Die Spitzenkandidat:innen
Beginnen wir beim Offensichtlichen. Von den fünf österreichischen Spitzenkandidat:innen zur EU-Wahl ist nur eine:r eine Frau. Der 23-jährigen Spitzenkandidatin der Grünen, Klimaaktivistin Lena Schilling, stehen vier Männer über 50 gegenüber: Harald Vilimsky (57) ist der Listenerste für die FPÖ, Reinhard Lopatka (64) für die ÖVP, Andreas Schieder (54) für die SPÖ und Helmut Brandstätter (68) tritt als Spitzenkandidat für die NEOS an.
Die SPÖ
Mit Evelyn Regner steht auf Platz zwei der sozialdemokratischen Wahlliste eine versierte und langjährig engagierte Feministin. Sie setzte als Vorsitzende des Ausschusses für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter viele wichtige frauenpolitische Impulse. Auf Platz vier folgt mit Elisabeth Grossmann eine weitere. Dezidiertes EU-Wahlprogramm findet sich auf der Homepage der SPÖ keines, aber unter dem Reiter „Themen“ der Unterpunkt „Feminismus“.
Der mit „Europa mit gleichen Rechten statt Rückschritt ins letzte Jahrhundert“ titulierte Text weist auf Gewalt gegen Frauen (etwa dass in Europa jeden zweiten Tag sieben Frauen getötet werden), Mehrfachbelastung, ökonomische Diskriminierung und Diskriminierung in der Arbeitswelt hin. Zusammengefasst: „Wir kämpfen für ein Europa, in dem Frauen endlich das bekommen, was ihnen schon längst zusteht: echte Chancengleichheit, gezielte Frauenförderung und das Recht auf ein gewaltfreies Leben. Damit Gleichstellungspolitik wieder oberste Priorität erlangt, muss die ausgelaufene Gleichstellungsstrategie wiederaufgenommen werden und der Kampf gegen Lohnunterschiede ganz oben auf die Agenda.“ Konkretere geplante Maßnahmen finden sich nicht.
Yes means Yes
Die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament, zu der die SPÖ gehört, betont auf ihrer Homepage ihren Einsatz gegen „Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse, sexueller Orientierung oder Behinderung“. Man strebe ein „feministisches Europa“ an, „in dem alle dieselben Chancen und Rechte haben, unabhängig vom Geschlecht“, und betont, dass Geschlechtergleichstellung „im Zentrum“ der eigenen Arbeit stehe. Die sozialdemokratische Fraktion ist damit die einzige, die das Wort „Feminismus“ in den Mund nimmt.
Im Bereich Gewaltschutz fordert die Fraktion eine einheitliche EU-Regelung zur Vergewaltigung nach dem „yes means yes“-Prinzip (wie sie am Widerstand von Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Ungarn gescheitert ist). Darüber hinaus fordert sie die Kommission auf, einen Vorschlag zur Aufnahme von geschlechtsspezifischer Gewalt in die Liste der EU-Straftaten vorzulegen, um Frauen in der gesamten EU vor allen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen.
Geschlechterblinde Lebensläufe
Die Tatsache, dass Abtreibung in zwei EU-Ländern illegal ist (Polen und Malta), wird als eine Form der geschlechtsspezifischen Gewalt bezeichnet und ein sicherer und legaler Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, ebenso zu Verhütungsmethoden und -mitteln und Beziehungs- und Sexualerziehung gefordert. Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch soll in die Charta der Grundrechte aufgenommen werden. Ebenso fordert die Fraktion, dass die nächste gesundheitspolitische Strategie der EU einen Abschnitt über reproduktive Rechte und Gesundheit enthält. Die Sozialdemokrat:innen wollen zudem EU-weite Verbesserungen im Bereich Kinderbetreuung und ein internationales Übereinkommen für die Rechte von LGBTIQ+-Personen.
Wenn es um ökonomische Diskriminierung geht, betont die sozialdemokratische Fraktion ihre Vorreiterinnenrolle bei der neuen EU-Lohntransparenzrichtlinie. Als nächster Schritt sollen öffentliche Verwaltungen und Unternehmen zu geschlechterblinden Lebensläufen verpflichtet werden, um Diskriminierung bei Einstellungsverfahren zu unterbinden. Die bisherige Arbeit für mehr Frauen in Aufsichts- und Verwaltungsräten und gegen Frauenarmut wird hervorgehoben. Die Fraktion kritisiert die Herausforderungen, die die COVID-Pandemie für Frauen und ihre Rechte mit sich brachte und fordert die Kommission auf, Frauen und Geschlechtergleichstellung in allen Aspekten der Aufarbeitung der Krise mitzudenken. Die sozialdemokratische Fraktion fordert zudem Maßnahmen, die geschlechtssensible Asylverfahren gewährleisten und die spezifischen Bedürfnisse von Frauen in Asylprozessen berücksichtigen.
Die Grünen
Die Grünen setzen als einzige Partei, die in Österreich zur EU-Wahl antritt, eine Frau an die Spitze: die politische Quereinsteigerin und Klimaaktivistin Lena Schilling. Wie bei der SPÖ folgt auch bei den Grünen eine Frau auf Platz 3: Ines Vukajlović. Sowohl Lena Schilling als auch Ines Vukajlović sind in der Vergangenheit durch ihre feministische Positionierung aufgefallen. Ein dezidiertes Wahlprogramm zur EU-Wahl findet sich auf der Homepage der österreichischen Grünen nicht. Unter dem Abschnitt „Themen/EU“ gibt es keine frauenpolitischen Inhalte oder Ziele.
Durchforstet man die Parteiprogramme, der in Österreich zur EU-Wahl antretenden Parteien auf ihren frauenpolitischen Gehalt, hat sich die Suche schnell erledigt.
Lediglich auf der Homepage der Europäischen Grünen erscheint ein Suchergebnis zu „Frauenpolitik“. Unter dem Reiter „Vision“ finden sich folgende Sätze:
„Wir setzen uns für mehr Rechte und Gleichberechtigung für alle Frauen und die LGBTI-Community ein, kämpfen gegen Diskriminierung und Gewalt und arbeiten daran, eine Welt zu schaffen, die alle mit einschließt und sicher für alle ist. Jeder Mensch sollte das Recht haben, frei nach seiner Geschlechtsidentität und seinem Geschlechtsausdruck zu leben, sowie das Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Autonomie. Wir haben mehr Frauenrechte als früher, aber wir erleben auch Rückschläge, Hass und Gewalt in der ganzen Welt. Wir kämpfen für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, gegen geschlechtsspezifische Gewalt und für den Zugang zur reproduktiven Gesundheitsversorgung und zum Schwangerschaftsabbruch.“
ÖVP
Die ÖVP stellt aktuell 7 Abgeordnete im EU-Parlament. Geht man davon aus, dass die Anzahl nach der Wahl im Juni gleich bleibt, treten drei Frauen auf wählbaren Plätzen an: Angelika Winzig, Sophia Kircher und Isabella Kaltenegger. Die ÖVP hat bislang kein Wahlprogramm zur EU-Wahl online gestellt und sich im Vorfeld geweigert, dem gemeinsamen Programm der EVP zuzustimmen. Frauenpolitische Überlegungen spielten dabei allerdings keine Rolle, vielmehr ging es um geforderte Zustimmungen zur Kernenergie und Schengen-Erweiterung. Auf der Homepage der EVP findet sich kein Abschnitt zur Frauenpolitik.
Eine neue IMAS-Studie zum #Weltfrauentag bestätigt es einmal mehr: Über 70 % der Frauen geben an, für Wäsche, Kochen und Reinigen zuständig zu sein – also den Großteil der unbezahlten Arbeit. Männer hingegen kümmern sich um die Auto-Pflege und Garten.https://t.co/CwysFOzPUO
— ÖGB (@oegb_at) March 5, 2024
NEOS
Die NEOS sind bislang die einzige in Österreich wahlwerbende Partei, die ein konkretes EU-Wahlprogramm vorgelegt hat. Darin findet sich allerdings kein frauenpolitischer Abschnitt, auch die Stichwortsuche nach dem Wort „Frau“ bringt keine Ergebnisse. Die Fraktion „Renew Europe“, zu der die NEOS gehören, bekennt sich in ihrer „Group Charta“ überschriftsartig zu „gender equality“. Unter „Who we are“ findet sich in Bezug auf Frauenpolitik ein 2020 gelaunchter Action Plan gegen männliche Gewalt an Frauen. Konkretes zum Thema Feminismus und Frauenpolitik fehlt allerdings. Auf Listenplatz 2 tritt nach Helmut Brandstätter mit Anna Stürgkh eine Frau an.
FPÖ
Bei der FPÖ findet sich nach Harald Vilimsky mit Petra Steger eine Frau auf dem zweiten Listenplatz. Online findet sich kein Wahlprogramm zur EU-Wahl, unter „Themen“ kein Hinweis auf Frauenpolitik oder frauenpolitische Forderungen. Sucht man nach dem Stichwort „Frauen“ ist der letzte Treffer mit 2018 datiert. Auf der Homepage der Fraktion „Identität und Demokratie“, zu der die FPÖ gehört, ist zum Thema Frauenpolitik nichts zu finden.