Nach der Wahl droht neoliberaler Durchmarsch

Die Spitzenkandidaten der Nationalratswahlen 2024 in Österreich: Werner Kogler, Andreas Babler, Karl Nehammer, Herbert Kickl und Beate Meinl-Reisinger.
Vizekanzler Werner Kogler, SPÖ-Kandidat Andreas Babler, ÖVP-Kanzler Karl Nehammer, FPÖ-Kandidat Herbert Kickl und Beate Meinl-Reisinger von den NEOS bei einem TV-Duell. | Georg Hochmuth/APA/picturedesk.com
Die FPÖ gewinnt die Nationalratswahlen 2024. Für Politik im Sinne der Arbeitnehmer:innen eine schmerzvolle Niederlage. Doch Herbert Kickl ist noch nicht Kanzler, und es könnte auch ohne die Freiheitlichen gehen.
Die FPÖ gewinnt die Nationalratswahl 2024. Ihre 28,8 Prozent reichen, um die ÖVP (26,3 Prozent) unter Karl Nehammer auf Platz zwei zu verdrängen. Die SPÖ von Andreas Babler kommt mit 21,1 Prozent der Stimmen nur auf Platz drei. Eine Regierungsbildung dürfte allerdings schwierig werden. Denn sowohl Nehammer als auch Babler haben die Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgeschlossen. Wobei sich Nehammer das Hintertürchen offengehalten hat, eben doch zuzustimmen, sollte Kickl kein Teil des Kabinetts werden. Arbeitnehmer:innen müssen also bangen. Denn die Pläne von FPÖ und ÖVP entlasten vor allem Unternehmen – auf Kosten der Beschäftigten.

FPÖ gewinnt Nationalratswahl 2024 dank Stimmen der ÖVP

Dass die Freiheitlichen die Nationalratswahl 2024 deutlich gewonnen haben, ist keine große Überraschung, alle Umfragen sahen das kommen. ÖVP und SPÖ haben kein Mittel gefunden, um der rechtspopulistischen FPÖ genug entgegenzusetzen. Ganz im Gegenteil: Die Analyse der Wählerströme des Meinungsforschungsinstituts Foresight zeigt, dass die ÖVP massiv Wähler:innen an die Freiheitlichen verloren hat – in Summe von den damals 1,8 Millionen ÖVP-Wähler:innen von damals sind nur noch 1,3 Millionen übrig. Währenddessen verloren die Sozialdemokraten die meisten Stimmen (180.000) an die Gruppe der Nichtwähler:innen.

Balkendiagramm zum Wahlergebnis der Nationalratswahl 2024.
Die FPÖ gewinnt die Nationalratswahl 2024. | APA-Grafik/picturedesk

Die 12,6 Prozent mehr für die FPÖ als bei der Wahl 2019 bedeuten ein Rekordergebnis von eben 28,8 Prozent. Gleichzeitig müssen die noch aktuellen Regierungsparteien kräftig Federn lassen. Die ÖVP büßt 11,2 Prozentpunkte ein, bei den Grünen sind es 5,6 Prozentpunkte. Die SPÖ bleibt mit einem Minus von lediglich 0,1 Prozent zwar vergleichsweise stabil, Babler wollte allerdings Kanzler werden, und davon ist man weit entfernt.

Trotz Wahlsieg könnte FPÖ leer ausgehen

Ob der Wahlsieger, die FPÖ, an einer Regierung beteiligt sein wird, ist derzeit noch offen: Nehammer schloss eine Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht kategorisch aus, sondern knüpfte sie an die Personalie Herbert Kickl. Sollte der kein Teil des Kabinetts werden, könnte eine Schwarz-Blaue-Regierung eine Option sein, so die derzeitigen Signale aus dem Lager der ÖVP. Von Bundespräsident Alexander van der Bellen weiß man, dass er Kickl kritisch sieht und eine Regierung mit seiner Beteiligung wohl nicht zulassen würde.

SPÖ-Chef Babler schloss eine Koalition mit der FPÖ kategorisch aus und bekräftigte diese Aussage auch nach Bekanntwerden der ersten Wahlergebnisse. „Unsere Hände sind ausgestreckt“, versprach er, um „eine stabile Basis zu finden jenseits einer blauen Regierungsbeteiligung.“ Und tatsächlich käme eine Koalition aus ÖVP und SPÖ auf 93 Sitze im Nationalrat – gerade noch ausreichend, 92 braucht eine Koalition.

Dass die zweit- und drittplatzierten Parteien eine Regierung bilden, gab es zuletzt vor 24 Jahren. Damals stellte die ÖVP als drittplatzierte Partei mit Wolfgang Schüssel den Kanzler und schmiedete eine Koalition mit der zweitplatzierten FPÖ.

ÖVP und FPÖ: Neoliberale Politik für Unternehmen

Den Wähler:innen stehen also ungewisse Zeiten bevor. Koalitionsverhandlungen dauern in Österreich durchschnittlich 68 Tage, wie Politologe Thomas Meyer im Standard vorrechnete. Wobei es 1999 – als erstmals Schwarz-Blau an die Macht kam ­– sogar 124 Tage waren. Neben der ÖVP könnten die Arbeitnehmer:innen zum zweiten großen Verlierer der Nationalratswahl 2024 werden. War für sie schon die Bilanz der Schwarz-Grünen-Regierung kein Vergnügen, so könnten sozialpolitische Themen zukünftig noch mehr unter die Räder kommen.

Schon am Wahlabend war von einer möglichen unternehmerfreundlichen Senkung der Körperschaftssteuer (KÖSt) die Rede, mit der die FPÖ die ÖVP unter anderem in eine Regierung locken könnte. Durch eine Senkung 2023 entgingen dem Staat bereits mehr als 1,1 Milliarden Euro an Steuereinnahmen, kritisierte damals die Arbeiterkammer.

Nicht umsetzbar wäre für FPÖ und ÖVP etwa eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, wie sie die Gewerkschaften im Vorfeld der Wahl forderten. Ingrid Reischl, Bundesgeschäftsführerin des ÖGB, wird im Podcast „Nachgehört/Vorgedacht“ deutlich: „Diese Parteien vertreten nicht die Interessen der arbeitenden Bevölkerung. Denn die Produktivität ist gestiegen. Der Arbeitsdruck ist gestiegen. Und wir haben eine massive Schieflage bei der Verteilung der Arbeitszeit. Männer machen viele Überstunden und Frauen arbeiten in Teilzeit. Wir müssen Gerechtigkeit schaffen und das geht nur über eine Verkürzung der Arbeitszeit.“

Bei Gesundheitsreform Arbeitnehmer:innen ausgebremst

Zusätzlich sprechen sich FPÖ und ÖVP weiterhin dagegen aus, die Mehrheiten für die Arbeitnehmer:innen in den Selbstverwaltungsgremien wiederherzustellen. Zur Erinnerung: Unter dem Deckmantel der „Patientenmilliarde“ wurden im Rahmen der Gesundheitsreform unter Schwarz-Blau 2020 der Einfluss bei der Pensionsversicherung und der Gesundheitskasse von den Arbeitnehmer:innen auf die Arbeitgeber:innen übertragen. „Die Reform der Gesundheitskasse, die Patientenmilliarde, war ein Schmäh“, fasst es Reischl zusammen.  „Wer am meisten einzahlt, sollte auch mitsprechen.“

Und auch hitzefrei ab 30 Grad Celsius würde es mit ÖVP und FPÖ nicht geben. Dabei kommt es mittlerweile jedes Jahr in Folgen der extremen Wetterbedingungen zu Hitzetoten, weswegen das Arbeitsrecht endlich klimafit gemacht werden müsse, mahnt Reischl. „Kein Arbeitsminister sollte sich in den Spiegel schauen können, wenn es im nächsten Jahr wieder Tote gibt durch Arbeit im Freien und in der Hitze.“

Sozialstaat im Visier

Die kommende Regierung wird zuallererst den Staatshaushalt konsolidieren müssen. „Die vergangene Bundesregierung hat der neuen ein desaströses Budget hinterlassen“, urteilt Helene Schuberth, Leiterin Volkswirtschaftliche Abteilung des ÖGB, im Podcast Nachgehört/Vorgedacht. Enormen Ausgaben für Einmalzahlungen standen Senkungen der Lohnnebenkosten und der Körperschaftssteuer gegenüber. Gleichzeitig habe es die Regierung verpasst, die Übergewinne (vor allem bei Banken und Energieunternehmen) abzuschöpfen, so Schuberth. Das sei möglich gewesen, weil in den vergangenen Jahren aufgrund der Inflation die Fiskalregeln der Europäischen Union ausgesetzt waren. Ab 2025 gelten diese aber wieder. „Wir rechnen damit, dass allein im nächsten Jahr 2,5 Milliarden Euro eingespart werden müssen“, so Schuberth.


„ÖVP und FPÖ haben in ihren Wahlprogrammen noch dezidiert die Einführung von Vermögens- und Erbschaftssteuern ausgeschlossen“, betont Miriam Fuhrmann vom volkswirtschaftlichen Referat in „Nachgehört/Vorgedacht“. Entsprechend müssten die Einsparungen bei den Ausgaben vorgenommen werden. Doch hier finden sich bei FPÖ und ÖVP vor allem Steuergeschenke für Unfternehmen, wie etwa die weitere Absenkung der Körperschaftssteuer. Stattdessen soll laut Wahlprogramm am Sozialstaat gespart werden. FPÖ und ÖVP gaben an, etwa die Lohnnebenkosten weiter kürzen zu wollen – etwa beim Familienlastenausgleichsfonds (FLAF), der zum Beispiel Schulbücher und Lehrlingsfreifahrten finanziert. Neoliberale Politik verschiebt Kosten, eben etwa beim Eingriff in die Lohnnebenkosten, von den Arbeitgeber:innen hin zu den Arbeitnehmer:innen. Die Leidtragenden sind wiederum die Arbeitnehmer:innen, weil der Sozialstaat kaputt gekürzt wird.

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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