Bye-bye Ausbeutung: Wie in Dänemark für Reinungskräfte gekämpft wird

Eine Frau hält Reinigungsmittel in der Hand. Symbolbild für die Gewerkschaft 3F und ihren Tarifvertrag.
Dänemark zeigt, wie's gehen kann: Ein Tarifvertrag für plattformvermittelte Reinungskräfte will den Unterschied machen. | © Adobe Stock/Lou W/peopleimages.com
Als erste Gewerkschaft weltweit verhandelte die dänische Gewerkschaft 3F einen Kollektivvertrag für digital vermittelte Reinigungskräfte. Thorkild Holmboe Hay, Chefverhandler der sogenannten „Hilfr-Vereinbarung“, sieht heute Nachjustierungsbedarf.
Kann ein Algorithmus Chef sein? Auf Plattformen wie Foodora oder betreut.at ist das ganz normal – miese Arbeitsbedingungen und Scheinselbstständigkeit inklusive. Doch in Dänemark regt sich mittlerweile Widerstand. Thorkild Holmboe Hay hat mit seiner Gewerkschaft 3F einen Kollektivvertrag für Reinigungskräfte, die digital vermittelt werden, ausgehandelt. Im Interview erklärt er, warum längst nicht alles glattlief.

Thorkild Holmboe Hay von der Gewerkschaft 3F
„Wir sind noch weit davon entfernt, dass man sein ganzes Arbeitsleben auf Hilfr aufbauen kann.“ | © 3F

Im April 2018 haben Sie einen Kollektivvertrag mit der Reinigungsplattform Hilfr abgeschlossen. Was war der Inhalt der Vereinbarung?

Thorkild Holmboe Hay: Es war eine schwierige Vereinbarung, weil wir es mit einem völlig neuen Arbeitsfeld zu tun hatten. Was wir anstrebten, war ein standardmäßiger Kollektivvertrag, auf dem gleichen Niveau wie die normalen dänischen Kollektivverträge, die zwischen den Arbeitgeberverbänden und unserer Organisation ausgehandelt werden. Hilfr ist allerdings eine digitale Arbeitsplattform, die Reinigungskräfte für private Wohnungen vermittelt. Wir mussten uns also hinsetzen und überlegen: Was ist anders, wenn Arbeitende keine:n Chef:in haben, wenn der Arbeitgeber im Grunde ein Algorithmus ist? 

Wir haben uns schließlich auf einen einheitlichen Stundenlohn geeinigt, auch für Wochenend- oder Feiertagsarbeit. Zugleich können die Reinigungskräfte selbst entscheiden, wann sie arbeiten möchten. Das ist ein gravierender Unterschied zu herkömmlichen Kollektivverträgen, bei denen der Arbeitgeber normalerweise vorschreiben kann, wann der:die Beschäftigte zu arbeiten hat. 

Wie haben die Reinigungskräfte von der Vereinbarung profitiert?

Der Mindestlohn ist ziemlich hoch, er liegt bei etwa 21,50 Euro pro Stunde. Das ist ein Kompromiss. Denn die Arbeitnehmer:innen können zwar flexibel arbeiten, und wenn sie zum Beispiel am Freitag etwas anderes machen wollen, melden sie sich einfach nicht auf der Plattform an. Andererseits wollen die meisten aber viel arbeiten und wünschen sich feste Wochenarbeitszeiten. Ohne feste Arbeitszeiten kann man keine langfristigen Investitionen tätigen, wie zum Beispiel ein Haus kaufen. Das macht die Hilfr-Plattform nach wie vor zu einem Treiber für prekäre Arbeit. Wir sind noch weit davon entfernt, dass man sein ganzes Arbeitsleben auf Hilfr aufbauen kann.  

Was ist mit Pensionen, Krankengeld, Urlaubsgeld?

Der Vertrag garantiert eine Pension und Urlaubsgeld, aber kein Krankengeld. Er enthält auch kein Karenzgeld und es fehlen einige andere Sozialleistungen, die normalerweise in Kollektivverträgen inkludiert sind.  

Was war der ursprüngliche Anlass für die Vereinbarung? Waren es die Reinigungskräfte selbst, die darauf gedrängt haben?

Nein, es war Hilfr selbst. Digitale Arbeitsplattformen sind sehr speziell, sie haben eine gewisse Vorstellung davon, wie man Profit macht, und sie wollen alle ihre Nische finden. Die Hilfr-Vereinbarung basierte eigentlich auf einer ganz bestimmten Marketing-Idee. Hilfr wollte DIE „sozial verantwortliche“ Plattform sein, die Plattform, die ihre Arbeiter:innen mit Respekt behandelt und ihnen einen angemessenen Lohn zahlt. Und das hat funktioniert, es gibt einen riesigen Markt dafür. Viele Kund:innen sind sogar bereit, etwas mehr zu zahlen, wenn sie wissen, dass die Arbeiter:innen einen fairen Anteil erhalten.  

Sie haben im Jahre 2018 darauf hingewiesen, dass ein Faktor, der indirekt zum Hilfr-Abkommen geführt hat, war, dass dem Staat sonst Steuereinnahmen entgangen wären …

Damals waren bei Hilfr Freiberufler:innen beschäftigt. Das bedeutet, dass die Reinigungskräfte ein Einkommen haben und für ihre Steuern selbst verantwortlich sind. Die dänische Regierung wollte das ändern. Trotz deren Status als Freiberufler:innen sollte es die Plattform sein, die Steuern zahlt.  

Im Jahr 2018 wurde die Vereinbarung als einjähriges Pilotprojekt konzipiert. Wie hat es sich seitdem entwickelt?

Wir waren froh, dass das Abkommen zustande kam, aber wir wussten im Grunde nicht, was wir taten. Heute würden wir die Hilfr-Vereinbarung in dieser Form nicht mehr abschließen.  

Warum?

Teil der Vereinbarung war, dass die Plattform mit einigen der Hilfrs und der Gewerkschaft Kontakt aufnimmt, um Interviews führen. Heute, mit der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, maschinellem Lernen und des algorithmischen Managements, das die Betreiber in ihre Plattformen implementieren können, sind das komplett andere Voraussetzungen. Wenn wir in diesen Monaten die Hilfr-Vereinbarung neu verhandeln, enthält sie einen umfangreichen Anhang, der sich nur mit KI und algorithmischem Management befasst. 

Wenn Sie sagen, dass Sie diesen Kollektivvertrag rückblickend so nicht abgeschlossen hätten: Was hätten Sie anders gemacht?

Wir wussten nicht, wer die Arbeitnehmer:innen sind. Normalerweise führt man einen Dialog mit den Arbeitnehmer:innen, sie sagen uns, was sie wollen, und dann bringen wir das an den Verhandlungstisch und verhandeln mit den Arbeitgeber:innen. Aber wir hatten keine Möglichkeit, mit den Arbeitnehmer:innen der Hilfr-Plattform in Kontakt zu treten.  

Eine Neuverhandlung der Vereinbarung muss daher an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sein: Die Gewerkschaft muss auf der Plattform präsent sein. Es muss einen Link zur Gewerkschaft geben, sodass die Hilfrs auf den Link klicken und dann eine digitale Gewerkschaft („a Union in the Sky“) antreffen. Wir haben eine Website entworfen, die alle Informationen und Infos über die Gewerkschaft enthält, und es gibt Chatrooms und Diskussionsräume, in denen die Arbeitnehmer:innen miteinander diskutieren und Fragen an die Gewerkschaften stellen können. Sie bietet die Möglichkeit, Betriebsräten und Vertrauensleuten zu wählen. Die „Union in the Sky“ wird derzeit entwickelt, ist aber noch nicht eingerichtet.  

Glauben Sie, dass die Vereinbarung mit Hilfr ein Modell für andere Sektoren sein kann?

Es war der weltweit erste Kollektivvertrag für eine digitale Arbeitsplattform. Damals war er bahnbrechend. Viele Forscher:innen haben ihn analysiert und ihn als Grundlage für weitere Vereinbarungen betrachtet. Aber wie gesagt, wir halten ihn für veraltet. Er muss modernisiert werden. Und wir befinden uns mitten in diesen Verhandlungen …  

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Über den/die Autor:in

Johannes Greß

Johannes Greß, geb. 1994, studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet als freier Journalist in Wien. Er schreibt für diverse deutschsprachige Medien über die Themen Umwelt, Arbeit und Demokratie.

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