Zur Person
Der ausgebildete Chemieingenieur begann seine gewerkschaftliche Karriere beim öffentlichen Berufsfortbildungswerk SENA, wo er Ende der 90er Jahre wegen der Organisierung eines Streiks entlassen wurde. Seitdem ist Arias in unterschiedlichen Funktionen bei der CUT aktiv, auch in internationalen Gremien wie der ILO.
Alles neu: Lange Zeit war Fabio Arias mit der Gewerkschaft CUT in der Opposition. Unter Präsident Gustavo Petro hat sich das geändert. | © Frank Braßel

Arbeit&Wirtschaft: Vor 20 Jahren hatte die kolumbianische Gewerkschaftsbewegung weltweit die meisten Mordopfer zu beklagen. Hat sich die Situation verbessert?

Fabio Arias: Definitiv. Heute gibt es deutlich weniger Morde an Gewerkschafter:innen. Es werden immer noch Kolleg:innen ermordet, aber längst nicht mehr in dieser Dimension. Waren es früher 50 pro Jahr, beklagen wir heute ein Opfer.

Warum hat sich die Situation verbessert?

Da ist zum einen der Friedensprozess zu nennen: Die größte Guerilla, die FARC, hat die Waffen niedergelegt (seit dem 16.01.2025 ist der Konflikt wieder eskaliert: Im Nordosten des Landes sind bei Kämpfen zwischen der ELN und Splittergruppen der früheren Guerillaorganisation Farc rund 80 Menschen getötet und 11.000 vertrieben worden, Anm. d. Red.). Wo sie früher aktiv war, sind immer auch Gewerkschafter:innen zwischen die Fronten geraten, das gibt es nun viel weniger. Gleichzeitig haben aber die Drogenbanden zugenommen, und davor schrecken viele Gewerkschafter:innen zurück.

Es gibt also weniger gewerkschaftliche Aktivitäten in den betroffenen Regionen?

Ja, das ist richtig. Doch landesweit konnten wir den Organisationsgrad halten und liegen bei etwa fünf Prozent. 1,3 Millionen Menschen sind gewerkschaftlich organisiert, in der CUT knapp 700.000.

Kolumbien hat seit gut zwei Jahren erstmals eine linke Regierung, die „Regierung des Wandels“, wie Präsident Gustavo Petro sagt. Merkt die CUT diesen Wandel?

Auf jeden Fall. Früher waren wir immer in der Opposition zur Regierung, heute unterstützen wir sie und arbeiten an entsprechenden Vorschlägen mit. Alles ist neu für uns: Wie sollen wir die Entwicklungen zwischen der Regierung und dem eher rechten Parlament einschätzen, wie sollen wir agieren? Die Oppositionsrolle war einfacher: Man ist möglichst laut, und fertig.

In vielen europäischen Ländern haben Gewerkschaften sozialdemokratische Regierungen unterstützt. Manche sagen, die zu große politische Nähe habe die Einflussmöglichkeiten der Gewerkschaften eingeschränkt. Sehen Sie dieses Risiko für die CUT auch?

Durchaus. Aber aktuell geht es bei uns darum, die von der Regierung vorgeschlagenen und von den Gewerkschaften unterstützten Sozialreformen im konservativ dominierten Parlament durchzusetzen. So sollen die Ausgaben für Bildung, Gesundheit und andere soziale Investitionen von derzeit 23 Prozent der Staatseinnahmen in den kommenden Jahren auf 39,5 Prozent steigen. Wir unterstützen den Vorschlag in Gesprächen mit Abgeordneten und auch auf der Straße.

Was waren die wichtigsten Erfolge der ersten beiden Regierungsjahre?

Zum einen die Steuerreform, durch die die Ausgaben für Bildung und Gesundheit erhöht wurden und erstmals seit Jahrzehnten die Militärausgaben übersteigen. Zum zweiten die Pensionsreform, die vermehrt ärmere Gruppen, auch Frauen, stärker unterstützen soll – wenn auch noch in einem unzureichenden Ausmaß.

Wir haben @barbarablaha.bsky.social vom @momentum-institut.at auf ein Wort gebeten. ☝️
Versierte Antworten auf komplexe gesellschaftspolitische Fragen hat Frau Blaha zur Genüge. Aber wie sieht es aus, wenn sie nur mit einem Wort auf unsere Fragen antworten darf? 🤔

[image or embed]

— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 14. Januar 2025 um 08:51

Gab es auch Enttäuschungen?

Reichlich. Sehr frustrierend war, dass die Regierung nicht die Formalisierung der Anstellungsverhältnisse im öffentlichen Dienst durchgesetzt hat, was sie ohne das Parlament hätte tun können. 1,2 Millionen Menschen sind direkt im öffentlichen Dienst beschäftigt, aber mindestens eine weitere Million über Subunternehmen, die damit nicht die vollen Arbeitsrechte genießen.

Der Präsident will die Freihandelsverträge mit den USA und der EU neu verhandeln. Unterstützt die CUT das?

Wir sind sehr dafür, denn die Freihandelsverträge haben den Menschen in Kolumbien schwere Schäden zugefügt. Wir haben unsere nationale Telefongesellschaft sowie die Getränkeindustrie verloren, ebenfalls die Ernährungssicherheit bei Getreide sowie praktisch alle Arbeitsplätze in der Textilindustrie und der Baumwollproduktion. Das muss rückgängig gemacht werden.

Weiterführende Artikel

Wie aus Minenarbeiter:innen von Prodeco grüne Rebellen wurden – Arbeit&Wirtschaft

Widerstand: Khaing Zar Aung und Lizaveta Merliak kämpfen im Exil

Kinderarbeit: Eine Ausgeburt des Kapitalismus – Arbeit&Wirtschaft

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.

Über den/die Autor:in

Frank Braßel

Historiker und Journalist. Langjähriger Mitarbeiter der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN und der Entwicklungsorganisation Oxfam. Von 2005-2011 Berater im unabhängigen Agrarforschungszentrum SIPAE in Quito/Ecuador.

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.