Produktion im Opel-Werk in Aspern eingestellt
Heute stehen auf dem Parkplatz des Firmengeländes mit Dutzenden Stellplätzen nur noch vereinzelt Fahrzeuge. Am 19. Juli 2024 ging im Opel-Werk in Aspern das letzte Sechs-Gang-Schaltgetriebe vom Band, die Produktion wurde nach einem jahrelangen Abbauprozess eingestellt. Von den rund 2.200 Beschäftigten in der Blütezeit des Werks waren zum Schluss noch knapp 300 übrig. Die Geschichte des Stellantis-Werks in Aspern ist aber nicht nur die eines Abschieds. Durch gekonntes Verhandeln des Betriebsrats und eine Kooperation mit dem Wiener Arbeitnehmer*innen Förderungsfonds (waff) sowie dem AMS Wien ist es gelungen, eine große Zahl der „letzten“ Mitarbeiter:innen abzusichern.
E-Mobilität verschlafen
Man wolle sich in Zukunft auf Standorte konzentrieren, die besser für die Anforderungen der Elektromobilität gewappnet sind, begründete der Eigentümer des Werks, der Autokonzern Stellantis, die Schließung im Sommer 2023. „Hätte man es wirklich gewollt, hätte man hier locker auf E-Mobilität umstellen können“, ärgert sich der Angestelltenbetriebsrat Dietmar Grubhofer. „Die Kompetenzen haben wir. Das wäre wirklich kein Problem gewesen“, sagt er in seinem Büro, das er die nächsten Monate wird räumen müssen. Laut Grubhofer seien es die vergleichsweise hohen Kosten des Wiener Werks gewesen, die Stellantis nicht mehr stemmen wollte. „In den Werken in Indien sind die Personalkosten einfach niedriger als bei uns“, erklärt er. Es sei bei der Schließung schlicht und ergreifend um Gewinnmaximierung gegangen.
Seit mehr als 40 Jahren arbeitet Grubhofer in dem Werk und wird das auch bis zum Schluss tun. „Ich bleibe, solange noch Angestellte hier sind“, betont er. Seit dem Stopp der Produktion sind noch rund 50 Mitarbeiter:innen auf dem Areal des Opel-Werks in Aspern, das im Jänner 2025 an die Bundesimmobiliengesellschaft übergeben werden soll. Von Monat zu Monat werden es weniger, während in den riesigen Werkshallen die Maschinen abgebaut werden. Ein Teil wird verkauft, ein Teil in andere Werke von Stellantis transportiert. Und die Autos auf dem Parkplatz werden von Monat zu Monat weniger.
Opel-Werk in Aspern – „Es war absehbar“
Spricht man heute mit der Belegschaft des Wiener Stellantis-Werks, so fällt früher oder später der Satz: „Es war absehbar, dass es irgendwann aus sein wird.“ Denn für den fossilen Verbrennungsmotor gibt es keine glorreiche Zukunft in Europa. Laut dem Statistischen Bundesamt Deutschlands war 2023 jedes siebte neu zugelassene Auto in der Europäischen Union ein E-Auto. Auch in Österreich verzeichneten Elektroautos 2023 mit einem Anteil von 19,9 Prozent ein Rekordjahr.
Und die als „Verbrenner-Aus“ bekannten Pläne der EU sehen vor, dass ab dem Jahr 2035 gar keine mit Diesel oder Benzin betriebenen Pkws mehr neu zugelassen werden dürfen. Eine Ausnahme soll es nur für E-Fuels geben. Ab 2030 will auch Stellantis in Europa nur noch Autos mit Elektroantrieb verkaufen. Und ein Kollateralschaden dieser Entwicklung ist die Auflassung des Opel-Werks in Aspern.
Neustart statt Abschied
Was mit den Mitarbeiter:innen passieren sollte, war eine Frage, die sehr ernst genommen wurde. Ein Jobcenter wurde ins Leben gerufen. In Workshops wurden Bewerbungstrainings abgehalten, ein Fotograf schoss die Porträtfotos für die Bewerbungen. Unternehmen wie die Wiener Linien oder die Wiener Stadtwerke besuchten das Werk, um Arbeitsplätze anzubieten. „Das Problem hier war leider, dass viele unserer Mitarbeiter:innen keine Fachkräfte, sondern nur angelernt sind“, sagt Arbeiter:innenbetriebsrat Christoph Rohm. Er schloss seine Lehre zum Elektroanlagentechniker im Werk ab und war bis zu seiner Freistellung als Betriebsrat vor allem in der Einzelteilfertigung tätig.
Auch das hohe Alter der Belegschaft sei eine Herausforderung gewesen. „Der Durchschnitt der Arbeitsjahre der Mitarbeiter:innen lag bei der Einstellung der Produktion bei 28 Jahren“, erklärt Rohm. Viele der Mitarbeiter:innen, wie auch er selbst, hätten bisher nur in diesem einen Werk in Aspern gearbeitet und kaum eine andere Betriebsstätte kennengelernt. Einen soliden Sozialplan auszuhandeln sei deshalb essenziell gewesen. Besonderes Augenmerk wurde dabei darauf gelegt, Mitarbeiter:innen mit entsprechendem Alter ins Frühpensionssystem zu überführen, Freistellungen zu gewährleisten und eine Abfertigung bereitzustellen, mit der man auch einige Zeit ohne Anstellung auskommen könnte.
Geschäftsführung aufseiten der Angestellten
„Es haben wirklich alle an einem Strang gezogen und geschaut, dass die Mitarbeiter:innen gut aussteigen“, betont Dietmar Grubhofer. „Von den beiden Gewerkschaften GPA und PRO-GE gab es auch wichtige Unterstützung.“ Man kenne auch viele Gewerkschafter:innen seit Jahrzehnten. Von „fast Verbündeten“ aufseiten der Geschäftsführung und des Aufsichtsrats spricht zudem Arbeiter:innenbetriebsrat Rohm.
„Wir hatten immer ein gutes Gesprächsklima. Man hat gemerkt, dass vielen etwas an den Leuten gelegen ist“, sagt er. Mit dem ausgehandelten Sozialplan sei man jedenfalls zufrieden – zumindest, soweit das die Umstände zulassen. „Ich denke, von unseren Mitarbeiter:innen muss niemand für die Zeit danach einen Verlust des bisherigen Lebensstandards befürchten“, ist sich Rohm sicher.
Opel-Werk in Aspern: Das Ende einer Ära
Geschafft habe man das auch über eine eigens eingerichtete Unternehmensstiftung – und die gibt es nicht zum ersten Mal. „Ich habe den Aufstieg und Zerfall des Werks miterlebt“, sagt Franz Fallmann wehmütig. 2018, als im Opel-Werk in Aspern 400 der damals 1.200 Stellen gestrichen wurden, war er noch Angestelltenbetriebsrat. Auch damals hatte man über eine Stiftung versucht, die Belegschaft beruflich aufzufangen. „Bei den vorherigen Sozialplänen ging es allerdings um eine Verkleinerung der Belegschaft, nie um die komplette Schließung des Betriebs“, so Fallmann. Mit seinem Nachfolger und langjährigen Kollegen Grubhofer verbindet ihn auch nach seiner Pensionierung im Jahr 2022 eine Freundschaft. Die jetzige Situation sei für beide außergewöhnlich.
Franz Fallmann und Dietmar Grubhofer haben beide in den 1980er-Jahren bei Opel zu arbeiten begonnen und damit den Großteil der Werksgeschichte selbst miterlebt. Es war in den späten 1970er-Jahren, als Österreich um die Ansiedlung internationaler Industriebetriebe buhlte. Große Unternehmen sollten her, um neue Arbeitsstellen zu schaffen und die heimische Wirtschaft anzukurbeln. Die Eröffnung des Opel-Werks in Wien-Aspern galt als einer der großen Meilensteine dieser Bemühungen. Der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky höchstpersönlich spielte bei der Errichtung des Opel-Werks in Wien-Aspern eine maßgebliche Rolle. Am 23. August 1979 unterzeichnete er mit Helmuth Schimpf, Generaldirektor bei General Motors Austria, den Vertrag für die Errichtung des Motorenwerks.
Das Ende der goldenen Jahre
In den Anfangsjahren konzentrierte man sich auf die Herstellung von Vierganggetrieben und sogenannten Familie-1-Motoren. Im Laufe der Jahre erweiterte sich die Produktion jedoch auf verschiedene Getriebe- und Motormodelle. 1989 wurde der zweimillionste Motor gefertigt, und 1999 verließ das zehnmillionste Getriebe das Werk. Von den goldenen Jahren sollte bei den Opel-Werken allerdings drei Jahrzehnte später wenig übrig bleiben – nicht einmal der Name.
2005 ging das Werk nach dem Ende eines Joint Ventures zwischen General Motors und Fiat vollständig an General Motors. 2017 wurde Opel von der PSA-Gruppe, die später gemeinsam mit Fiat Chrysler Automobiles zu Stellantis fusionierte, übernommen. Bereits im selben Jahr drohte der Konzern, das Werk in Aspern zu schließen. Die Stadt Wien half mit Subventionen aus, und das Unternehmen, der Betriebsrat, der waff und das AMS Wien richteten die erste gemeinsame Unternehmensstiftung ein. Während 2021 die Peugeot-Mutter PSA und Fiat-Chrysler zu Stellantis fusionierten, schrumpfte das Werk in Aspern immer mehr zusammen. 2020 verlor der Produktionsstandort schließlich auch den letzten Großauftrag von General Motors. Das Ende wurde absehbar.
Hoher Altersschnitt
„Es war klar, dass die Schließung besonders kritisch würde, da wir es hier auch mit einer atypischen Belegschaft zu tun haben“, sagt Alexander Juen, stellvertretender Geschäftsführer des waff. Er begleitet die heuer eingerichtete Unternehmensstiftung zur endgültigen Schließung des Stellantis-Werks in Aspern. Was er konkret meint, ist der hohe Altersdurchschnitt der Belegschaft. „Mehr als 60 Prozent der Mitarbeiter:innen sind über 50 Jahre alt“, sagt er. „Und ältere Menschen werden auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor diskriminiert.“ Mit der Stiftung soll dem entgegengewirkt werden. „Für so eine große Schließung funktioniert das auch wirklich gut“, betont Juen. Mehr als 350 ehemalige Mitarbeiter:innen haben das Angebot bisher schon genutzt.
Bis Ende 2026 können insgesamt bis zu 210 Mitarbeiter:innen in die nun eingerichtete Unternehmensstiftung eintreten. Wer das tut, kann theoretisch bis zu vierjährige Aus- und Weiterbildungen absolvieren und dabei Arbeitslosengeld inklusive einer „ausbildungsbedingten Zuschussleistung“, die monatlich ausbezahlt wird, beziehen. Neben weniger erwartbaren Neuausrichtungen wie Fitnesstrainer:in oder Kindergartenpädagog:in ist bei den ehemaligen Stellantis-Mitarbeiter:innen besonders die Ausbildung zum:zur Betriebslogistiker:in sowie zur Lagerlogistiker:in beliebt.
Weitermachen
Den ehemaligen Produktionsarbeiter Wolfgang Prochazka trifft man deshalb heute nicht mehr im Opel-Werk in Aspern an. Morgens fährt er mittlerweile in die komplett entgegengesetzte Richtung. In Favoriten absolviert er beim Institut Dialogica eine Ausbildung zum Betriebslogistiker. Zwei Kurse der Ausbildung hat er schon hinter sich, aktuell bereitet er sich auf einen Englisch-Block vor. EDV steht auch noch auf dem Plan. Aufregend sei sie, die neue Lebensphase. Schön finde er, wieder etwas Neues lernen zu dürfen, auch wenn es anstrengend sei. „Ich habe zum Schluss auch bei Stellantis recht viel am Computer gemacht“, erzählt Prochazka. „Das hat mir gut gefallen.“ Als es bei dem Opel-Werk in Aspern endgültig aus war, musste schließlich etwas Neues her. Februar 2024 endete Prochazkas Dienstverhältnis, einige Monate zuvor war er bereits freigestellt worden.
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— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) November 19, 2024
Das Ende des Opel-Werks in Aspern sei aus seiner Sicht so angenehm abgelaufen wie nur möglich. „Wir sind trotz der Schließung gut versorgt“, sagt der 60-Jährige. Er konnte durch die Maßnahmen auch finanziell gut aus dem Betrieb aussteigen. Bis Frühjahr 2025 wird Wolfgang Prochazka sich noch weiterbilden. Wie es danach weitergeht, ist ungewiss. „Ich würde schon noch gerne etwas machen, aber die Bedingungen müssen passen. Und in meinem Alter ist das schon schwierig“, sagt er. Sollte er nichts Passendes finden, sei das aber auch in Ordnung. Auf eine Anstellung sei er zum Glück nicht angewiesen.