„Wir können die Daumenschrauben noch intensiver anziehen”

Portrait Thorsten Gröger an einem Rednerpult bei einem Tarifstreit zwischen IG Metall und Volkswagen.
Thorsten Gröger, IG Metall Bezirkschef in Niedersachsen, fordert angesichts der Krise von Volkswagen eine antizyklische Investitionspolitik. | © IG Metall/Heiko Stumpe
Die IG Metall und Volkswagen-Konzern befinden sich in einem hitzigen Tarifstreit. Thorsten Gröger, Verhandlungsführer der Gewerkschaft, erklärt, wie es so weit kommen konnte.
Für die Belegschaft von Volkswagen startete der Herbst mit einem Schock. Rund vier Milliarden Euro möchte der Konzern einsparen. Und das nur wenige Monate, nachdem er 4,5 Milliarden Euro Dividende an die Aktionär:innen ausgeschüttet hat. Die Belegschaft soll jetzt einen erheblichen Teil der Kostensenkungen stemmen. Das deutsche „Manager Magazin“ berichtet, dass bis zu 30.000 Jobs auf der Kippe stünden. Die Gründe verortet die IG Metall primär beim Management. Tatsächlich ist es kaum zu leugnen, dass sich Volkswagen bei der E-Mobilität hat abhängen lassen. Im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft legt Thorsten Gröger, der Verhandlungsführer der IG Metall, die Forderung der Gewerkschaft bei diesem Tarifstreit dar.

Thorsten Gröger
, Jahrgang 1969, ist Bezirksleiter der IG Metall in den deutschen Bundesländern Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Damit ist er auch Verhandlungsführer für die Tarifgespräche mit Volkswagen – der Autokonzern hat im niedersächsischen Wolfsburg seinen Sitz. Gröger ist gelernter Werkzeugmacher und seit dem Jahr 1984 Gewerkschaftsmitglied.
Arbeit&Wirtschaft: Gekündigte Tarifverträge, Werksschließungen und Personalabbau, ein drohender Streik: Die Tagesschau zitierte Sie im September mit dem Satz „Wir stehen erst am Anfang einer Auseinandersetzung mit dem Unternehmen, die sich gewaschen hat.“ Wie bedrohlich ist die Situation aus Sicht der Gewerkschaft aktuell bei Volkswagen?

Thorsten Gröger: Zweifelsohne ist die Lage ernst, das wird auch durch das Handeln des Top-Managements bei VW deutlich. Bei Volkswagen gab es stets den Weg, dass Herausforderungen gemeinsam mit der Belegschaft bewältigt werden, niemals gegen die Kolleginnen und Kollegen oder gar ohne sie. Dieser bewährte Weg führte Volkswagen jahrelang an die Spitze der Original Equipment Manufacturers (Anm. d. Red.: Der Begriff wird in der Automobilindustrie synonym mit einem Fahrzeughersteller verwendet). Hiervon weicht man nun ab und stellt die gute Mitbestimmungskultur im Unternehmen vor eine gigantische Zerreißprobe.

VW hat für 2024 insgesamt 4,5 Milliarden Euro an Dividendenzahlungen bekannt gegeben, wenige Wochen später aber notwendige Einsparungen von 4 Milliarden Euro angekündigt. Wie passt das zusammen?

Das passt natürlich keineswegs zusammen und das prangern wir auch massiv an! Wenn die Lage so schrecklich wäre, dann frage ich mich: Wo ist die Adhoc-Nachricht an die Aktionäre? Wenn Volkswagen ein solcher Sanierungsfall wäre, dann müssten doch allen voran die Aktionäre zur Verantwortung gezogen werden. VW steht weiterhin an der DAX-Spitze beim Thema Dividendenrendite.

Um wie viele Arbeitsplätze geht es konkret?

Die gesamte Belegschaft umfasst rund 120.000 Beschäftigte in den sechs Werken in – von West nach Ost – Emden, Kassel, Hannover, Salzgitter, Braunschweig und Wolfsburg. Sowie drei weitere Tochterunternehmen der Volkswagen AG, nämlich Financial Services, Immobilien und dx.one. Weitere Werke gibt es in Osnabrück sowie in Sachsen, dort in Chemnitz, Dresden und Zwickau. Diese sind aktuell aber nicht im Haustarifvertrag.

Streik der IG Metall bei Volkswagen.
Die Beschäftigten von Volkswagen sollen einen erheblichen Teil des Sparkurses tragen. | © IG Metall/Heiko Stumpe
Volkswagen hat zuletzt im Geschäftsjahr 2015 einen Verlust erwirtschaftet, was an Rückstellungen für den Dieselskandal lag. Seitdem hat das Unternehmen Jahr für Jahr Milliardengewinne gemacht. Kann VW dieses Geld nicht zur Sicherung der Arbeitsplätze verwenden?

Der VW-Konzern erwirtschaftet ein Plus in Milliardenhöhe und – das darf nicht vergessen werden – auch die Kernmarke schreibt noch schwarze Zahlen. Sicherlich kann man aus eigener Substanz heraus auch in die Zukunft investieren. Zugleich erfordert der zukunftsfähige Umbau der Produkte und der Produktionsprozesse sehr hohe Investitionen. Dazu kommt der stockende Hochlauf der Elektromobilität. Und eines will ich ganz klar sagen: Auch wir wollen, dass VW mutig nach vorn investiert. Aber diese Kosten dürfen nun mal nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.

Die IG Metall fordert eine Lohnerhöhung. Wo sehen Sie, angesichts der weit auseinanderklaffenden Positionen, den gemeinsamen Nenner?

Dass Arbeitgeber noch nie mit Applaus auf unsere Forderungen reagiert haben, ist bekannt. Gleichzeitig ist es nicht so, dass wir unsere Forderungen auswürfeln. Einerseits haben wir eine breitangelegte Befragung der Beschäftigten – bei Volkswagen und auch parallel in der Metall- und Elektroindustrie – durchgeführt. Die haben ganz klar gesagt: Der Druck auf den Geldbeutel ist durch die Inflation extrem gestiegen. Andererseits haben wir uns die wirtschaftlichen Gesamtrahmenbedingungen angeschaut. Unsere Forderung wurde im Gleichklang mit dem Metallervertrag getroffen – das ist schon seit Jahrzehnten bewährte Tradition. Seit rund 20 Jahren sind die Ergebnisse in der Metall- und Elektroindustrie auch die Erhöhungen der Entgelte bei Volkswagen – mit marginalen Unterschieden. Und das auch in Zeiten, in denen bei Volkswagen die Kassen übergequollen sind und es bei den Metaller:innen verhaltener aussah. Da gab es keine Volkswagen-Kirsche auf den Tarifabschluss. Diesen Gleichklang gilt es zu halten!

Welche Lohnsteigerung fordern Sie?

Wir fordern eine Lohnerhöhung um sieben Prozent. Viele führende Forschungsinstitute geben uns recht. Es braucht Entgelterhöhungen, und zwar kräftige. Denn nur durch eine Kaufkraftstärkung gewinnt die Gesamtkonjunktur wieder an Fahrt. Es hilft Volkswagen, wenn Menschen wieder mehr Geld haben, um entsprechend auch ihre Produkte zu kaufen.

Portrait Thorsten Gröger von der IG Metall in Niedersachen im Interview über den Tarifstreit mit Volkswagen.
„Wir können die Daumenschrauben noch spürbar intensiver anziehen“, wirft Thorsten Gröger, Bezirksleiter der IG Metall Niedersachen, einen Blick auf den Tarifstreit mit Volkswagen. | © IG Metall/Michael Wallmüller
Mobilität ist ein sehr politisches Thema. Welchen Einfluss hat die politische Stimmung im Land auf die Verhandlungen?

Vorweg ist wichtig zu betonen, dass Volkswagen kein Deutschland-Problem, sondern VW ein massives Management-Problem hat. Nicht mal zwingend im aktuellen Vorstand, wenngleich dieser Tarifverträge gekündigt hat, was ein unhaltbarer Zustand ist. Aber viele Fehlentscheidungen und Fehleinschätzungen der Vergangenheit kommen heute zum Tragen. Gleichzeitig spielt die Politik ebenfalls eine Rolle in der aktuellen Situation der Automobilindustrie. Wenn man die große Vogelperspektive einnimmt, dann ist in Deutschland vorneweg natürlich die große Exportabhängigkeit von China zu nennen oder die Dependenz von russischer Energie, spätestens seit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Aber auch bei den Lieferketten und dem Chipmangel während der Pandemie hat man gesehen, dass unser Wirtschaftssystem äußerst fragil ist. Explodierende Energiepreise haben die Inflation angefacht und so die Welt in eine Konsumkrise gestürzt.

Die Tarifverhandlungen haben einen Vorbildcharakter. VW ist der wichtigste Vertreter einer der wichtigsten Industrien in Deutschland. Die Auftragslage strahlt wirtschaftlich weit über die Grenzen hinaus – allein in Österreich hängen abertausende Jobs an der Zulieferindustrie. Welche Rolle spielt das in den Verhandlungen?

Ich maße mir nicht an, die Auswirkungen unserer Tarifrunde auf andere Bereiche zu prognostizieren. Gleichzeitig sind wir uns der Bedeutung Volkswagens im globalen Wirtschaften natürlich bewusst. Wie wenige andere Unternehmen steht Volkswagen auch für den Erfolg Deutschlands in der Nachkriegszeit und insbesondere auch im 21. Jahrhundert. Und hierhin wollen wir wieder zurück. Die besten Produkte gestalten, sie besser statt billiger machen und sichere Arbeitsplätze für ganze Generationen anbieten.

Zum Abschluss: Wie lange glauben Sie, werden diese Verhandlungen dauern?

Diese Glaskugel besitzen wir nicht. Wir führen keinen Konflikt nur des Konflikts wegen. Dementsprechend ist klar: Die Verhandlungen dauern so lange, wie es notwendig ist, um eine gute Lösung zu finden, die Beschäftigung langfristig sicherstellt und Auslastung in den Werken garantiert. Wie intensiv der Konflikt geführt werden und auch wie lange die Auseinandersetzung dauern muss, das hat das Unternehmen in der Hand. Klar ist: Wir können die Daumenschrauben noch spürbar intensiver anziehen.

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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