Kommentar: Warum die EU mehr Mitbestimmung wagen muss

Im Vordergrund sind EU-Flaggen zu sehen, daneben gehen Menschen vorbei. Symbolbild für die Mitbestimmung.
Mitbestimmung stärkt Unternehmen. Also bitte mehr davon. | © Adobestock/Pixel-Shot
Länder und Unternehmen mit starker Mitbestimmung der Arbeitnehmer:innen sind widerstandsfähiger gegen ökonomische und soziale Krisen. Deshalb braucht es mehr Mitsprache – auch auf internationaler Ebene, kommentiert Margaretha Kopeinig.
Sozial-ökologischer Umbau, Globalisierung und Digitalisierung können nur gemeinsam mit den Arbeitnehmer:innen wirksam gestaltet werden. Wenn die EU den Grundsatz 8 der europäischen Säule sozialer Rechte, nämlich die Bedeutung des sozialen Dialogs und der Einbeziehung der Beschäftigten, wirklich ernst nimmt, muss sie für mehr Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen sorgen. Es braucht mehr verbriefte Rechte der Einmischung. Europäische Betriebsräte (EBR) sind ein wichtiges Instrument, um Arbeitnehmer:innen in für sie relevante Entscheidungen multinationaler Unternehmen einzubeziehen. Sie vernetzen nicht nur Arbeitnehmer:innen länderübergreifend, sondern auch Arbeitnehmer:innen und das Management in internationalen Konzernen.

Mehr Mitbestimmung bedeutet Stärkung der Anhörungsrechte

Im globalen Kontext wird diese Aufgabe immer wichtiger. Bei Entscheidungen der Konzerne werden die Betriebsräte jedoch häufig zu spät unterrichtet oder erhalten nicht alle Informationen. Das liegt daran, dass es der bestehenden EU-Richtlinie an Verbindlichkeit fehlt. Bei Verletzung der Informations- und Anhörungsrechte sollte künftig der Rechtsweg möglich sein, um einen vorübergehenden Stopp von Entscheidungen der zentralen Leitung durch einstweilige Verfügung zu erwirken. Den Unternehmen, die sich nicht an die Regeln halten, müssen spürbare Sanktionen drohen.

Dabei muss sichergestellt werden, dass auch die europäischen Gewerkschaften mit den Unternehmensleitungen verhandeln können. Um das zu gewährleisten, braucht die bestehende EBR-Richtlinie weitreichende Änderungen. Bereits vor einem Jahr hat eine große Mehrheit der Europa-Abgeordneten die EU-Kommission aufgefordert, bis Ende Jänner 2024 das Gesetzgebungsverfahren für eine Reform der Richtlinie einzuleiten.

Mitbestimmung ist ein europäisches Thema

In der Tat, der Gesetzesvorschlag kam termingerecht, doch zufrieden mit dem Inhalt sind viele Abgeordnete nicht. Gerade was die Geldbußen betrifft, ist die Kommission nicht den Forderungen des EU-Parlaments gefolgt. Auch die Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Informations- und Konsultationsverpflichtungen sind unklar definiert. Ob es noch in dieser Legislaturperiode zu einem Beschluss kommt, ist unklar. Andernfalls werden sich die neu gewählten EU-Parlamentarier:innen damit beschäftigen müssen.

Trotz der Schwierigkeiten steht fest: Durch den zunehmenden Einfluss der EU-Rechtssetzung ist Mitbestimmung ein europäisches Thema. Und Studien zeigen, dass Länder und Unternehmen mit starker Mitbestimmung der Arbeitnehmer:innen widerstandsfähiger sind gegen ökonomische und soziale Krisen. Jetzt braucht es endlich Taten aller EU-Institutionen, vor allem aber der Kommission und des Rates, sonst ist die Mitbestimmung in Europa in Gefahr. Studien und persönliche Erfahrungen zeigen, dass Mitbestimmung ein Kernelement der Kooperations- und Konsenskultur ist sowie ein Gewinn für das Gemeinwohl. Neue gelungene Beispiele der Mitbestimmungspolitik sind nötig, um die Bürger:innen von Europa zu überzeugen.

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Über den/die Autor:in

Margaretha Kopeinig

Margaretha Kopeinig ist freie Journalistin, Autorin und Brüssel-Korrespondentin für den Kurier. Ihre universitäre Ausbildung führte sie nach Wien und Bogotá, wo sie sich mit den Schwerpunkten Politik, Soziologie und Geschichte beschäftigte.

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