Skepsis ist angebracht. Denn hinter Mercer stehen Unternehmen, die private Altersvorsorgeprodukte verkaufen. Sie haben daher ein geschäftliches Interesse daran, das staatliche Pensionsmodell als defizitär einzustufen. Noch dazu sind die Ergebnisse verzerrt, denn der Mercer Index berücksichtigt öffentliche Pensionssysteme kaum.
Spannungsverhältnis
Die Mercer-Studie ist eines von vielen Beispielen für das problematische Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Politik. Neoliberale Thinktanks, die zu umstrittenen Forschungsergebnissen gelangen und diese gezielt in die Medien hineinreklamieren, konnten ihren Einflussbereich in den letzten Jahren erheblich erweitern. Die Linzer ÖkonomInnen Stephan Pühringer und Christine Stelzer-Orthofer haben den Einfluss solcher Forschungsinstitute, die hauptsächlich von finanzkräftigen Unternehmen finanziert werden, untersucht. Sie zeigen auf, dass neoliberale Thinktanks wie das Hayek Institut und die Agenda Austria konsequent sozialstaatliche Interventionen diskreditieren, indem sie – versehen mit dem Mantel der Wissenschaftlichkeit – die „Grenzen“ des Sozialstaats betonen und dessen „Unfinanzierbarkeit“ behaupten.
Buchtipp: Michel Foucault: Was ist Kritik?Die von privat finanzierter Wissenschaft ausgehende Gefahr reicht über routinierte Angriffe auf sozialpolitische Errungenschaften weit hinaus. Besonders brisante Interessenkonflikte können vor allem dann entstehen, wenn sich Unternehmen an Studien beteiligen, die Aussagen über Risiken für Gesundheit und Umwelt treffen. Im März 2017 veröffentlichte die Umweltschutzorganisation Global 2000 den Bericht „Glyphosat und Krebs: Gekaufte Wissenschaft“. Darin legt die NGO dar, wie der US-Saatgutkonzern Monsanto in zahlreichen Fällen auf wissenschaftliche Artikel Einfluss genommen hat, die eine Ungefährlichkeit von Glyphosat bescheinigten.
Vorwürfe wie dieser verdeutlichen, dass eine öffentliche Debatte über die Finanzierung und Kontrolle von Forschung dringend erforderlich ist. Diese ist nicht zuletzt auch deshalb notwendig, weil Universitäten zusehends dazu gezwungen sind, drittmittelfinanzierte Forschungsaufträge zu lukrieren, die häufig von Privaten vergeben werden. Welche Forschungen sollten privat finanziert werden dürfen? Wann sollte die Kontrolle der Studien mittels Ausschreibemechanismen anderen übertragen werden? Sollte unternehmensfinanzierte Forschung das alleinige Fundament für politische Entscheidungen bilden dürfen? Die Klärung solcher Fragen ist eine demokratiepolitische Notwendigkeit. Was auf dem Spiel steht, ist nicht zuletzt auch der Verlust der Autorität von Wissenschaft in der medialen Öffentlichkeit. Diese Folge wäre verheerend, weil aufgrund der rasanten und systematischen Verbreitung von Fake News die Glaubwürdigkeit von evidenzbasierten Inhalten besonders wichtig ist. Eine Forschungsfinanzierung allein durch die öffentliche Hand würde Objektivität oder gar Parteilosigkeit allerdings nicht garantieren. Das jüngste Beispiel hierfür ist die Studie über islamische Kindergärten, die das Institut für Islamisch-Theologische Studien der Universität Wien im Auftrag des Integrationsstaatsministeriums durchführte. Die Arbeit geriet in Misskredit, nachdem ein Dokument publik wurde, wonach der Text von Beamten des Außen- und Integrationsministeriums manipuliert und zugespitzt worden sei.