„Alte Frauen wissen, wie Widerstand geht“

Die Omas gegen Rechts mit Susanne Scholl hinter einem Transparent auf einer Demo.
Susanne Scholl (mittig links) engagiert sich mit den Omas gegen Rechts für eine bessere Welt. | © Omas gegen Rechts/Privat
Susanne Scholl kämpft bei den Omas gegen Rechts für eine gerechtere Welt. Widerstand hat sie schon vor den Omas geleistet und riskierte dafür sogar eine Festnahme in Moskau.

Eigentlich wäre Susanne Scholl oft lieber faul zu Hause. Auf der Couch gammeln, an die Decke starren, schlecht geschriebene Werwolf-Romane lesen, das wär’s. Doch die Gefahr von Rechtsruck und Faschismus macht auch in diesem heißen Rekordsommer keine Ferien. Deswegen eilt die 74-Jährige an diesem Tag um kurz nach 10 Uhr Richtung Bundeskanzleramt (BKA). Sie begrüßt beim Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz eine zweite ältere Dame, die dort schon ihren Einkaufstrolley geparkt hat. Es ist noch ein Tag der Hitzewelle, bevor der große Regen kommt. „Gut schaust du aus, Elisabeth. Sehr fesch!“ Scholl trägt ein rosa Batikkleid, farblich abgestimmte rosa Brille und rote Ohrringe. Auf ihrem Kopf ein Strohhut mit einem schwarzen Button: Omas gegen Rechts. Scholl entschuldigt sich für die Verspätung, heute fühle sie sich etwas schlapp.

Seit fast vier Jahren sitzt sie hier montags mit ihrem Transparent: „Flucht ist ein Menschenrecht – Ohne Menschenrechte keine Demokratie“. Susanne Scholl ist bei den Omas gegen Rechts, einem Zusammenschluss älterer Frauen gegen rechte Politik und Ausgrenzung. Seit ihrer Gründung nach der Angelobung der schwarz-blauen Regierung von Sebastian Kurz 2017 gab es wohl keine linke Demonstration in Wien ohne ihre pinkfarbenen „Pussyhats“ (Mützen mit zwei Zipfeln wie Katzenohren, u. a. beim Women’s March gegen Trump 2017 eingesetzt). Weit über 1.000 Omas gibt es mittlerweile in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Südtirol.

Die Wurzeln der Omas gegen Rechts

Scholl ist Mitglied erster Stunde. Als sie 2009 nach 23 Jahren Osteuropakorrespondenz für den ORF in der Pension nach Österreich zurückkehrt, ist sie schockiert von dem rechten politischen Klima. Sie schreibt offene Briefe, macht Online-Petitionen, redet auf Demos, schreibt Kolumnen. Laut gegen Rechts war sie aber schon vorher.

Portrait von Susanne Scholl von den Omas gegen Rechts.
Susanne Scholl wusste schon vorher, wie Widerstand funktioniert. | © Katharina Gosso/APA/ picturedesk.com

Immer wieder findet man Scholl im Zentrum des politischen Geschehens. In den 1950er Jahren wächst sie im Pratercottage, einem großbürgerlichen Wohngebiet im 2. Wiener Gemeindebezirk auf. Ihre Nachbarn und Nachbarinnen kommen aus den ersten Reihen der kommunistischen Partei. „Nach der Matura wollte ich dringend raus aus Wien“, erinnert sich Scholl. Sie studiert Slawistik in Rom der 1968er Proteste. 1986 wird sie in die neue Osteuropa-Redaktion des ORF nach Bonn geholt und dokumentiert 1989 den Berliner Mauerfall und das Ende der DDR. Dann folgen, mit kurzer Unterbrechung, 16 Jahre Moskau.

Scholl interessiert sich für den gesellschaftlichen Wandel und dokumentiert, was nicht in Vergessenheit geraten soll. Dafür setzt sie sich auch in die politischen Nesseln. Sie berichtet in den 2000er Jahren über politische Verfolgte in Tschetschenien, wie die russische Journalistin Anna Politkowskaja, und wird dafür sogar einmal für einige Stunden von der russischen Polizei festgehalten. Solche Drangsalierungen zehren an ihr, bringt sie aber nicht von ihrem Kurs ab. „Ich habe mich immer getraut zu sagen, was ich nicht gutheiße“, sagt Scholl bestimmt.

(Un-)politisch ist keine Wahl

Scholl ist auch politisch, weil sie muss. Sie hat jüdische Wurzeln. Der Nationalsozialismus hat Löcher in ihre Familiengeschichte gerissen, die Großeltern mütterlicherseits wurden in der Zeit des Holocaust in der Nähe von Minsk erschossen. Als Kind träumt sie oft, dass sie und ihre Familie von den Nazis geholt werden. Ihr Vater, assimilierter Jude und Kommunist, entschied, dass das Judentum nichts mit ihm zu tun habe. Heute weiß sie, dass er nicht über sein Trauma sprechen konnte, das er ihr weitervererbt hat.

Über die Vertreibung und Flucht ihres Großvaters, dem Schriftsteller Emil Scholl, und die Vergasung ihrer Großmutter väterlicherseits erfährt sie darum erst viele Jahre später aus alten Briefen, die sie später zu einem Roman verarbeitet. Scholl hat die Gabe ihres Großvaters geerbt: das literarische Schreiben. Mit ihren Kindern sprach sie früh über das Jüdischsein und die politischen Verhältnisse, „Man muss Kindern sagen, in welcher Welt sie leben“, sagt Scholl.

Vier Jahre tägliche Mahnwache der Omas gegen Rechts

Zurück ins Heute, zurück vors Bundeskanzleramt in Wien. „Ah, schau, der Finanzminister. Komm, winken wir ihm“, sagt die andere Oma gegen Rechts zu Scholl. „Was, der Kleine da? Ich dachte, der ist größer“. Scholl grinst und winkt. Der Mann im Anzug dreht sich weg und geht zügiger. Scholl wird wütend: „Was glauben die eigentlich, für wen sie Politik machen?“ Vier Jahre tägliche Mahnwache und nicht einmal sei jemand von der Bundesregierung zu ihnen rausgekommen.

Älteren Frauen werde generell nichts zugetraut, außer Kuchen backen und irgendwann sterben, meint Scholl zynisch. Dabei wissen Frauen oft am besten, wie Widerstand trotz widriger Umstände geht. Das zeigt Scholl in ihrem Buch „Töchter des Krieges“ (2007), indem sie über die tschetschenischen Frauen schreibt, die das zerstörte Land inklusive ihrer traumatisierten Männer am Laufen hielten.

Überlebensstrategien

Und das spürt sie als Frau und alleinerziehende Mutter auch im männerdominierten Journalismus. „Mir wurde nahegelegt, dass ich mit meinen zwei Kindern am besten im Archiv aufgehoben wäre. Und als ich mich für die Chefredakteursstelle interessierte, wurde ich ausgelacht“, erzählt Scholl. Sie ließ sich davon nicht beeindrucken und leitete später das Büro in Moskau. Kurz auch das Europajournal auf Ö1 in Wien. „Alleinerziehend zu sein hat mein Leben eigentlich erleichtert. Ich habe einfach gemacht und meine Kinder eingepackt, wenn ich gehen wollte.“


Heute steht sie mit den Omas gegen Rechts auf vielen Demos zwischen den Anarchist:innen vom „Schwarzem Block“ und der Polizei. Da könne man das Oma-Klischee gut nutzen, meint Scholl und schmunzelt: „Alte Frauen darf man nicht schlagen“. Da ist es wieder, ihr Schmunzeln. Humor ist eine Überlebensstrategie, oft eine jüdische, wie Intellektuelle wie Ezra Ben Gershôm erforscht haben. „In meiner Familie hat man vieles weggelacht, was eigentlich zum Davonrennen war“. Ihren wohl humorvollsten Roman „Omas Bankraub“ (2022), schreibt Scholl, während sie ihre beste Freundin beim Sterben begleitet. „Das war eine schlimme Zeit. Doch beim Schreiben konnte ich mich kurz wegbeamen.“

Nach fast zwei Stunden Mahnwache in sengender Mittagshitze und intensivem Graben in der Vergangenheit braucht sogar Susanne Scholl mal eine kurze Trinkpause. Die letzte Viertelstunde der heutigen Mahnwache will sie aber noch durchhalten, schließlich geht sie später nur zum Schwimmen in die Alte Donau. Dienstag ist dann wieder Enkeldienst; mittwochs ist sie seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine bei der Leo-Ausgabestelle der Caritas und verteilt Lebensmittel an Geflüchtete. Ruhe hat Scholl wohl erst in einem anderen Leben.

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Über den/die Autor:in

Eva Rottensteiner

Eva Rottensteiner ist freie Journalistin und studiert Politikwissenschaft und Gender Studies. Sie engagiert sich im Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen.

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