Amazon-Betriebsrat: „Wir sind keine Maschinen“

Ein Amazon Lagerhaus. Symbolbild für den Amazon-Betriebsrat
„Die Leute haben Angst, sofort gekündigt zu werden“: Amazon, der Weltkonzern, geht immer wieder gegen Betriebsräte vor. | © Adobe Stock/Marcos
Es war ein langer und zäher Kampf um einen Arbeiter-Betriebsrat bei Amazon. Jorge Plaut wurde zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt. Im A&W-Gespräch erzählt er von den Arbeitsbedingungen beim Weltkonzern – und warum die Geschäftsführung jetzt gegen die Betriebsratswahl klagt.
Als die Gewerkschaft vida am Montag bekanntgab, dass die Amazon-Beschäftigten endlich ihren eigenen Arbeiter-Betriebsrat wählen, war das ein Paukenschlag. Ein langer Kampf um mehr Mitbestimmung schien gewonnen. Doch dann der Schock: Amazon zieht vor Gericht und hat beim Landgericht Korneuburg, dem Hauptsitz des Betriebsrats, Klage gegen die Wahl eingereicht.

Arbeit&Wirtschaft: War es ein zäher Kampf, einen Arbeiter-Betriebsrat bei Amazon zu etablieren?

Es hat Jahre gedauert. Jetzt haben wir es geschafft. Für Amazon ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sie keinen Betriebsrat wollen und sie versuchen, die Wahl zu verzögern oder zu behindern. Gestern kam die Nachricht, dass die Geschäftsführung gegen die Wahl klagt, also gerichtlich dagegen vorgehen will.

Sind das einfach Tricks, um Betriebsratsarbeit zu verhindern?

Klar. Man wirft uns jetzt vor, dass nicht alles transparent genug war. Aber es ist verdammt schwierig, so eine Betriebsratswahl erst einmal hinzubekommen, denn die Leute haben Angst. Sie haben Angst, sofort gekündigt zu werden. Das ist alles schon passiert. Jetzt haben wir die Wahl geschafft, und Amazon klagt nun, aber solange ein Gericht die Wahl nicht aufhebt, ist der Betriebsrat im Amt.

Es ist verdammt schwierig,
so eine Betriebsratswahl erst einmal hinzubekommen,
denn die Leute haben Angst. 

Jorge Plaut,
Arbeiter-Betriebsrat bei Amazon

Amazon hat sehr viel Macht. Das ist ein internationaler Konzern, der keinen Betriebsrat will. Wir haben keine großen Mittel zur Verfügung, und jetzt wirft man uns vor, dass die Wahl nicht überall bekannt gewesen sei – das ist einfach absurd. Das Management will uns bloß hinhalten. Überraschend ist das für uns nicht.

Wäre aus Ihrer Sicht eine Neuwahl möglich?

Ich sehe keinen Sinn darin. Wir haben den Betriebsrat gewählt. Aber Amazon klagt jetzt, und der Ball ist jetzt nicht mehr bei uns.

Es hat sehr lange gedauert, seit Frühjahr gibt es einen Angestelltenbetriebsrat …

Die Beschäftigten hatten einfach Angst. Wer sagt, dass er einen Betriebsrat gründen will, riskiert die Kündigung. Natürlich wird das dann offiziell nicht so begründet, sondern es heißt dann, dass der:die Kolleg:in schlecht arbeitet. Aber wir wissen natürlich, was der wahre Grund ist. Und deshalb haben die Leute einfach Angst.

Wie viele Amazon-Standorte gibt es in Österreich?

Es gibt sechs: Klagenfurt, Graz, Wels, zwei in Wien, und einen in Großebersdorf.  Es ist durch die Struktur und die Distanzen zwischen den Niederlassungen natürlich schwierig, stabile Beziehungen zwischen den Belegschaften aufzubauen. Und ohne Betriebsrat ist das fast unmöglich. Die meisten Kolleg:innen kennen ihre Rechte nicht, viele sind so wie ich Ausländer:innen und sprechen noch schlecht Deutsch. Und wenn man dann ein bisschen über seine Rechte Bescheid weiß, verlassen viele die Firma wieder. Kurzum: Es gibt eine sehr hohe Fluktuation. Dadurch kommen rasch neue Kolleg:innen, die sich natürlich noch nicht auskennen. Und dann hast du wieder Leute, die sich noch nicht trauen, sich zu beschweren. Wir sind jetzt im neu geschaffenen Arbeiter-Betriebsrat auch ganz neu in unserer Rolle, und müssen erst lernen. Aber die Gewerkschaft Vida hat uns voll unterstützt.

Betriebsratswahlen durchzuführen ist ja leider extrem schwierig in Österreich.

Unglaublich schwierig. Aber so ist es eben. Ich bin Betriebsrat, weil ich muss, und nicht, weil ich will. Weil ich den Kollegen helfen möchte. Ich würde nicht sagen, dass das es Spaß macht, aber ich bin jemand, der alles auch mit Humor nimmt. Ich rege mich nicht so schnell auf. Stress bringt gar nichts.

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Was sind die Hauptprobleme der Beschäftigten?

Es ist eine Summe von vielen Dingen. Viele sind in der Nachtschicht, das ist die anstrengendste Arbeit. Das sind dann 35 Stunden pro Woche, aber unter einem immensen Druck. An manche Tage ist es okay, wenn du beispielsweise 30.000 Pakete in der Nachtschicht übernehmen musst, aber wenn es 40.000 bis 60.000 sind, dann wird es arg. Wir sind keine Maschinen. Wir bekommen den Mindestlohn des Kollektivvertrags, plus die Zuschläge für die Nachtschicht. Dabei sind es Kleinigkeiten, die die Leute froh machen würden, wie ein Bonus oder Gutscheine. Dann fühlen sie sich wertgeschätzt, und dann ist die Produktivität auch gleich höher.

Wir haben auch viele Krankenstände, weil das die einzige Möglichkeit ist, wie sich die Mitarbeiter:innen wehren können. Aber dann haben die anderen Kolleg:innen automatisch mehr Arbeit. Dabei haben alle etwas davon, wenn die Leute zufriedener und nicht so unter Druck sind. Dann gibt es auch weniger Unfälle. Wir wollen einen gesunden Arbeitsplatz. Und einen Arbeitsplatz, an dem die Leute weniger Angst haben, dass sie sofort gekündigt werden.

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Über den/die Autor:in

Robert Misik

Robert Misik ist Journalist, Ausstellungsmacher und Buchautor. Jüngste Buchveröffentlichung: "Die falschen Freunde der einfachen Leute" (Suhrkamp-Verlag, 2020). Er kuratierte die Ausstellung "Arbeit ist unsichtbar" am Museum Arbeitswelt in Steyr. Für seine publizistische Tätigkeit ist er mit dem Staatspreis für Kulturpublizistik ausgezeichnet, 2019 erhielt er den Preis für Wirtschaftspublizistik der John Maynard Keynes Gesellschaft.

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