Du bist doch behindert! Ja. Wollen wir drüber reden?

Ein Mann mit Hörgerät lacht. Eine Frau stützt sich bei ihm ab und spricht mit ihm.
Unsere Autorin findet: Sprechen wir mit Menschen mit Behinderungen statt nur über sie. | © Adobe Stock/LIGHTFIELD STUDIOS
Wie sagt man denn jetzt richtig? Menschen mit Behinderungen? Menschen mit besonderen Bedürfnissen oder Einschränkungen? Die Sache ist nicht einfach und dennoch ganz klar, wie Lisa Steiner erklärt.
Ich bin Journalistin. Ja, eh logisch, sonst würden Sie mich hier nicht lesen. Ich schreibe für den Falter und auch für andererseits.org. In letztgenannter Redaktion arbeiten behinderte und nicht behinderte Journalist:innen gemeinsam – auf Augenhöhe. Sind Sie gerade stutzig? Fragen Sie sich, ob Sie richtig gelesen haben? „Behinderte“, das sagt man doch nicht mehr – richtigerweise müsste da doch „Menschen mit Behinderungen“ stehen, oder?

„Die Behinderten“ gibt es nicht

So einfach ist das aber nicht. Es gibt kein generelles „richtig und falsch“, wenn es darum geht, über Behinderung zu sprechen. Denn die Gruppe der Menschen mit Behinderung gibt es so eigentlich nicht. Wir sind hauptsächlich Menschen, ganz verschiedene, mit unterschiedlichen Hobbys, politischen Ansichten, Jobs – und auch mit sehr konträren Meinungen zu dem Wort „behindert“. Ich persönlich sage: „Ich bin behindert, solange ich behindert werde.“ Das richtet den Fokus auf Barrieren, die ich im Alltag, am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft erlebe. Behindert werden – das drückt auch das soziale Modell von Behinderung aus: Behinderung als Barriere von außen, im Gegensatz zum medizinischen Modell, das Behinderung als Störung, Krankheit, Mangel eines Menschen beschreibt.

Ein Beispiel: Ein Rollstuhlfahrer steht vor einer Treppe. Das medizinische Modell sagt: Er kann die Treppe nicht rauf, weil er behindert ist. Das soziale Modell sagt: Er kann nicht rauf, weil die Treppe ihn behindert – weil sie eine Barriere ist. Auch, wenn man wie ich von sich selbst als Behinderte spricht, heißt man damit nicht automatisch eines der beiden Modelle gut. Kolleg:innen von mir lehnen die Beschreibung „behindert“ ab, weil sie mit dem Wort persönliche Beleidigungen erfahren haben. Manche möchten „Menschen mit Beeinträchtigung“ genannt werden, andere sagen: „Ich bin einfach Mensch.“ Auch der Kontext ist wichtig – und wer spricht. Es macht mitunter einen großen Unterschied, ob ich selbst sage: „Ich bin behindert“, oder ob jemand das über mich sagt.

Darf man ‚behindert‘ sagen?

Was ich übrigens gar nicht mag: „besondere Bedürfnisse“. Behinderte haben die gleichen Bedürfnisse wie jeder andere Mensch auch: Sie müssen aufs Klo, wollen geliebt werden … Auch die Formulierung „er/sie leidet an …“ ist oft unglücklich. Behinderung bedeutet nicht automatisch Leid. Ich kenne sehr viele Behinderte, die ein erfülltes Leben haben. Und was gar nicht geht: „an den Rollstuhl gefesselt“. Für Rollstuhlnutzer:innen ist das Hilfsmittel eines, das ihnen mehr Bewegungsfreiheit gibt, ihnen somit Teilhabe ermöglicht.

Jetzt ist alles noch komplizierter? Nein. Es ist ganz einfach. Sprechen Sie nicht über, sondern hauptsächlich mit uns! Fragen Sie Menschen mit Behinderungen, wie sie genannt werden wollen – und ob sie überhaupt über ihre Behinderung reden wollen. Vielleicht kommen Sie aber auch drauf, dass Sie ein gemeinsames Hobby haben oder dasselbe Lieblingsbier.

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Über den/die Autor:in

Lisa Steiner

List Steiner wurde 1982 geboren, lebt und arbeitet als Autorin und freie Journalistin in Wien. Ungerechtigkeit treibt sie um, der Kampf dagegen an. Aktuell setzt sie sich für eine bessere Zugänglichkeit von Informationen ein.

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