Klimaschutz und Arbeitsplätze
Damit Österreich seine Klimaziele erreicht, ist eine Transformation dringend nötig. In den Sektoren Verkehr und Industrie wurden in den vergangenen 30 Jahren klimapolitisch kaum Fortschritte erzielt. In der besonders energieintensiven Fahrzeugindustrie, sprich bei Unternehmen wie BMW, KTM oder Magna, sorgt das für Ungemach: Eine Begrünung der Branche drohe Arbeitsplätze zu vernichten. Laut WKO-Fachverband sind 2023 fast 40.000 Menschen direkt in der Fahrzeugindustrie beschäftigt, davon wird laut einer Studie von Fraunhofer Austria Research aus dem Jahr 2022 in gut zehn Jahren noch ein Drittel übrig bleiben. Für Zulieferbetriebe und die vor- und nachgelagerte Produktion sind ähnliche Entwicklungen zu erwarten – ein Rattenschwanz. Unter Beschäftigten verursacht das nachvollziehbarerweise Ängste und Verunsicherung.
Längst wurde öffentlich nicht nur das Duell „Verbrenner versus E-Auto“ ausgerufen, sondern auch das um „Klimaschutz versus Arbeitsplätze“. Als dritter Pol in der Debatte etablierte sich die Idee vom „sozial-ökologischen Umbau“: Klimaschutz und Arbeitsplätze, Ökologisches und Soziales sollten nicht als Widerspruch, sondern als Teil desselben Kampfes betrachtet werden. Auf dem Weg zum „sozial-ökologischen Umbau“ wird die Klimabewegung für Gewerkschaften zum zentralen Bündnispartner – ein historisch nicht immer reibungsloses Bündnis, aber eines, das in den vergangenen Jahren Früchte getragen hat.
Unsichere Zukunft
„Sozial-ökologischer Umbau“ ist ein abstraktes Wort. In Steyr lässt sich hautnah beobachten, was das für ein Unternehmen und die Beschäftigten bedeutet. Noch 2019 produzierte BMW in Steyr 1,2 Millionen Verbrenner und investierte 102 Millionen Euro in die Produktion von 4- und 6-Zylinder-Benzinmotoren. Nun soll der Standort zum Kompetenzzentrum für Elektroantriebe werden, bis 2030 will der bayerische Kfz-Hersteller eine Milliarde Euro investieren. Bis zu 600.000 E-Motoren sollen jährlich vom Band rollen. Und dennoch: Ob dem Elektromotor bei BMW die Zukunft gehört, ist keineswegs ausgemacht, bis heute produziert die BMW Group weltweit zu rund 80 Prozent Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Auch unter den Beschäftigten ist die Entwicklung umstritten. Viele Faktoren spielen eine Rolle: Wie entwickelt sich der Weltmarkt? Was macht China? Was entscheidet das BMW-Management in Deutschland? Welchen Weg schlägt die EU ein?
Generell, so Brich, sei man bei BMW gut aufgestellt und zähle auf beiden Schienen zu den Marktführern. Sorgen bereite ihm und seinen Kolleg:innen vielmehr der laufende Anpassungsdruck. „Transformation bedeutet nicht: ‚Wir produzieren jetzt Verbrenner, dann hören wir damit auf, und dann machen wir mit E-Motoren weiter‘“, gibt Brich zu bedenken. Da das medial ausgerufene Duell zwischen Verbrenner und Elektromobilität längst nicht entschieden ist, laufen beide Prozesse parallel ab. Brich spricht von einer „Doppelbelastung aus Lernstress und Veränderung“, Arbeiter:innen müssten sich buchstäblich am laufenden Band fortbilden. In den letzten Jahren hätten viele von ihnen wieder die Schulbank gedrückt und „massive Umqualifizierungsprogramme“ absolviert. Ob sich das im Einzelfall auszahlt, kann niemand mit Gewissheit sagen.
E-Mobilität ist nur ein Teil der Lösung
Die Umstellung auf Elektromobilität kann in sozialer wie in ökologischer Hinsicht bestenfalls ein Teil der Lösung sein. Einerseits besteht ein Verbrennungsmotor je nach Modell aus rund 2.000 Teilen, ein Elektromotor aus etwa 200. Sprich: Für Letzteren sind deutlich weniger Arbeitsschritte, ergo weniger Arbeiter:innen nötig. Nicht alle, die heute an Verbrennungsmotoren schrauben, werden zukünftig E-Autos produzieren können. Sollte sich langfristig der E-Motor durchsetzen, „wird sich das derzeitige Beschäftigungsniveau wohl nicht halten lassen“, glaubt Brich. Viele seiner Kolleg:innen bekommen die Auswirkungen der Inflation massiv zu spüren, haben Familien gegründet, Häuser gebaut und dafür Kredite aufgenommen, deren Zinsen teils stark gestiegen sind – das Gespenst vom Wohlstandsverlust hat viele Gesichter. „Als Betriebsräte sind wir ganz wichtige Ansprechpartner.“
Andererseits macht eine Antriebswende noch keine Mobilitätswende. Dem Klima ist kaum geholfen, wenn wir künftig alle unsere Wege elektrisch statt mit Diesel oder Benzin zurücklegen. Auch Stromer verursachen Emissionen – in der Herstellung sogar mehr als ein Benziner oder Diesel. Elektrofahrzeuge ergeben ökologisch dort am meisten Sinn, wo keine Alternativen bestehen: für Blaulichtfahrzeuge, Transporte oder Handwerksbetriebe.
„Eine echte Mobilitätswende bedeutet: weg vom Individualverkehr, hin zu mehr öffentlichem Verkehr“, betont Lukas Oberndorfer. Der Leiter der Abteilung Klima, Umwelt und Verkehr der Arbeiterkammer Wien spricht einen wunden Punkt an. Fortschritte in der Dekarbonisierung seien bisher dort gemacht worden, wo sich Unternehmen Profite versprechen. Autoproduzenten würden auf Elektromobilität setzen, seitdem diese staatliche bezuschusst werde bzw. für Konsument:innen zur attraktiven Alternative geworden sei. Gute Arbeitsbedingungen und ökologische Nachhaltigkeit hätten gegenüber Profitinteressen häufig das Nachsehen.
Transformation bedeutet nicht:
‚Wir produzieren jetzt Verbrenner,
dann hören wir damit auf, und dann
machen wir mit E-Motoren weiter.‘
Andreas Brich,
Arbeiterbetriebsrat bei BMW Steyr
Offene Technologien, offene Fragen
Wirtschaftsverbände, Unternehmen und liberale wie rechte Politiker:innen haben in der Frage des ökologischen Umbaus zuletzt lautstark „Technologieoffenheit“ gefordert. Die Kräfte des Marktes wie das Zusammenspiel aus Angebot und Nachfrage sollen technologische Innovationen fördern, die den Weg in eine klimafreundliche Zukunft weisen. Zugespitzt ließe sich „Technologieoffenheit“ auch so übersetzen: Da der Markt immer noch am besten wisse, was gut für die Menschheit sei, solle sich der Staat raushalten.
Doch selbst Branchenriesen wie Volkswagen zweifeln aktuell vermehrt am grünen Daumen der unsichtbaren Hand des Marktes. Konzernvorstand Oliver Blume forderte im Wirtschaftsmagazin „Capital“, die Politik möge endlich klare Linien vorgeben. Um Investitionen tätigen zu können, würden Unternehmen Planungssicherheit brauchen. „Technologieoffenheit“ impliziere jedoch, dass auf einen solchen Plan bewusst verzichtet werde. Auch der Chef von BMW Steyr, Klaus von Moltke, merkte in einem Interview mit den „Salzburger Nachrichten“ Anfang des Jahres an: „Niemand kann heute sagen, wie es mit dem Hochlauf der E-Mobilität genau weitergehen wird.“
Ohne Industriepolitik heißt es wirklich: Klimaschutz versus Arbeitsplätze
„Da ist kein Plan, kein Ansatz von Industriepolitik erkennbar, das ist einfach nur ‚munter drauf los, freier Wettbewerb‘“, kritisiert BMW-Betriebsrat Brich, der als Bezirksvorsitzender der PRO-GE die Situation in der Branche mit Sorge betrachtet. Keinen Plan zu haben sei letztlich das Schädlichste für alle Beschäftigten. „Dieses freie Spiel der Kräfte würden wir alle verlieren.“
In der Klimabewegung hat
sich ein Bewusstsein
dafür entwickelt, dass die
Klimakrise eine soziale Krise ist.
Teresa Tausch, „Fridays for Future“
AK-Experte Oberndorfer fordert eine „aktive Wirtschaftspolitik“, die klima- und umweltpolitische Anliegen nötigenfalls „gegen Profitinteressen durchsetzt“. Die Klimaziele auf nationaler und EU-Ebene seien durchaus ambitioniert, so Oberndorfer. Was fehle, sei ein klarer Weg dorthin. Als Beispiel nennt er den Ausbau des europäischen Schienennetzes. Um die dafür notwendigen Gleise zu verlegen, Tunnel zu bohren, Züge zu produzieren, Signaltechniken zu entwickeln und Lokführer:innen auszubilden, brauche es eine Abkehr vom „wirtschaftsliberalen Paradigma“, vom Glauben, der Markt werde es schon richten. Eine „aktive Wirtschaftspolitik“ im Sinne einer sozial-ökologischen Planung bedeute, von der Zukunft aus ins Jetzt zu blicken: Welche politischen Schritte braucht es heute, um die Klimaziele 2030, 2040 oder 2050 zu erreichen?
Nicht immer ganz grün
Politik wird nicht nur im Nationalrat gemacht. Regierungsprogramme, Gesetze oder Wirtschaftspolitik werden unter dem Einfluss vieler Akteur:innen geformt, etwa durch die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft.
In der Vergangenheit pflegte die Arbeiter:innen- und Gewerkschaftsbewegung ein ambivalentes Verhältnis zur Umweltpolitik. Einerseits verknüpfte die Arbeiter:innenbewegung seit ihren Anfängen umwelt- und sozialpolitische Anliegen, indem sie etwa den Erholungswert von (für Arbeiter:innen frei zugänglicher) Natur in den Fokus rückte. Andererseits stellten sich österreichische Gewerkschaften im Laufe des 20. Jahrhunderts – mit dem Argument, Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum hätten Vorrang – immer wieder gegen umweltpolitische Forderungen. Trauriger Höhepunkt war die Drohung der ÖGB-Führung im Jahr 1984, das Protestcamp gegen das Kraftwerk Hainburg mit den eigenen Leuten räumen zu wollen, sollte sich die Polizei weigern. Über Jahrzehnte begegneten sich beide Bewegungen mit Skepsis.
Klimaschutz bedeutet, gute Arbeitsplätze schaffen
Heute, 40 Jahre nach „Hainburg“, ist die Welt eine andere. Seit dem Aufkommen von „Fridays for Future“ (FFF) 2018 nähern sich Gewerkschaften und Klimabewegung einander wieder an. „Auch in der Klimabewegung hat sich ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass die Klimakrise eine soziale Krise ist“, sagt FFF-Aktivistin Teresa Tausch im Gespräch mit A&W. Da öffentlich häufig ein anderes Bild vermittelt werde, wolle man „konkret“ zeigen, dass die Anliegen von Gewerkschafts- und Klimabewegung zueinander nicht im Widerspruch stehen müssen. Daraus entstand unter anderem die Kampagne „Wir fahren gemeinsam“, ein Bündnis aus Klimabewegung und der Gewerkschaft vida. Gemeinsam versuchen sie, ökologische und soziale Anliegen zu verbinden, gemeinsam kämpfen sie für bessere Arbeitsbedingungen für Busfahrer:innen – und eine klimaverträglichere Mobilität. Nicht zuletzt profitieren von günstigem öffentlichem Verkehr besonders einkommensschwächere Menschen. „Wir fahren gemeinsam“ ist ein Versuch, das Wortungetüm „sozial-ökologischer Umbau“ vom Abstrakten ins Konkrete zu übersetzen.
Soll nicht nur eine Antriebs-, sondern eine Mobilitätswende gelingen, braucht es nicht nur mehr Busse, sondern auch mehr Menschen, die diese lenken. Doch die Arbeitsbedingungen in der Branche sind teils verheerend, Schichten dauern länger als zwölf Stunden, es werden keine Nacht- oder Sonntagszuschläge bezahlt, und häufig fehlt es an Grundlegendem wie dem Zugang zu Toiletten. Wenig verwunderlich ist der Personalmangel eklatant. Studien für Deutschland zeigen, dass die Nachfrage nach Personal im öffentlichen Verkehr so groß ist, dass sie den drohenden Verlust in der Automobilindustrie aufwiegen würde. Ein ähnliches Potenzial lässt sich für Österreich vermuten.
Ganz Österreich steht still …
In der Zusammenarbeit konnten auch Vorurteile abgebaut werden, beobachtet Tausch. „Im Gespräch mit Betriebsrät:innen und Beschäftigten stellte sich heraus, dass die Interessen gar nicht so unähnlich sind.“ Während Betriebsrät:innen betriebliches Wissen einbringen können und die Anliegen der Lohnabhängigen genauestens kennen, versuchen Tausch und ihre Kolleg:innen, mit Wissen über die Klimakrise und „mit aktivistischen Tools“ zu unterstützen. Ein zentrales Anliegen der Kampagne besteht darin, Busfahrer:innen zu „politisieren“, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, „dass ganz Österreich stillsteht, wenn ihr eure Arbeit niederlegt“, wie Tausch es formuliert. Diese wirtschaftliche Macht gelte es zu erkennen – und zu nutzen.
Vergleichbares lässt sich über die Automobilindustrie sagen: Kaum eine Branche in Österreich ist gewerkschaftlich so gut organisiert, das Qualifikationsniveau der Beschäftigten ist – auch im internationalen Vergleich – außerordentlich hoch. Die Macht der Lohnabhängigen, über ihre Zukunft mitzubestimmen, ist in wenigen Branchen so groß wie in der Kfz-Produktion.
Gewerkschaften und Klimaschutzbewegung ziehen an einem Strang
In den vergangenen Jahren entstanden im In- und Ausland zahlreiche vergleichbare Kooperationen zwischen Arbeiter:innen und Klimaaktivist:innen, etwa das Bündnis „Menschen und Klima schützen statt Profite“, das sich für bessere Arbeitsbedingungen am Bau einsetzt, oder Klimaaktivist:innen, die im November 2022 den Eisenbahner:innenstreik unterstützten. Im April 2023 verbarrikadierten sich Gewerkschafter:innen, Betriebsrät:innen, Wissenschafter:innen und Klimaaktivist:innen drei Tage lang in den Räumlichkeiten der Arbeiterkammer Wien, um über eine soziale und ökologische Zukunft zu diskutieren. Daraus entstanden viele persönliche Kontakte und in der Folge politische Initiativen.
#AK Abteilungsleiter Klima, Umwelt & Verkehr @L_Oberndorfer bringt es auf den Punkt: Der Klimawandel & sein Extremwetter bringen riesige Kosten. Noch teurer ist, nichts dagegen zu unternehmen. Das muss sozial gerecht passieren. Dafür setzt sich die AK ein! #darumAK #AKWahlen bis… https://t.co/5DwO5xeRej
— AK Österreich (@Arbeiterkammer) April 22, 2024
Ihre institutionelle Verankerung fand die Kooperation zwischen Klimabewegung und Gewerkschaft in der Gründung des ÖGB-Klimabüros vor rund einem Jahr. Das Klimabüro versteht sich als „Schnittstelle zwischen Gewerkschaft, Beschäftigten und Klimapolitik“, so Büroleiter Martin Reiter. Ziel ist es, den sozial-ökologischen Umbau „anschaulich zu machen“. Reiter und seine Kolleg:innen sammeln Best-Practice-Beispiele, die sie in Vorträgen, Seminaren und Workshops weitervermitteln. Angesichts der Größe der Herausforderung „müssen die Leute wissen, was möglich ist und was funktioniert“, so Reiter. Fehlen konkrete Instrumente und Beispiele, „fühlt man sich sehr schnell überwältigt“.
Reiter nennt etwa ein Unternehmen, das auf Initiative von Betriebsrät:innen Photovoltaik-Zellen auf dem Firmendach errichtete, damit Mitarbeiter:innen ihre E-Autos günstig aufladen können, oder Betriebsrät:innen, die eine bessere Anbindung ihres Betriebs an den öffentlichen Verkehr durchsetzten – Initiativen, die die Welt nicht auf den Kopf stellen, aber die im Kleinen zeigen, was im Großen möglich ist.