Lehre oder Matura: Zwei Universen – eine Generation?

Zwei Jugendliche der Gen Z arbeiten an einem Auto.
Ob Jugendliche eine Lehre oder Matura machen, hängt vor allem vom Bildungshintergrund des Elternhauses ab. | © Adobestock/Alexander Raths
Innerhalb der Jugend stehen sich Welten gegenüber: Die Entscheidung zwischen Lehre und Matura hat weitreichende Folgen für den weiteren Lebensweg und wird in Österreich doch stark vom familiären Bildungshintergrund mitbestimmt.
Die Unterschiede zwischen den Generationen sind ein beliebtes Thema in den (sozialen) Medien. Auf YouTube, TikTok oder Instagram wird gezeigt, wie man „Millennials“ und „Gen Z“ anhand ihrer Sockenlänge unterscheiden kann und warum „Boomer:innen“ aus der Sicht der Jugend grundsätzlich „cringe“ sind in allem, was sie tun. Vernachlässigt wird in diesen Debatten allerdings oft, dass sich Lebensverläufe abhängig von der sozialen Herkunft gänzlich unterschiedlich gestalten.

Lehre oder Matura ist eine Frage des Elternhauses

Nehmen wir die Jugend- oder Adoleszenzphase als Beispiel. Auf der einen Seite gibt es junge Erwachsene, die mit 19 bereits mehrere Jahre Berufsleben hinter sich und einen Lehrabschluss in der Tasche haben, während andere der gleichen Altersgruppe sich nach der Matura auf das Studium, also eine weitere Ausbildungsphase, vorbereiten.

Welcher dieser beiden Wege eingeschlagen wird, ist kein Zufall. Abhängig vom Bildungshintergrund der Eltern ist es unterschiedlich wahrscheinlich, welche Abzweigung im Bildungssystem die jungen Menschen wählen. So kommen laut nationalem Bildungsbericht knapp zwei Drittel der Jugendlichen, die nach der Neuen Mittelschule (NMS) in eine polytechnische oder berufsbildende Schule wechseln, aus Haushalten, in denen die Eltern keine Matura haben. Hingegen haben mehr als drei Viertel der Jugendlichen, die nach der NMS in die Oberstufe einer AHS wechseln, Eltern mit Matura. Es sind also vor allem Kinder aus Familien mit geringeren formalen Qualifikationen und finanziellen Mitteln, die früh von der Schule Abschied nehmen und ins Arbeitsleben eintreten.

Und dieser Eintritt in das Erwerbsleben ist ein markantes Ereignis. Für Jugendliche, die mit 15 Jahren eine Lehre beginnen, ändert sich vieles radikal. Der Tagesablauf und die verfügbare Zeit, aber auch die gewohnten Umgangsformen, sozialen Beziehungen oder Erfahrungen von sozialen Hierarchien. Bereits vor rund hundert Jahren thematisierte der Sozialforscher Paul Lazarsfeld die nachteiligen Auswirkungen des frühen Erwerbseintritts bei Arbeiter:innen: „[…] dadurch entgeht [ihnen] ein Teil jener Quellen an Energien, Umwelterweiterungen und Zielsetzungen, die zu speisen die biologische Funktion der Pubertät in der freien Entwicklung ist.“

Verantwortung in der Lehre, Entfaltung bei der Matura

In privilegierteren Klassenlagen hingegen ist, wenn es finanziell möglich ist und als erstrebenswert gilt, ein längerer Verbleib im Bildungssystem üblich. Die Übernahme von Verantwortungen und Verpflichtungen, die in der Regel mit dem Erwachsenenleben verbunden werden, verschiebt sich für diese Jugendlichen zeitlich nach hinten. Dadurch eröffnen sich andere Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. So sind in diesem Umfeld auch längere Phasen der Orientierung, des Ausprobierens und Suchens möglich oder sogar erwünscht. Wie zum Beispiel ein Auslandsaufenthalt, der Wechsel der Schule oder Studienrichtung oder auch kurze Phasen der Arbeitslosigkeit und andere „Auszeiten“.

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— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 22. Januar 2025 um 16:30


Der französische Soziologe Pierre Bourdieu spricht in dem Zusammenhang von „two youths“, also zwei Jugenden. Diese skizzierte Zweiteilung ist sicherlich holzschnittartig und in der Realität komplexer. Sie macht uns jedoch aufmerksam für die grundlegenden Unterschiede in den Rahmenbedingungen des Aufwachsens und Erwachsenwerdens, welche die weiteren Möglichkeiten junger Menschen bestimmen. Und die schlussendlich dazu führen, dass man zwar in derselben Zeit geboren wurde, sich aber in unterschiedlichen Welten befindet. Mehr Sensibilität für soziale Unterschiede, ihre Ursachen und Folgen anstelle der Analyse von Sockenlängen würde der Generationen-Debatte sicherlich nicht schaden.

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Über den/die Autor:in

Carina Altreiter

ist Soziologin, Referentin in der Abteilung Frauen und Familie der AK Wien und
Lektorin an der Johannes Kepler Universität Linz.

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