„Viele sind in der Kommunikation zu verkopft“

Porträt Christoph Hofinger
Was denkt die Bevölkerung? Christoph Hofinger von FORESIGHT kennt die Stimmung im Land. | © Markus Zahradnik
Der Meinungsforscher und gebürtige Tiroler Christoph Hofinger beschäftigt sich mittlerweile seit Jahrzehnten mit dem Gemüt und den Wahlpräferenzen der österreichischen Bevölkerung. Was der Dauerkrisenmodus mit uns macht, verrät er im Interview.
Im Meinungsforschungsinstitut FORESIGHT im achten Wiener Gemeindebezirk ist wieder Ruhe eingekehrt. Die Parkettfußböden im Altbau knartschen zwar noch, aber die Nationalratswahl ist geschlagen. Die große Aufregung vom Wahlsonntag, für den FORESIGHT, ehemals SORA, traditionell die Hochrechnungen vornimmt, ist verblasst. Die Sondierungsgespräche laufen. Und kurz nach einem Wahlausgang mit hohen Verlusten für die Regierungsparteien und starken Zugewinnen für die FPÖ nimmt Christoph Hofinger sich Zeit für Arbeit&Wirtschaft und ein ausführliches Gespräch über „Herzenswissen“, Sprünge der Gesellschaft und Wege aus der Krise.

Christoph Hofinger
geboren 1967 in Innsbruck, ist Gründer und Managing Director von FORESIGHT. Er studierte Germanistik, Publizistik und Psychologie in Wien und ist seit dem Jahr 1989 in der Sozialforschung tätig. Von 2008 bis 2010 war er außerdem Präsident der European Association of Political Consultants (EAPC).
Arbeit&Wirtschaft: Herr Hofinger, seit Jahren folgt eine Krise auf die andere: Klima, Krieg, Krankheiten. Was macht das mit den Menschen in Österreich?

Christoph Hofinger: In den Befragungen rund um die Nationalratswahl war deutlich zu sehen, dass wir eine verunsicherte Gesellschaft geworden sind. Die Menschen sind erschöpft und verärgert. Es gibt viel weniger Österreicher:innen, die optimistisch in die Zukunft blicken. Zudem wurden Krisenzeiten früher viel schneller überwunden. 1996 oder 2006 zum Beispiel herrschte nach zwei- bis dreijährigen „Konjunkturdellen“ wieder eine klare Aufbruchsstimmung. Sowohl in den ökonomischen als auch in den sozialpsychologischen Daten war das ein klassisches Muster. Das änderte sich 2008, bei der großen Finanzkrise. Die schlimmen Folgen wurden zwar schnell überdauert, aber mit allen Nachwirkungen kam das „Jetzt geht’s wieder bergauf“-Gefühl erst Ende 2016 zurück.

Portrait Christoph Hofinger vom Forschungsinstitut Foresight.
„Da ist Zorn entstanden, und der ist teilweise noch immer vorhanden“, schildert Christoph Hofinger von FORESIGHT die Gefühlslage der Bevölkerung in und nach der Teuerungskrise. | © Markus Zahradnik
Sie meinen, diese Krisenstimmung hielt acht Jahre lang an?

Ökonomisch haben sich viele Indikatoren schneller verbessert, aber ja, das kompakte Erholungsgefühl in der Gesellschaft hat erst acht Jahre später wieder eingesetzt.

Und dann kam die Coronapandemie.

Genau, und sie hatte sehr zwiespältige Effekte auf die Gesellschaft. Ökonomisch führte sie zu einer temporären Zunahme der öffentlichen Investitionen und teilweise zu einer schnellen wirtschaftlichen Erholung. Studien zu den sozialpsychologischen Effekten zeigen, dass ein Teil der Bevölkerung wirtschaftlich getroffen wurde, aber nicht die Gesamtwirtschaft. Doch die seelischen Folgen der Pandemie sind bis heute sichtbar – in Form von Erschöpfungszuständen oder depressiven Verstimmungen zum Beispiel. Für die Mehrheit der Bevölkerung ist die Pandemie Vergangenheit, aber vor allem aufseiten der Maßnahmengegner:innen gibt es Menschen, die noch starke Emotionen haben.

Danach gab es kaum Erholung: 2022 griff Russland die Ukraine an, was sich unter anderem mit einer exorbitanten Inflation bei uns auswirkte.

Es ist allein schon eine Belastung, dass ein Krieg „vor unserer Haustür“ stattfindet, aber diese vormals nie erlebten Inflationszahlen haben die Gesellschaft wirklich bis ins Mark erschüttert. Wir klären in unseren Befragungen, ob Menschen bei verschiedenen Themen Zuversicht, Sorge oder Ärger verspüren. Bis Ende 2021 war es so, dass bei keinem Thema mehr als 20 Prozent der Befragten angaben: „Meine primäre Emotion ist Ärger.“ 2022 hat sich das geändert. Bei der Inflation oder den hohen Energiepreisen haben das bis zu 50 Prozent angegeben. „Natura non facit saltus“ – die Natur macht keine Sprünge. Die Gesellschaft macht nur selten welche, aber da gab es einen. Da ist Zorn entstanden, und der ist teilweise noch immer vorhanden.

Es gibt gemeinsame Entwicklungen,
die wir als Gesellschaft durchlaufen,
aber wir atmen dann nicht durch und sagen:
Das ist unser neuer Konsens. 

Christoph Hofinger,
Sozialforscher

Und in welcher Hinsicht sind Menschen pessimistisch?

Es gibt ökonomische Sorgen, sowohl hinsichtlich Makroökonomie als auch darauf bezogen, ob man selbst mit dem Einkommen auskommt. Dann gibt es – auf linker und auf rechter Seite – Sorgen, dass die Gesellschaft gewisse Lebensentwürfe von Menschen nicht mehr akzeptiert. Hierbei dürfen wir nicht vergessen, dass die Gesellschaft sich sehr schnell verändert. Die Ehe für alle zum Beispiel war vor 20 Jahren auf rechter Seite ein No-Go und auf linker umstritten. Heute gibt es dafür Mehrheiten in beinahe allen westlichen Gesellschaften. Allerdings folgt dann immer gleich die nächste Veränderung, und manchen geht das zu schnell. Es gibt gemeinsame Entwicklungen, die wir als Gesellschaft durchlaufen, aber wir atmen dann nicht durch und sagen: Das ist unser neuer Konsens.

Wird diese Stimmungslage – Ärger, depressive Tendenzen, Zukunftspessimismus – politisch ausgenutzt?

Dafür muss die Politik diese Emotionen erst einmal wahrnehmen. Politik oder Führung holt Menschen dort ab, wo sie sind, und geht mit ihnen einen Weg. Bei der Frage, wie eine aufgeklärte Politik auf solche Emotionen reagiert, gibt es eine gewisse Verzagtheit oder Überforderung. Der Ansatz „Ängste und Sorgen der Menschen verstehen“ führt bei vielen dazu, dass sie jemandem, der Emotionen, Ärger oder Pessimismus äußert, nur ein Echo zurückspielen, und das führt möglicherweise nicht zu Lösungen.

Portrait Christopha Hofinger vom Forschungsinstitut Foresight.
„Viele sind in der Kommunikation zu verkopft“, glaubt Christoph Hofinger. Für die politische Kommunikation empfiehlt er emotionalere Botschaften. | © Markus Zahradnik
Was braucht es stattdessen?

Wonach es die Menschen dürstet, sind Erzählungen, die sagen: Wir als Gesellschaft können etwas. Die „Yes we can“-Botschaft (nach dem Vorbild von Barack Obama, Anm. d. Red.) ist natürlich schwierig, aber wenn sie gelingt, hat sie viel Kraft. Gleichzeitig darf die Botschaft die Verhältnisse nicht ignorieren, die diese Emotionen auslösen, das würde als lächerlich wahrgenommen.

Sollte die Politik diese „Packen wir’s an“-Mentalität wieder stärker aufs Tapet bringen?

Politik sagt immer: Wir als Gesellschaft haben Werthaltungen und Ressourcen und nutzen sie, damit es uns in Zukunft besser oder zumindest gleich gut geht. Die Gefahr ist, bei der Tonalität danebenzugreifen. Es ist momentan die schwierigste Aufgabe für die Politik, hier eine Balance zu finden. Metaphorisch vergleiche ich Politiker:innen gerne mit Bergführer:innen – da merkt man, wo ich herkomme (lacht). Im Basislager vom Mount Everest, wenn ein schwieriger Anstieg bevorsteht, stellen sie sich hin und sagen: „Geht’s mit mir rauf.“ Wer da zu viel über technische Details spricht, verliert die Leute. Wer emotional Zuversicht ausstrahlt, gleichzeitig aber die Realität sieht und Werthaltungen vermittelt, mit denen man auch für unbekannte Herausforderungen gewappnet ist, der erhält schon eher das Vertrauen.

Wonach es die Menschen dürstet,
sind Erzählungen, die sagen:
Wir als Gesellschaft können etwas. 

Christoph Hofinger,
Sozialforscher

Wie sollen Politiker:innen komplexe wirtschaftliche Themen dann kommunizieren?

Erste Empfehlung: einen Diskurs führen, bei dem Werthaltungen spürbar werden. Sie sind es, was Menschen verbindet oder trennt und Orientierung gibt. Zweitens: einfache Sprache. Gerade die ökonomische oder die Klimadebatte werden oft in einer Sprache verhandelt, die bei Menschen gar keine Emotion auslöst oder sogar Ärger, wenn sie sie nicht verstehen. Drittens, und das verbindet die ersten beiden Punkte: ein Framing überlegen. Auf welchen Spannungsfeldern erzähle ich meine Geschichte? Ist es eine Geschichte von mehr Freiheit? Ist es eine Gerechtigkeitsstory? Hier muss man Metaphern und Bilder finden. Das menschliche Gehirn braucht Metaphern, um „Herzenswissen“ zu erzeugen.

„Metaphorisch
vergleiche ich
Politiker:innen gerne mit Bergführer:innen“, sagt der Meinungsforscher Christoph Hofinger. | © Markus Zahradnik
Also nicht zu kompliziert, zu akademisch vermitteln?

Viele sind in der Kommunikation zu verkopft. Sie gehen davon aus, man müsse Fakten nur einmal aussprechen, egal, ob ein Fremdwort drin ist. Der US-Linguist George Lakoff sagt, das sei ein Fehler der Aufklärung. Man muss Emotionen ansprechen und das Hirn so adressieren, wie es ist. Das bringt mich zur vierten Empfehlung: eine dynamische Erzählung, eine Geschichte der Zukunft entwickeln. Wir sind „natural born story tellers“: Wenn ich selbst keine Geschichten erzähle, dann erfinden die Leute sie.

Die moderne Medienlandschaft bewirkt, dass Dystopien und erschreckende Narrative viel leichter durchdringen.

Das halte ich für ein Riesenproblem. Wir wissen inzwischen, dass das Veröffentlichen von Inhalten auf Social Media nicht mit deren Wahrheitsgehalt korreliert, sondern mit den erzeugten Emotionen. Viele Studien zeigen, dass Zeit mit Social Media zu verbringen nicht gut für die Seele ist. Wir haben noch redaktionelle Medien, die von recht vielen Leuten konsumiert werden, und einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit privater Konkurrenz. Aber wenn das implodiert, brächte uns das in eine Emotionalisierungsdynamik, die von politischen Akteur:innen ausgenutzt werden könnte.

Infografik zur Wahlbeteiligung an der Nationalratswahl 2024 in Österreich.

Politikwissenschaftler wie Charles Taylor sehen steigende soziale Ungleichheit in einer Gesellschaft als Faktor für den Abbau von Demokratien. Welche Rolle spielt sie in Österreich?

Es geht bei dieser Frage nicht nur um das Einkommen, sondern um Eigentum, Bildungsressourcen, Zugang zu öffentlichen Leistungen. Es ist das große Versprechen der Demokratie, dass alle Menschen gleich viel wert sind. Und wenn sich das Gefühl verbreitet, eine Hälfte der Gesellschaft kann ein gutes Leben führen, aber für die andere ist das nicht möglich, dann entstehen eine Kränkung und das Gefühl, man sei der Gesellschaft und der Politik nichts wert. Das zeigen auch Studien der Arbeiterkammer. Menschen, die keiner klassischen Diskriminierungsgruppe angehören, sagen, dass sie sich von der sozialen Herkunft her diskriminiert fühlen. Und in dem Zorn auf die Eliten finden sie ein Ventil. Bei den aktuellen Entwicklungen würde es sich auszahlen, gegenzusteuern. Ungleichheit ist allerdings schwer zu diskutieren, weil das Thema auch mit Scham behaftet ist.

Die nächste Bundesregierung soll also große Probleme thematisieren, sie verständlich herunterbrechen, dringenden Handlungsbedarf und gleichzeitig dezenten Optimismus verbreiten. Keine leichte Aufgabe.

Sie muss die Realität anerkennen, aber auch, dass wir in dieser viel können und viel geschafft haben. Die Menschen vergessen gerne, was für enorme Probleme wir in der Vergangenheit schon hatten und dass wir sie gelöst haben. Wir wählen Parteien auch für die unbekannten Variablen. Niemand wusste beispielsweise bei der Wahl 2019, dass die daraus hervorgehende Regierung eine Pandemie zu bewältigen haben würde. Was passiert also, wenn der:die Bergführer:in schon auf dem Weg ist, und dann kracht Geröll runter vom Berg – in der Situation sind wir jetzt. Die Sonne ist weg, das Wetter wird schlecht, links und rechts fliegen die Steine herum. Die Tatsachen zu ignorieren, ist da keine Option. Letztendlich wird ein:e Bergführer:in vermitteln müssen, dass wir es unter diesen Bedingungen, mit dieser Einstellung – Werthaltung – und mit jenen Ressourcen schaffen können.

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