Vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung für eine Deregulierung des Sozialsystems eintrete, kollidiere Grünbergs Engagement bei der Helvetia mit ihrer politischen Funktion. Denn als Behindertensprecherin sollte sie die Anliegen von Menschen mit Beeinträchtigung vertreten. „Sie setzte sich nur sehr zaghaft für die AUVA ein, aber macht zugleich Werbung für eine private Versicherung“, kritisierte etwa Volker Schönwiese. Er ist Experte für Behindertenrechte und für das Behindertenberatungszentrum BIZEPS tätig. Die Regierung wolle nach neoliberalem Vorbild das Sozialsystem aushöhlen, und Kira Grünberg spiele da als „Markenbotschafterin“ mit.
Der Fall mag rechtlich gedeckt sein, weil die Neo-Abgeordnete den Werbevertrag laut ÖVP-Parlamentsklub als Nebenbeschäftigung („Vortragstätigkeiten“) gemeldet hat. Er ist aber auch ein anschauliches Beispiel für die enge Verflechtung bestimmter Konzerne und Branchen mit der VP-FP-Regierung und insbesondere der Gesundheitspolitik, für die das Führungsduo Kurz-Strache steht.
„Reform“ im Interesse von Konzernen
Dass bestimmte Konzerne mehr oder weniger Interesse an der sogenannten „Reform“ der Sozialversicherungen haben, die der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) ablehnt, vermutet im Gespräch mit der Arbeit & Wirtschaft auch Bernhard Achitz, Jurist, Leitender Sekretär des ÖGB und bisher stellvertretender Vorsitzender im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Er weist beispielsweise auf die Pharmabranche hin.
Der Herr Finanzminister kommt aus einem Finanzierungskonzern. Die Gesundheitsministerin war Lobbyistin bei der Pharmaindustrie. Das muss man wissen.
Alois Stöger, ehemaliger Gesundheitsminister (SPÖ)
Der frühere Gesundheitsminister Alois Stöger betont im Interview: „Der Herr Finanzminister kommt aus einem Finanzierungskonzern. Die Gesundheitsministerin war Lobbyistin bei der Pharmaindustrie. Das muss man wissen. In der Industriellenvereinigung (IV) sitzen Vertreter größerer Unternehmen und die sagen dort, wie’s weitergeht. Die haben bestellt, auch den Wahlkampf der ÖVP finanziert und wollen jetzt Ergebnisse sehen – in ihren Geldtaschen. Und diese Regierung setzt das um.“
Gesundheitsministerin Hartinger-Klein und private Gesundheitsdienstleister
FPÖ-Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein selbst stellte freilich in Abrede, dass ihre frühere Beratungstätigkeit unvereinbar mit dem Ministeramt sei. „Ich sehe den Interessenkonflikt nicht. Ganz im Gegenteil, dank meiner bisherigen beruflichen Laufbahn kenne ich mich im System gut aus. Ich kenne die Interessen der Systempartner und der Wirtschaft, dadurch laufe ich weniger Gefahr, zum Spielball externer Einflüsse zu werden, und kann mich besser für die Interessen der Bevölkerung einsetzen.“
Hartinger-Klein war unter anderem Geschäftsführerin im Bereich Healthcare Consulting des weltweit führenden Wirtschaftsprüfungskonzerns Deloitte und Senior Consultant des österreichischen Gesundheitsdienstleisters Vamed, auch Marktführer im österreichischen Gesundheitstourismus (Kliniken, Thermen-Resorts, Kurzentren etc.). Im Übrigen stecke im Gesundheitstourismus Österreichs tatsächlich noch wirtschaftliches Wachstumspotenzial, wie der Chef einer Wiener Privatklinik am Rande eines Gesprächs zur Autorin sagte.
Finanzminister Löger und private Krankenversicherungen
ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger war 30 Jahre lang in der Versicherungswirtschaft – bei der Allianz, der Grazer Wechselseitigen, der Donau und zuletzt als Chef der UNIQA-Versicherung – tätig, bevor er Mitglied der Bundesregierung wurde. Die UNIQA zählt zu den größten privaten Krankenversicherungen in Österreich, neben der Wiener Städtischen, der Merkur, der Generali sowie der Allianz Versicherung. 2014 hatten rund 1,6 Millionen Österreicher eine private Krankenversicherung („Sonderklasse“), Tendenz steigend.
Der Verband der privaten Versicherungsunternehmen Österreichs (VVÖ) freute sich denn auch im letzten Jahresbericht 2017, dass die österreichischen Versicherungen erneut als „Fels in der Brandung“ ihre „Bedeutung für den Kapitalmarkt sowie für die Wirtschaft eindrucksvoll bewiesen“ hätten. Schließlich möchte ja die ÖVP-FPÖ-Regierung das Staatsziel Wirtschaft(-sstandort) künftig in den Verfassungsrang heben. Das Sozialstaatsprinzip ist derzeit nur in der Landesverfassung des ostdeutschen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern festgeschrieben.