Auf einer am 15. November 2023 im Auditorium der Universität für Angewandte Kunst in Wien abgehaltenen Veranstaltung war es anders. Hier saßen mit Dario Salvetti (einem Autobauer aus Florenz), Samuel Kammermeier (einem Freizeitpädagogen aus Wien) und Roland Baumann (einem Voestler) drei sehr verschiedene Arbeitnehmer:innen am Podium. Dabei ging es um den Austausch über Widerstand gegen Verschlechterungen und Jobabbau am Arbeitsplatz, aber auch über Flutkatastrophen und Klimakrise. Alle drei sind auf unterschiedlichen Ebenen in der Gewerkschaftsbewegung aktiv. Roland Baumann ist Voest-Betriebsrat, Roland Kammermeier organisiert als Teil des Streikkomitees bei „Bildung im Mittelpunkt“ in Wien einen andauernden Arbeitskampf mit, und Dario Salvetti wehrt sich gemeinsam mit seinen Kolleg:innen gegen die Stilllegung einer Autozuliefererfabrik in der Nähe von Florenz.
Ein gemeinsamer Kampf, der verbindet
Vor allem Dario Salvetti brachte eindrückliche Beispiele dafür, welchen Umwälzungen Arbeitnehmer:innen in der heutigen Zeit ausgesetzt sind. Die letzten beiden Jahre waren für ihn und seine Kolleg:innen von Extremereignissen geprägt. Seit Juli 2021 halten sie die ehemalige „GKN-Driveline“ Fabrik bei Florenz mittels einer legalen, ständigen Betriebsversammlung besetzt. Der ehemalige Eigentümer Melrose, ein transnationaler Finanzkonzern, kündigte eine Schließung des Betriebs an, in dem Antriebswellen für Luxuskarossen produziert wurden. Das Ende dieser Produktion würde den Verlust von 500 Arbeitsplätzen bedeuten – für derzeitige, und zukünftige Generationen. Dagegen wehren sich die Arbeiter:innen mit ihrer Aktion.
Doch dieser Kampf ist kein reiner Verteidigungskampf. Auf der Veranstaltung in Wien sprach Salvetti immer wieder „von dem einen Kampf“, der Klimaschützer:innen und Lohnabhängige vereinige: Der Kampf für eine lebenswerte Welt, die allen Menschen eine Zukunft bietet. Dafür wollen die GKN-Arbeiter:innen einen konkreten Beitrag leisten, indem sie ihren Arbeitsplatz zu einer „sozialen Fabrik“ umdefinieren. Sie sollen zukünftig im Interesse der umliegenden Gemeinden produzieren und in engem Austausch mit diesen stehen. Nicht mehr Produktion für den Luxuskonsum und Eigentümerprofite, sondern Produktion im Interesse der Allgemeinheit. Gemeinsam mit Wissenschaftler:innen entwickelten die Kolleg:innen dafür einen Produktionsplan. Es ist unter anderem die Herstellung von Solarpanelen vorgesehen, die ganz ohne seltene Erden auskommen. So können extraktive Lieferketten vermieden werden.
„Das werden wir nicht zulassen“
Im Umland von Florenz ist dieser Vorschlag sehr populär. Zehntausende Klima-Aktivist:innen und Gewerkschafter:innen haben in den vergangenen Monaten für den Erhalt des Werks und die Umsetzung der Pläne der Arbeiter:innen demonstriert. Doch auch die Widerstände, mit denen die Arbeiter:innen konfrontiert sind, sind groß.
Wir glauben, dass mit dem Gelände, auf dem die Fabrik steht,
Immobilienspekulation betrieben werden soll. Das werden wir nicht zulassen.
Dario Salvetti, Autobauer aus Florenz
Für die These von Salvetti spricht, dass den 200 noch verbliebenen Besetzer:innen zum Jahreswechsel hätte gekündigt werden sollen. Dagegen hatte die italienische Metallgewerkschaft FIOM beim Arbeitsgericht Florenz Einspruch eingelegt – und Recht bekommen! Nur die Arbeiter:innen und die Zivilgesellschaft würden der Fabrik derzeit eine produktive Perspektive bieten, so das Gericht in seiner Entscheidung vom 28. Dezember. Die Arbeiter:innen nahmen die Entscheidung einmal mehr zum Anlass, vom italienischen Staat öffentliche Investitionen einzufordern, um die Umstellung der Produktionsweise vor Ort zu ermöglichen. Im Frühjahr wollen sie dafür mit einer Großdemonstration auf die Straße gehen. Für die betroffenen Arbeiter:innen wird das die letzte Chance, ihren Arbeitskampf erfolgreich zu Ende zu führen. Bis dahin suchen sie weiter nach Einzelpersonen und Gruppen, die als Anteilseigner:innen in die geplante Kooperative einsteigen wollen. Entsprechende Informationen gibt es inzwischen auch auf Deutsch.
Klima und Arbeit Hand in Hand
Der internationalen Klimabewegung gilt das Beispiel von GKN inzwischen als Leuchtturmprojekt. Das macht Dominik Kölbl von der Wiener Gruppe „System Change not Climate Change“ deutlich, die sich in Österreich für Klimagerechtigkeit einsetzt. „Das Beispiel von GKN zeigt, welch immenses Potenzial in der Zusammenarbeit zwischen Arbeiter:innen, Betriebsrät:innen, Gewerkschaften und der Klimagerechtigkeitsbewegung steckt. Durch die Aneignung der Produktionsmittel können Räume geschaffen werden, in denen die Frage gestellt wird, wie eine sozial- und klimagerechte Zukunft aussehen könnte, und welche Rolle die Fabrik darin spielen könnte.“
Kölbl hatte die Veranstaltung am 15. November moderiert, und war gemeinsam mit anderen „System Change“-Aktivist:innen in den vergangenen Monaten auf der Straße, um Proteste streikender Freizeitpädagog:innen in Wien zu unterstützen. Längst gebe es konkrete Pläne, auch in Österreich Bündnisse zwischen Arbeitnehmer:innen und Klima-Aktivist:innen zu formen: „Gemeinsam mit anderen Gruppen wie ‚Fridays for Future‘ bauen wir in Österreich eine Vernetzung von Busfahrer:innen und der Klimabewegung auf. Wir wollen die Forderungen der Fahrer:innen nach verbesserten Arbeitsbedingungen unterstützen. Unsere Forderungen gehen Hand in Hand, für ein flächendeckendes, gut ausgebautes Öffinetz sind gute Arbeitsbedingungen für die Fahrer:innen grundlegend.“
#Klimakrise abwehren und dabei das Leben der Arbeitenden verbessern? Geht das? Ja, das geht! 💪Und damit es voran geht, haben AK, Gewerkschaften, Klimabewegung und Wissenschaft die „Akademie für sozialen und ökologischen Umbau“ ins Leben gerufen #SozialUndÖkologisch #WirBauenUm pic.twitter.com/P89qVDTElL
— AK Österreich (@Arbeiterkammer) March 30, 2023
Mit dem Ziel, für die kommende Bündnisarbeit zu lernen, sind aus Wien einige Klima-Aktivist:innen nach Florenz aufgebrochen, um an den Silvesterfeierlichkeiten rund um die besetzte Fabrik teilzunehmen. Diese planten die Arbeiter:innen ursprünglich, um den Standort gegen eine mögliche Räumung zu verteidigen, der durch das Florentiner Arbeitsgericht aber vorerst ein Riegel vorgeschoben wurde. Die GKN-Arbeiter:innen nutzten das Fest deshalb, um den Gedanken der sozialen Fabrik weiter zu verstetigen. Dabei soll die Fabrik nicht nur als Produktionsstandort gedacht werden, sondern als Ort, an dem auch Kultur und sozialer Zusammenhalt gelebt wird. Als im Herbst 2023 Unwetter und Hochwasser weite Landstriche direkt vor den Fabriktoren verwüsteten, und zahlreiche Häuser unter Wasser standen, koordinierten die Arbeiter:innen gemeinsam mit der Nachbarschaft vom Fabrikgelände aus die Hilfsarbeiten. Auch daran wurde mit dem Fest zum Jahreswechsel gedacht, an dem schließlich 7.000 Menschen aus der gesamten Region teilnahmen.