Reportage: Erntehelfer. Es geht um das Mindeste

Foto (C) ÖGB-Verlag/Michael Mazohl
Senol Alic Der Sekretär der Gewerkschaft PRO-GE in Niederösterreich bringt die Sezioneri-Kampagne auf den Punkt: „Wir bringen Licht ins Dunkle. Die meisten ErntearbeiterInnen haben von ihren Rechten kaum eine Ahnung.“

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Erntearbeit gibt es, seit es Menschen gibt. Bis heute ist sie wichtig für die Versorgung mit Lebensmitteln. Gleichzeitig wird die Arbeit auf dem Feld oft lächerlich gering entlohnt. Auch in Österreich.
Wir haben alles Mögliche gemacht. Von sechs Uhr morgens bis 22 Uhr haben wir gearbeitet, manchmal sogar bis um ein oder zwei Uhr in der Früh“, erzählen die Brüder Andrei und Bogdan Oancea im Gespräch mit Sónia Melo. Die beiden Männer aus Rumänien haben jahrelang als Erntehelfer in Österreich gearbeitet. Dabei wurden sie ausgebeutet – mitten im reichen Tirol. „Wenn ich am Nachmittag vom Feld kam, musste ich direkt ins Gasthaus gehen, in die Küche, ohne davor duschen zu dürfen. Dort haben wir gekocht, abgewaschen, und wir mussten bis zum Schluss bleiben, die Küche putzen, bis ein oder zwei Uhr nachts. Am nächsten Tag mussten wir wieder um sechs Uhr aufstehen“, schildert Andrei Oancea seinen Arbeitsalltag. 300 Stunden Arbeit im Monat, 660 Euro bar auf die Hand.

Im Jahr 2014 erregten die Zustände in Tiroler Betrieben Aufsehen. Denn damals wehrten sich die rumänischen Brüder erfolgreich gegen ihre Ausbeutung als Erntehelfer. Auf ihre Rechte hatte sie ein Flugblatt der Informationskampagne Sezonieri aufmerksam gemacht. Sónia Melo ist die Initiatorin der Kampagne. Damit möchten AktivistInnen und die Produktionsgewerkschaft PRO-GE ErntearbeiterInnen über ihre Arbeitsrechte aufklären. Denn viele der meist osteuropäischen ArbeitnehmerInnen wissen wenig darüber, was ihnen beim Ernteeinsatz auf österreichischen Feldern zusteht. Und das ist ein Problem.

Foto (C) Robert Newald / picturedesk.com

Senol Alic ist betriebsbetreuender Sekretär der Gewerkschaft PRO-GE in Niederösterreich. In den Branchen Nahrung, Genuss und Landwirtschaft setzt er sich für die Belange der ArbeitnehmerInnen ein, und damit auch für die Saisonkräfte, die jedes Jahr im Marchfeld und in den anderen Agrarregionen des Landes unverzichtbare Erntearbeit leisten, von Frühjahr bis Herbst. Wenn es darum geht, Lohndumping und Ausbeutung in der Landwirtschaft zu bekämpfen, stoße seine Gewerkschaft an Grenzen, erklärt er: „Unsere Aufgabe ist vor allem, Licht ins Dunkel zu bringen und die Erntehelfer darüber aufzuklären, welche Rechte sie haben. Was sie mit dieser Information tun, liegt dann allerdings nicht in unserer Hand.“ Alic würde es begrüßen, wenn mehr betroffene ErntearbeiterInnen gegen ihre eigene Ausbeutung in der Landwirtschaft aktiv würden. Ein erster Schritt wäre zum Beispiel, sich im konkreten Fall an die Gewerkschaft zu wenden, etwa zu einem kostenlosen Beratungsgespräch. „Dann können wir direkt intervenieren“, erklärt der Gewerkschafter. Aber leider dringen Klagen von ErntearbeiterInnen nur selten bis zur Gewerkschaft oder zu anderen offiziellen Stellen durch. „Dadurch, dass der Bereich von gewerkschaftlicher Seite schwach organisiert ist, gibt es sehr wenige betroffene Kläger. Das wissen wir auch.“ Wo kein Kläger, da kein Richter. Der geringe Organisationsgrad unter Saisonkräften ist nur ein Grund dafür, dass die ArbeiterInnen selbst eher selten gegen zu geringe Löhne, zu viele Überstunden oder zu schlechte Unterbringung vorgehen, weiß Alic. „Das Problem ist, dass die Mitarbeiter sich oft nicht trauen, etwas zu sagen. Das ist ja die Schwierigkeit auch für uns als Gewerkschaft.“

Die Aufgabe von Senol Alic besteht deshalb zunächst oft darin, die nötigen Infos zu sammeln. „Wir müssen erst einmal herausfinden, was die Mitarbeiter verdienen, um überhaupt dagegen vorgehen zu können. Aber so weit kommt es in vielen Fällen gar nicht, weil niemand den Job verlieren will, auch wenn er schlecht bezahlt ist. Im Vergleich zum Heimatland ist der Job eben oft doch ganz gut bezahlt.“

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