Lehre für jedes Alter in der Lehrwerkstatt Jugend am Werk
„Mit elf Jahren bin ich das erste Mal in einer Werkstatt gestanden“, erzählt Gabriele Ertl, und das hinterließ einen bleibenden Eindruck: Sie ist 57 Jahre alt, steht mitten im Leben und ist seit ihrer Kindheit ein Fan von Motoren, Autos und Motorrädern. „Ein Cousin hat mich immer mit dem Motorrad zur Schule gefahren. Das hätte er gar nicht dürfen“, sagt Ertl. „Aber damals fing meine Begeisterung für Mechanik und Motoren an.“
Dass Gabriele Ertl heute immer ab 8 Uhr vormittags in der Lehrwerkstatt steht, schien für sie über viele Jahrzehnte undenkbar. „Ich habe fünf Kinder in die Welt gesetzt, da war keine Zeit für so etwas.“ Doch die Begeisterung für Motorräder blieb ihr erhalten, und jetzt absolviert sie eine Intensivausbildung zur Facharbeiterin in Kfz-Mechanik. Ihre letzten Berufsjahre hofft sie in einer Werkstatt verbringen zu können. „Danach will ich mit dem Motorrad durch die Welt fahren“, sagt sie. „Vielleicht hilft mir auch da meine Ausbildung, falls einmal etwas kaputtgeht.“
Insgesamt 21 Monate dauert diese Intensivausbildung der Kfz und Pkw-Technik bei Jugend am Werk, die sich ausschließlich an Frauen richtet. Im Jänner 2025 wird Ertl ihre Lehrabschlussprüfung bestehen müssen. Die Berufsschulbank drücken die Teilnehmerinnen des Programms aber nicht, dafür verbringen sie 35,5 Wochenstunden in der Lehrwerkstatt – mit vielen begleitenden Inhalten wie Fachrechnen, Fachzeichnen und mechanischer Technologie. Auch Praktika sind im Rahmen der Ausbildung zu absolvieren, mit dem Ziel, von einem Betrieb dauerhaft als Lehrling übernommen zu werden. „Wir kriegen hier abgewirtschaftete Autos, die wir komplett zerlegen können“, sagt Ertl sichtlich erfreut. „Das können wir in den freien Werkstätten nicht machen.“
Der im heurigen Frühjahr erschienene 5. Lehrlingsmonitor zeichnet ein umfassendes Bild der Situation von Lehrlingen in Österreich. Er zeigt, dass sie vielerorts mit Problemen konfrontiert sind: Nur zwei von drei der rund 5.500 befragten Lehrlinge bezeichnen ihre Ausbildung als zufriedenstellend. Viele berichten, von ihren Chefs ausgebeutet und zu fachfremden Aufgaben herangezogen zu werden. Etwa ein Drittel gab an, im Betrieb bereits beleidigt, belästigt, bedroht oder bloßgestellt worden zu sein oder unbezahlte Überstunden leisten zu müssen. In der Lehrwerkstatt bei Jugend am Werk scheint es glücklicherweise anders zu laufen.
Brennen für Motoren
„Mir macht es wirklich Spaß. Wir können hier sehr motiviert lernen“, sagt Chelsea Möstl, die erst ganz am Beginn ihrer Laufbahn steht. Sie ist gerade im ersten Lehrjahr in der Werkstatt bei Jugend am Werk. Im Gegensatz zu Gabriele Ertl besucht Möstl keinen speziell auf Frauen zugeschnittenen Ausbildungspfad. „Ich bin das einzige Mädchen hier“, sagt sie über ihren Jahrgang. „Aber das Arbeitsklima gefällt mir sehr gut. Alle sind total hilfsbereit. Es ist eine gute Gemeinschaft.“ Nach ihrer Lehre wäre ihr jede Autofirma als Arbeitgeber recht, meint sie, „aber meine Lieblingsfirma wäre BMW. Doch jedes Auto hat seine Vor- und Nachteile. Ich freue mich auf die Arbeit, solange das Arbeitsklima dort passt.“
3,5 Jahre beträgt die Ausbildung zum bzw. zur Kfz-Mechaniker:in. Zu den Tätigkeiten dieses Berufs gehören unter anderem das Lesen elektronischer Schaltpläne und deren Anwendung, die Auswahl erforderlicher Materialien und Werkstoffe, das Bedienen elektronischer Diagnose-Einrichtungen oder das Prüfen, Ausbauen, Montieren, Instandsetzen und Warten von Baustellen des Fahrwerks wie Karosserie, Federung, Radführung oder der Bremsen. Davon, endlich einmal Hand an eine Karosserie oder einen Motor anlegen zu dürfen, träumt die 16-jährige Möstl noch. Ganze Autos auseinanderzunehmen, wie Gabriele Ertl es tut, steht bei ihr noch nicht auf dem Programm. „Leider“, wie sie sagt. „Ich freue mich schon darauf, selber zu schrauben“, aber erst müsse sie lernen, mit der Säge umzugehen. „In der Werkstatt üben wir, wie man Metall sägt“, sagt Möstl. „Und wir lernen alle Details über Motoren. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Motorarten machen mir besonders Spaß. Neulich haben wir über Dieselmotoren gesprochen.“
Wissbegierde altert in der Lehrwerkstatt nicht
Die abgewrackten Autos bekommt der Lehrbetrieb übrigens von der MA 48, der städtischen Müllabfuhr, erzählt Magdalena Rosenkranz, Ausbildnerin bei Jugend am Werk. „Sie werden oft vom Straßenrand weggeholt, wo sie verlassen herumstehen“, sagt sie. „Die Besitzer:innen sind nicht mehr auffindbar oder melden sich nicht mehr.“
Rosenkranz hat 19 Jahre Berufserfahrung als Kfz-Mechanikerin und bildet heute selbst Lehrlinge aus – ältere und junge, und vor allem auch Frauen im Rahmen des „Frauen in die Technik“-Programms in der Erwachsenenbildung. Für ihre Ausbildungstätigkeit brennt Rosenkranz genauso wie Ertl und Möstl für Motorräder und Motoren. Die Arbeit mit jenen Frauen, die bereits Berufserfahrung haben und sich in einem späteren Lebensabschnitt für eine Lehre entscheiden, habe Vorteile: „Die Damen fordern extrem“, sagt Rosenkranz. „Sie stellen viele Fragen, saugen das Wissen auf und sind motivierter als die Jungen. Die Älteren wissen ganz genau, dass das der Beruf ist, den sie ausüben wollen. Bei den Jungen ist das nicht immer der Fall.“ Gelächter umstehender Lehrlinge unterbricht kurz das Gespräch. Rosenkranz erklärt: „Die anderen lachen, weil ich wieder rot im Gesicht werde und mit den Armen wedle. Wenn ich für ein Thema brenne, dann haltet mich nicht viel.“
Gemeinsame Interessen
„Wir reden untereinander darüber, welche Autofirmen den Bach runtergehen und warum. Das merken wir schon hin und wieder“, sagt Gabriele Ertl. Die Berufssparte, in die Frauen aktuell eintauchen, befindet sich im Umbruch. Das von der EU geplante Verbrenner-Aus, Elektromobilität, Verkehrswende: All das wirkt sich auch auf die Tätigkeit von Kfz-Betrieben aus. Ertl sorgt sich über die Zukunft der unabhängigen Werkstätten: „Die Wirtschaft will die weghaben. Werkstätten unterstützen sich gegenseitig und tauschen sich aus. Doch die Konzerne wollen keine Unabhängigkeit.“ Ertl spielt auf einen seit Langem schwelenden Konflikt in der Branche an: Autokonzerne versuchen gerne, ihre Kund:innen an eigene Vertragswerkstätten zu binden, indem sie behaupten, dass die Garantie bei Nutzung einer freien Werkstatt verfällt. 2010 entschied aber der Europäische Gerichtshof, dass auch bei in freien Werkstätten durchgeführten Reparaturen die Garantie auf einen Pkw erhalten bleibt – ein positives Signal für Lehrlinge, die später bei freien Werkstätten anheuern wollen.
Gabriele Ertl fühlt sich allerdings mit älteren Modellen ohnehin wohler: „Bei den neuen Autos kann man kaum noch selber unabhängig von den Herstellern reparieren“, sagt sie. „Bei der modernen computergesteuerten Technik haben die Hersteller eine viel größere Kontrolle, etwa bei Updates oder Ersatzteilen. Deshalb liebe ich die alte Technik so, weil es da noch möglich ist, herstellerunabhängig zu reparieren, auszutauschen und zu basteln.“ Nach ihrer Lehre wolle sie auch deshalb Oldtimer reparieren, meint Ertl.
Der Schmäh rennt
Die Atmosphäre zwischen Lehrlingen unterschiedlicher Altersstufen und Ausbildner:innen ist bei Jugend am Werk entspannt bis herzlich. Es wird immer wieder gescherzt und gelacht. Es scheint so, als würden sich Chelsea Möstl und Gabriele Ertl schon lange Zeit kennen, sogar gemeinsam lernen. Tatsächlich kennen sie sich höchstens vom Sehen. Rund 250 Personen lernen insgesamt im Lehrbetrieb Technologienzentrum, doch die jungen Lehrlinge und die Teilnehmerinnen der Intensivlehre für Frauen laufen sich eher zufällig im Gebäude über den Weg. Ein Gefühl der Gemeinsamkeit entsteht vor allem über die einheitliche Arbeitskleidung und das Bewusstsein, ähnliche Berufe zu erlernen und ähnliche Interessen zu pflegen.
Lehrlinge unterschiedlichen Alters sind nicht gleich, doch wenn der Besuch bei Jugend am Werk eines gezeigt hat, dann das: Die Liebe zu Motoren brennt bei allen Lehrlingen, egal ob sie 16 oder 57 Jahre alt sind. Schon bald wird Chelsea Möstl hier alte Autos komplett zerlegen dürfen, wie es Gabriele Ertl bereits tut. Und sie freut sich schon mächtig darauf.
Weiterführende Artikel
Wie das R.U.S.Z ein zweites Leben verleiht – Arbeit&Wirtschaft
KTM: Kollaps am Rücken der Beschäftigten – Arbeit&Wirtschaft
Klimaschutz versus Arbeitsplätze gibt es nicht! – Arbeit&Wirtschaft