Arbeit&Wirtschaft: Warum braucht es gerade jetzt Ihr Buch „Populismus für Anfänger“, also ein Buch für Leute, die sich mit dem Thema noch wenig auseinandergesetzt haben?
Walter Ötsch: Das Buch, das ich mit Nina Horaczek geschrieben habe, ist ein Versuch, Aufklärung zu schaffen. Wir haben einen phänomenologischen Ansatz gewählt: Was geschieht beim Sehen, Hören und Denken? Wir gehen von der These aus, dass Sehen, Hören und Denken auf „inneren Bildern“ beruht. Beim Populismus geht es um ein Bild der Gesellschaft. Sie wird als zweigeteilt gedacht: Es gibt die als homogen wahrgenommene Gruppe „Wir“ auf der einen und die ebenso homogen empfundene Gruppe der „Anderen“ auf der anderen Seite – sonst nichts.
Was sind die wichtigsten Punkte, die jeder über Populismus und PopulistInnen wissen sollte?
Am wichtigsten erscheint uns, das Bild der geteilten Gesellschaft zu verstehen und dass dieses eine reine Fiktion ist. Es handelt von Menschen, die es gar nicht gibt: So gibt es die Gruppe „Wir“ nicht, auch nicht „das Volk“, wo nur die Guten und Aufrechten zu finden sind, und ebenso wenig eine Gruppe der „Anderen“, also etwa „die Elite“, wo nur die Schlechten und Betrügerischen zu finden sind. Unser inneres Bild sagt uns aber: „Wir“ sind immer und ausschließlich die Opfer, während die „Anderen“ immer und ausschließlich die Täter sind. Das ist letztlich ein archaischer Mythos. Es gilt zu verstehen, dass ein solches Denken eskalierende Spiralen besitzt, nach immer mehr Macht drängt und zu einer autoritären Staatsform führen will.
Interessant ist, dass Sie für das Buch einen humorvollen Zugang gewählt haben, indem Sie laut Untertitel eine „Anleitung zur Volksverführung“ geben, sodass Leserinnen und Leser selbst PopulistInnen werden können.
Ja, wir nützen Humor, um die populistischen Muster zu beschreiben. Es ist wie beim Rumpelstilzchen: Sobald ich die Muster benennen kann, zerplatzen sie. Populismus ist Volksverführung mit billigen Tricks, die man leicht durchschauen kann. Wichtig ist auch, aus der moralischen Entrüstung herauszugehen und in der eigenen Energie zu bleiben – das brauchen die demokratischen Kräfte, um handlungsfähig zu bleiben. Das ist sinnvoller, als die Nazikeule zu schwingen. Es gibt heute keine SS und keine SA, die marschiert, und es droht kein KZ. Isolde Charim sagt im Dokumentarfilm „Rechtsruck. Zehn Gespräche. Gegen Angst“, dass so etwas heute gar nicht mehr möglich wäre, weil die Menschen viel individueller geworden sind. Heute kann man, so meint sie, die Jugend nicht mehr in eine gleichmachende Massenpartei integrieren.
Aber sehr erfreulich sind die aktuellen Entwicklungen auch nicht.
So etwas wie der Nationalsozialismus wäre nicht mehr möglich. Was aber droht, ist eine autoritäre Demokratie – und das ist schlimm genug. Es ist schlimm für die Kreativen, die linken Sozialbewegten, für freiheitsliebende Künstler oder autonome Journalisten.
Wo beobachten Sie besonders bedenkliche Tendenzen?
Am weitesten hat sich der Rechtspopulismus in Ungarn durchgesetzt. Dort ist die Demokratie in ihrer Substanz weitgehend zerstört. Es herrscht eine autoritäre Form der Demokratie ohne nennenswerten Widerstand. Die Pressefreiheit ist eingeschränkt, alle demokratischen Kontrollinstanzen weitgehend funktionsunfähig, denn sie wurden mit gehorsamen Parteigängern besetzt. Beispiele sind der Rechnungshof, die Finanzmarktaufsicht, die Exekutive, weite Teile der Justiz wie der Oberste Gerichtshof, die Medienbehörde, die öffentlich-rechtlichen Medien, Kulturinstitutionen und die Nationalbank. Das Wahlrecht wurde zugunsten der Fidesz verändert, im Frühjahr 2014 wurde mit 43 Prozent der Stimmen eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erzielt. Und die Bevölkerung wird von der Regierung andauernd mit Plakatwellen, zum Beispiel gegen Flüchtlinge, und mit hetzerischen Volksbefragungen in Erregung versetzt. Donald Trump versucht ähnliche Aktionen.