Reinhold Binder: „Bei Schönwetter ist es immer leichter“

Portrait von Reinhold Binder. Chefverhandler der Gewerkschaft PRO-GE, im Interview zur Herbstlohnrunde 2024.
"Die erwarten sich zu Recht von ihrer Gewerkschaft, dass sie für sie das Maximum herausholt", erklärt Reinhold Binder von der PRO-GE vor der Herbstlohnrunde 2024. | © Markus Zahradnik
Die Herbstlohnrunde 2024 startet. Reinhold Binder, der erfahrene Verhandler der PRO-GE, erklärt der Arbeit&Wirtschaft, worauf es bei KV-Verhandlungen ankommt.
Dieser Tage startet das jährliche Tauziehen um die Kollektivverträge (KV) – die sogenannte Herbstlohnrunde 2024. Die Beschäftigten brauchen faire Löhne und eine Anhebung des Mindestlohns muss selbstverständlich sein. Außerdem sollten die Arbeitgeber:innen der Tatsache Rechnung tragen, dass diese KV-Verhandlungen im Umfeld eines enormen Arbeitskräftebedarfs stattfindet, die eine Arbeitszeitverkürzung unumgänglich macht. Auf die Signalwirkung des Metaller-KV müssen die anderen Gewerkschaften dabei allerdings verzichten. Denn deren Abschluss im Jahr 2023 gilt für zwei Jahre und wird deswegen heuer nicht erneut verhandelt. Im Interview mit Arbeit&Wirtschaft erklärt Reinhold Binder, Bundesvorsitzender der PRO-GE, was auf die Verhandler:innen in diesem Jahr zukommt.

Reinhold Binder
ist Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft PRO-GE und seit 2023 Chefverhandler der Arbeitnehmer:innenseite für den Metaller-KV, das Metallgewerbe und die Elektro- und Elektronikindustrie. Im Interview mit der Arbeit & Wirtschaft gewährt er einen Blick hinter die Kulissen der Kollektivvertragsverhandlungen.
Arbeit&Wirtschaft: Wie bereitet man sich auf Kollektivvertragsverhandlungen vor?

Reinhold Binder: Im ersten Schritt ist es wichtig, die wirtschaftliche Situation zu beurteilen – die gesamtwirtschaftliche sowie die der Betriebe jener Branche, für die die KV-Verhandlungen stattfinden. Dann wird im Branchenausschuss, in dem Betriebsrätinnen und Betriebsräte vertreten sind, beraten und letztendlich darüber entschieden, mit welchen Forderungen man in die Verhandlungen geht.

Wie hält man den Druck aus?

Rückenwind geben vor allem die Gespräche mit den Arbeiterinnen und Arbeitern. Bei den Lohnrunden 2023 haben wir zum Beispiel ganz stark gemerkt, wie sehr die hohe Inflation die Menschen belastet hat. Da ging es bei vielen wirklich ans Eingemachte. Die erwarten sich zu Recht von ihrer Gewerkschaft, dass sie für sie das Maximum herausholt, und sie sprechen dir auch Mut zu und unterstützen unseren Weg. Es ist extrem motivierend zu wissen, dass man mit einem guten Ergebnis bei den KV-Verhandlungen das Leben dieser Menschen verbessern kann.

Portrait von Reinhold Binder während eines Interviews.
Reinhold Binder, Chefverhandler der Gewerkschaft PRO-GE, geht zuversichtlich in die kommende Herbstlohnrunde 2024 | © Markus Zahradnik
Und wie motiviert man gerade bei langen KV-Runden die Betriebsräte?

Die Betriebsräte der Branche sind stets eingebunden und werden über den Verhandlungsstand informiert. Jede Entscheidung wird im Verhandlungsteam, das ja grundsätzlich aus Vertreter:innen der Betriebsräte gebildet wird, besprochen und abgestimmt. Nur so lassen sich im Fall des Falles auch konkrete gewerkschaftliche Maßnahmen organisieren. Einen solidarischen Lohnkampf kann man nicht diktieren, sondern man kann ihn nur gemeinsam führen.

Haben sich die Verhandlungen für die Metallindustrie über die Jahre verändert?

Im Jahr 2012 hat die Arbeitgeberseite ihre Verhandlungsgemeinschaft aufgelöst. Die einzelnen Fachverbände der Metallindustrie verhandeln seit damals getrennt mit uns. Es drohte also die Zerstörung des einheitlichen Kollektivvertrages, was eine Schwächung der Arbeitnehmer:innenseite bedeutet hätte. Denn je mehr Mitglieder und engagierte Betriebsräte unter den Metaller-KV fallen, desto stärker ist die Verhandlungsposition der Gewerkschaften PRO-GE und GPA, der Gewerkschaft der Privatangestellten. Bis heute ist es uns aber gelungen, idente Lohnabschlüsse mit allen Arbeitgeberverbänden zu vereinbaren. Wir haben uns nicht auseinanderdividieren lassen.

Inwiefern sind die Verhandlungen in wirtschaftlichen Krisenzeiten herausfordernder?

Bei Schönwetter ist es immer leichter, aber die Sozialpartnerschaft muss vor allem in schwierigen Zeiten Lösungen bieten. Die Gewerkschaften haben immer wieder bewiesen, dass sie in wirtschaftlich herausfordernden Situationen ein verlässlicher Partner der Industrie sind. Man denke nur an den Abschluss 2020, dem ersten Jahr der Corona-Pandemie. Hier sind wir bereits in der ersten Runde zu einer Einigung gekommen und haben in Höhe der Inflationsrate abgeschlossen. Das war auch richtig, denn niemand hat damals gewusst, wie sich die Situation weiterentwickelt. Auch 2023 waren die Lohnverhandlungen sehr schwierig. Die Regierung hat die Inflation durchrauschen lassen und die Konjunktur hat sich bereits eingetrübt. Daraus wurde, wie wir heute wissen, die längste Rezession in der zweiten Republik.

Mit welchen Folgen in Sachen KV-Verhandlungen?

Einerseits sind in solchen Zeiten die Menschen ganz besonders auf die Lohnerhöhungen angewiesen, andererseits muss man auch die wirtschaftliche Entwicklung im Auge behalten. Darum haben wir im Vorjahr einen Zweijahresabschluss in der Metallindustrie und auch im Metallgewerbe vereinbart. Die Erhöhung für 2024 wurde damals schon in den Grundzügen fixiert, das bringt Sicherheit für die Beschäftigten und Planbarkeit für die Unternehmen.

Wie wichtig ist in Verhandlungszeiten die Medienöffentlichkeit?

Der Metaller-KV steht unter besonderer medialer Beobachtung. Zum einen eröffnet er traditionell die Herbstlohnrunde, zum anderen gilt das Ergebnis nach wie vor als Richtschnur für andere Branchen. Die öffentliche Aufmerksamkeit ist natürlich wichtig, denn eine breite Unterstützung verleiht unseren Forderungen Nachdruck. Vor allem dann, wenn es in Richtung Arbeitskampf geht und wir um ein faires Ergebnis raufen müssen.

Was waren die längsten Verhandlungen bisher?

Ob es die längste Runde aller Zeiten war, weiß ich nicht, hängt sicher auch davon ab, was alles mitgerechnet wird, aber 2023 gehört sicher zu den „All-Time-Highs“ dazu. Wir haben am 25. September unsere Forderungen an alle Arbeitgeberverbände der Metallindustrie überreicht. Schließlich hat am 18. Dezember, nach wochenlangen Streikwellen, auch der letzte Fachverband den Kollektivvertrag unterschrieben. Das war der härteste Arbeitskampf der vergangenen 60 Jahre.
Und die längste einzelne Verhandlung war 2015. Erst nach einem 24-Stunden-Marathon konnten wir ein Ergebnis erreichen.

Wann weiß man, dass der Punkt gekommen ist, wo nur noch ein Streik hilft?

Verhandlungen und die Suche nach einem Kompromiss stehen immer an erster Stelle! Man versucht, sich anzunähern. Das geht aber nur, wenn die Augenhöhe in den Gesprächen gegeben ist. Fehlt dieser Respekt vor der Leistung der Arbeitnehmer:innen, werden berechtigte Forderungen der Beschäftigten negiert, dann muss man die Gangart verschärfen. Oftmals gelingt es in letzter Minute einen Arbeitskampf noch abzuwenden. Aber manchmal kommt erst dann Bewegung auf Arbeitgeberseite, wenn der Druck in den Betrieben steigt und die Belegschaften geschlossen die Arbeit niederlegen. Gewerkschaften sind verlässliche Sozialpartner, immer zu Gesprächen bereit, um Lösungen zu finden. Gewerkschaften sind aber auch Kampforganisationen, wenn es um die Rechte der Arbeitnehmer:innen geht.

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