Herr Schweisgut, „Zölle, Zölle, Zölle“ waren die Lieblingsworte Donald Trumps im Wahlkampf. Folgt jetzt ein Handelskrieg zwischen den USA und China?
Hans Dietmar Schweisgut: Den Handelskrieg haben wir schon, er hat unter der ersten Trump-Regierung (Anm. 2017-2021) begonnen. Ab 2018 wurden Strafzölle eingehoben. Es gab auch Zölle auf Stahl und Aluminium, die sich gegen die EU gerichtet haben.
60 Prozent Zölle will Trump gegenüber China verhängen. Was unterscheidet seine zweite Amtszeit von der ersten?
In seiner ersten Amtszeit ging es zuerst um die Beseitigung des Handelsbilanzüberschusses von China (mehr Importe aus China als Exporte der USA nach China, Anm.). Die Sanktionen wurden unter Präsident Joe Biden, seit 2021 im Amt, weiter ausgebaut, auch als Instrument gegen den technologischen Aufstieg Chinas. Das führte auch zu Druck auf Europa und betraf etwa die niederländische Firma ASML, die bei der Herstellung von Maschinen zur Produktion moderner Hochleistungschips weltweit führend ist. Mit der zweiten Regierung von Trump verschärft sich vermutlich die Auseinandersetzung zwischen den beiden Systemen – weit über einen reinen Handelskrieg hinaus.
Was bedeutet das konkret?
In der Handelspolitik hat der US-Präsident allein schon erhebliche Befugnisse. Dazu kommt, dass die Republikaner beide Häuser im Kongress kontrollieren, das gibt Trump zusätzlich Gewicht. Außerdem gibt es in den USA seit Längerem einen parteiübergreifenden Konsens für eine harte Chinapolitik. In den Wirtschaftsbeziehungen geht es um die Förderung US-amerikanischer Interessen in dem Sinne, dass der Deindustrialisierung in den Vereinigten Staaten entgegengewirkt wird, Arbeitsplätze zurückgeholt werden und der Freihandel als Maxime nicht mehr akzeptiert wird. Das ist klare Interessenpolitik, America first. Wirtschaftsbeziehungen werden nur noch als Transaktionen gesehen, ob sie den USA etwas bringen oder nicht.
Auch die EU hat kürzlich Sonderzölle für Elektroautos aus China erlassen. Nehmen die Spannungen zwischen Europa und China zu?
Die Beziehungen der EU zu China haben sich seit 2016 verhärtet. Zuerst aus der Situation heraus, dass sich die EU mehr als ein Jahrzehnt bemüht hat, europäischen Unternehmen besseren Marktzugang in China zu verschaffen. Gleichzeitig wollte sie Entwicklungen wie erzwungenen Technologietransfer oder -diebstahl verhindern, die sich gegen EU-Interessen richteten. Letztlich hatte die EU kein Instrument für Maßnahmen, außer zu sagen, dass sie den Handel mit China nicht beschränken, sondern China zu einer offeneren Wirtschaft machen wolle.
2016 entbrannte der Streit über den Status der Marktwirtschaft von China wegen seiner Überkapazitäten im Stahl- und Aluminiumbereich. China verweigerte damals das Gespräch und in der EU setzte ein Umdenken ein: Sukzessive hat die EU begonnen, ihre Handelsinstrumente gegen unfairen Wettbewerb zu verschärfen, etwa im Dumping-Bereich, bei Investitionen, bei Subventionen und im öffentlichen Auftragswesen. Das hat die Beziehungen auf beiden Seiten verhärtet.
Wie unterscheidet sich die Handelspolitik der EU von der der USA in Sachen Zölle?
Der große Unterschied ist, dass die EU alle ihre Instrumente auf Basis der Regeln der World Trade Organization (WTO) rechtfertigt. Trump sagt einfach, ich verhänge Zölle, ohne diese zu begründen. Die EU muss hingegen in jedem einzelnen Fall nachweisen, dass ein chinesisches Produkt subventioniert wird und – je nach Ausmaß – gegen WTO-Regeln verstößt. Das erklärt auch die unterschiedlichen Zollsätze. Die EU hält nach wie vor an einem regelbasierten internationalen System fest.
Kritiker:innen sagen, dass Zölle der Wirtschaft schaden. Der Deutsche Bundestag hat allerdings gegen die Zölle auf E-Autos gestimmt.
In einer idealen Welt würde man sagen, dass Zölle den Handel behindern und gegen Wachstum und Beschäftigung gerichtet sind. Wir leben aber in einer Welt, in der nicht nur China ein selektives Verständnis von Freihandel hat und seine eigenen Interessen schonungslos durchsetzt. Auch die USA rücken vom multilateralen System (Zusammenarbeit mehrerer Staaten bei der Lösung von politischen, ökonomischen und sozialen Problemen, die grenzübergreifend sind, Anm.) ab, das sie selbst geschaffen haben. Die Frage daher: Wie kann Europa seine eigenen Interessen verteidigen?
Bei den Autozöllen kann man argumentieren, dass durch Gegenmaßnahmen beide Seiten leiden. Man kann China aber auch zu Verhandlungen zwingen. Das ist derzeit erfolgt, es wird weiter verhandelt. Man sollte nicht wegen kurzfristiger Interessen die Möglichkeit einer längerfristigen gemeinsamen Strategie auf EU-Ebene über Bord werfen. Beim Nein der Deutschen ging es um Innenpolitik. Eine erfolgreiche Strategie sieht anders aus.
Ist es gut, dass die EU den Außenhandel gemeinsam regelt?
Das ist eines der wenigen Instrumente, welches der EU Respekt verschafft. Würde es diese gemeinsame Handelspolitik nicht geben, hätten wir eine Zersplitterung, die dazu führen würde, dass Europa insgesamt kaum Gewicht in den globalen Wirtschaftsbeziehungen hat. Das hilft auch den kleineren Ländern in der EU.
Auch PRO-GE & @GPAdjp unterstützen die heutige Protestaktion in Brüssel. Denn: Billigstahl aus #China gefährdet europäische Arbeitsplätze. https://t.co/1cwMDkCmiV
— ÖGB (@oegb_at) November 9, 2016
Wie sehen Sie das „Neue Seidenstraßen-Projekt“ Chinas, also den vielen Handels- und Infrastrukturprojekte zwischen China und vielen anderen Ländern?
China geht es darum, neue Märkte zu erschließen, Handelswege auszubauen und Einfluss zu gewinnen. Letztlich wurde ein globaler Schirm über alle großen chinesischen Projekte und Investitionen in Infrastruktur, Transport und im digitalen Bereich gespannt. Mehr als 140 Länder haben inzwischen ein Memorandum of Understanding mit China unterzeichnet. China hat in Häfen auf der ganzen Welt investiert – nicht nur in Piräus, Hamburg, Rotterdam und Antwerpen gibt es chinesische Beteiligungen.
Es gibt aber auch Negativbeispiele: Ein Hafen in Sri Lanka konnte seine Kredite nicht bedienen, woraufhin China einen Pachtvertrag über 99 Jahre für diesen Hafen erwarb. Auch in Europa gibt es Projekte, die zum Teil intransparent finanziert wurden, wie die Eisenbahnverbindung zwischen Belgrad und Budapest. Das chinesisch finanzierte Autobahnprojekt in Montenegro wurde bereits von der Weltbank abgelehnt und erhöht massiv die Verschuldung des Landes.
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