Betrachtet man den gewerkschaftlichen Stammbaum, dann waren die Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft ursprünglich in der Gewerkschaft Land-Forst-Garten und später in der Gewerkschaft Agrar-Nahrung-Genuss (ANG) organisiert.
Im Jahr 2006 vereinigte sich die ANG, deren Vorsitzender ich seit 2004 war, mit der damaligen Gewerkschaft Metall-Textil, und drei Jahre später entstand aus der Gewerkschaft Metall-Textil-Nahrung und der Gewerkschaft der Chemiearbeiter die Produktionsgewerkschaft PRO-GE. Sie ist die für die Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft zuständige Gewerkschaft.
Zersplitterung und Föderalismus
Die vielfältigen Tätigkeitsbereiche, die zersplitterte Betriebsstruktur und ein starker Föderalismus machen diese Branche für uns zu einer großen Herausforderung, wie auch ein Blick auf unsere Kollektivvertragslandschaft beweist: Von den Bäuerlichen Betrieben des Burgenlandes bis hin zu den Winzergenossenschaften Niederösterreich zählen wir rund 30 Kollektivverträge. Darunter sind einige „starke“ Kollektivverträge, wie jener für die Österreichischen Bundesforste oder die Bayerischen Saalforste Salzburg. Aber es überwiegen jene, wo wir von einem Mindestlohn von 1.500 Euro noch mehr oder weniger deutlich entfernt sind.
Arbeitsrechtliche Abgründe
An dieser Stelle ist es mir wichtig festzuhalten: Auch wenn die (oft migrantischen) ArbeitnehmerInnen in der Land- und Forstwirtschaft in der öffentlichen Wahrnehmung leider nur eine untergeordnete Rolle spielen bzw. bewusst an den Rand gedrängt werden – nicht nur bei den Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern zum Mindestlohn im Frühjahr waren und sind uns ihre Interessen ein großes Anliegen.
Es ist für uns keine Neuigkeit, dass der Kollektivvertrag und die betriebliche Realität nicht immer im Einklang stehen. Doch gerade im land- und forstwirtschaftlichen Bereich tun sich manchmal arbeitsrechtliche Abgründe auf, die man im Österreich des 21. Jahrhunderts nicht mehr für möglich halten würde.
Wir bemühen uns als PRO-GE nach Leibeskräften, sowohl die gewerkschaftliche Organisation in der Land- und Forstwirtschaft als auch die Durchsetzung der Rechte der ArbeitnehmerInnen voranzutreiben. Aufgrund einiger Besonderheiten – Saisonarbeit, Sprachbarrieren und ein kaum vorhandenes Unrechtsbewusstsein vieler Arbeitgeber – gestaltet sich das jedoch schwieriger als in anderen Branchen.
Gerade deshalb wäre eine wirkungsvolle Kontrolltätigkeit der Landwirtschaftsinspektorate von großer Bedeutung: Auf Basis des Tätigkeitsberichts des Landwirtschaftsinspektorates Steiermark lässt sich errechnen, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb in der Steiermark durchschnittlich alle 1.200 Jahre kontrolliert wird. Hier ist Nachholbedarf ein bescheidener Hilfsausdruck, vielmehr würde ich klar von einem Politikversagen sprechen.
Offensichtliche Versäumnisse
Die mangelnde personelle Ausstattung der Landwirtschaftsinspektorate ist nicht das einzige offensichtliche Versäumnis der heimischen Landwirtschaftspolitik. Aber sie alle zu nennen würde den Rahmen sprengen.
Jedenfalls: Wie in allen anderen Wirtschaftsbereichen sind es auch in der Land- und Forstwirtschaft in erster Linie die Betriebsrätinnen und Betriebsräte, die gemeinsam mit der Gewerkschaft für faire Arbeitsbedingungen und eine faire Entlohnung der Beschäftigten eintreten!
Rainer Wimmer
Bundesvorsitzender der PRO-GE
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 9/17.
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