Ganz nah: Wie die AK Politik für die Vielen macht

Warum sollten sich Berufstätige für die AK-Wahlen interessieren? Welchen gesellschaftlichen Einfluss hat das österreichische Parlament der Arbeitnehmer:innen? Was wir alle wirklich davon haben.
Wenn der Hut brennt – das ist der Moment, in dem die allermeisten Menschen mit der Arbeiterkammer in Kontakt kommen. Das kann sein, wenn Fragen zum Kündigungsschutz auftauchen, zur Lohnfortzahlung im Krankenstand oder zur Sozialversicherung und zu Pensionen. Im letzten Fall werden Antwortsuchende von der Abteilung Sozialversicherung der Arbeiterkammer beraten. Was viele Menschen nicht wissen, ist, dass sich die Probleme und Nöte der Menschen auch direkt auf die politische Tätigkeit der Arbeiterkammer auswirken können. Das meint zumindest Wolfgang Panhölzl, Leiter der Abteilung Sozialversicherung bei der Arbeiterkammer Wien: „Weil wir persönliche Beratung anbieten, sind wir sehr eng mit den Problemen der Mitglieder verbunden. Wir kriegen diese Probleme mit und tragen diese bei Bedarf an die Selbstverwaltung heran, um Entwürfe für Anträge herbeizuführen, die dann bei den Vollversammlungen beschlossen werden.“

Hier deutet sich ein Zusammenspiel an, dessen Kreislauf die Arbeit der Arbeiterkammer im Alltag prägt. Denn die Politik der Arbeiterkammer ergibt sich aus den Beschlüssen, die von den Vollversammlungen der Länder sowie der Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer gefällt werden. Die Abgeordneten zu diesen Vollversammlungen – die sogenannten Kammerrät:innen – nehmen nicht nur an den Vollversammlungen teil, sondern engagieren sich auch in Fachausschüssen, etwa zur Sozialpolitik. Diese Ausschüsse ergreifen auch Initiativen für Anträge in der Form, wie es Wolfgang Panhölzl oben beschrieben hat. Übrigens arbeiten die gewählten Vertreter:innen allesamt ehrenamtlich – ein wichtiger Unterschied zu „professionellen“ Politiker:innen, etwa im Nationalrat oder in den Landtagen. Die Politik der Arbeiterkammer wird somit von „normalen“ arbeitenden Menschen direkt mitgestaltet.

1848 lässt grüßen

Die Grundlage dafür ergibt sich aus der gesetzlich festgeschriebenen Rolle der Arbeiterkammer in der österreichischen Sozialpartnerschaft. Die hat eine lange Geschichte. Schon während der Revolutionsjahre 1848/49 tauchten erstmals Forderungen nach Errichtung einer Arbeiterkammer auf, um der lohnabhängigen Bevölkerung Mitwirkungsrechte an Gesetzgebungsprozessen zu ermöglichen, wie sie zu dieser Zeit das Unternehmerlager über Handelskammern bereits hatte. Beim Sturz der Donaumonarchie, der zum Ende des Ersten Weltkriegs beitrug, spielten vielerorts in Österreich auch sogenannte Arbeiterräte eine wichtige Rolle. Sie wurden mit Gründung der Ersten Republik institutionalisiert und in den österreichischen Staat integriert. Grundlage bildete das Arbeiterkammergesetz von 1920, mit dem auch die Arbeiterkammer aus der Taufe gehoben wurde. Schon bei den ersten Arbeiterkammerwahlen im Jahr 1921 durften alle Lohnabhängigen wählen, egal, ob sie die österreichische Staatsbürgerschaft hatten oder nicht. Das ist heute noch so und unterscheidet die AK-Wahlen von anderen politischen Wahlen.

Formal bestand die Arbeiterkammer auch während des Austrofaschismus weiter, wurde in dieser Zeit allerdings ihrer inneren Demokratie beraubt. Das Fraktionsrecht, über das sich heute die
verschiedenen politischen Lager innerhalb der Arbeiterkammer organisieren, war abgeschafft. Die Nationalsozialisten lösten die Arbeiterkammer schließlich völlig auf. Im Juli 1945 wurde durch die provisorische Staatsregierung ein „Gesetz über die Wiedererrichtung der Arbeiterkammern“ erlassen. Damit war die demokratische Selbstverwaltung der Arbeiterkammer wiederhergestellt, so wie mit dem Arbeiterkammergesetz von 1920 ursprünglich vorgesehen.

Demokratische Lobby

Die jüngste und bis heute gültige Fassung dieses Gesetzes stammt aus dem Jahr 1992. Im ersten Paragrafen werden die Aufgaben der Arbeiterkammer beschrieben: „Die Kammern für Arbeiter und Angestellte und die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte sind berufen, die sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu vertreten und zu fördern.“ Im vierten Paragrafen werden die Methoden näher umschrieben, die der Arbeiterkammer dafür zur Verfügung stehen, etwa die Verfassung von Stellungnahmen in Gesetzgebungsverfahren, die Durchführung von Studien oder die Beratung und Vertretung der Mitglieder.

Finanziert wird das durch die Arbeiterkammerumlage. Das ist der Pflichtbeitrag, den alle Arbeitnehmer:innen zahlen. Im Durchschnitt beträgt dieser Beitrag zehn Euro im Monat. Dadurch bewahrt sich die Arbeiterkammer ihre Unabhängigkeit und ihre Fähigkeit, sich selbst zu verwalten. Das Arbeiterkammergesetz und die Verankerung in der Verfassung gewährleisten den dafür nötigen Schutz. Die Arbeiterkammer kann nicht einfach abgeschafft werden, auch wenn manche Parteien den Pflichtbeitrag und die damit zusammenhängende Selbstverwaltung der Arbeiterkammer immer wieder angreifen.

Die Arbeit der Vollversammlungen und der Fachabteilungen spielt eine wichtige Rolle für die Alltagsarbeit der AK. „Die Beschlüsse der Haupt- und Vollversammlungen sind die Grundlage des Handelns der Arbeiterkammer“, erklärt Christa Schlager, Leiterin der Abteilung für Wirtschaftspolitik bei der AK Wien. „Wenn ein Beschluss gefasst worden ist, erarbeiten die zuständigen interessenpolitischen Abteilungen bei der AK Vorschläge und reden mit der Regierung, den Parteien in Österreich oder auch mit der Kommission und dem EU-Parlament in Brüssel. Schwerpunkte der AK liegen etwa im Arbeits- und Sozialbereich, der Bildung, dem Konsument:innenschutz sowie bei allgemeinen Wirtschafts-, Steuer- und Umweltfragen.“

Das Arbeitsleben spüren

Wie aber machen sich die Beschlüsse der AK-Vollversammlung im Leben der Menschen in Österreich bemerkbar? Wolfgang Panhölzl bringt ein Beispiel aus dem Jahr 2003. Das sei zwar schon lange her, „aber die damaligen Ereignisse sind heute noch spürbar“, sagt er. Es geht um die Pensionsreform von 2003, die seinerzeit von einer schwarz-blauen Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde. „Damals waren massive Pensionskürzungen vorgesehen. Viele AK-Vollversammlungen haben sich dagegen ausgesprochen. Dennoch wurde die Reform im Nationalrat beschlossen. Als Reaktion waren 150.000 Menschen auf einer vom ÖGB organisierten Demonstration dagegen auf der Straße. Weil die AK eine Beschlusslage gegen die Reform hatte, konnte sie auf unterschiedlichen Ebenen mit eigenen Vorschlägen einwirken. Es gab insgesamt 70 runde Tische zwischen den Sozialpartnern. Am Ende gelang es, ein harmonisiertes Pensionssystem zu schaffen, das jetzt, Jahrzehnte später, schrittweise seine Wirkung entfaltet. Die AK hat hier eine wichtige Rolle gespielt, damit jungen Menschen auch heute und in Zukunft noch gute Pensionen gesichert werden.“

Mit der Umsetzung der Pensionsharmonisierung sei die AK auch heute noch befasst. „Viele Elemente dieser Reform beginnen erst jetzt zu greifen und wirken in die Zukunft. Das wird in der öffentlichen Debatte über die Pensionsfinanzierung oft vergessen. Umso wichtiger ist es, die nachhaltige Wirkung der Pensionsharmonisierung in die Diskussion einzubringen.“

Mittels Anträgen bei der Vollversammlung übt die Arbeiter-
kammer Druck auf öffentliche Debatten aus. Ein gutes Beispiel dafür sei die Homeoffice-Regelung, so Wolfgang Panhölzl. | © Markus Zahradnik

Politik mit langem Atem

Das Beispiel der Pensionsreform zeigt, dass die Arbeiterkammer oft einen langen Atem braucht, um die Interessen der Arbeitnehmer:innen durchzusetzen. Das zeigt sich auch im Fall des im Jahr 2016 auf Druck der Arbeiterkammer beschlossenen „Gesundheitsberufe-Registers“. Dieses Register soll der Qualitätssicherung und der Planungssicherheit im Gesundheitsbereich dienen. Über Jahre hinweg hatte die österreichische Politik die Einführung eines solchen, von Beschäftigtenorganisationen immer wieder geforderten Registers verschleppt. Dies führte im November 2015 zum Beschluss eines Vollversammlungs-Antrags auf „rasche Umsetzung des Gesundheitsberufe-Registers“, in dem die Arbeiterkammer ihre Expertise zur Umsetzung eines solchen Registers anbot. Dies sei zweckmäßig, da „95 Prozent der Betroffenen AK-zugehörig sind, und durch die Struktur der AK ein niederschwelliger und unkomplizierter Zugang gesichert ist“. Heute betreibt die AK das Gesundheitsberufe-Register, fordert aber eine Novellierung des betreffenden Gesetzes, um zusätzliche Berufsgruppen, wie beispielsweise Sanitäter:innen, in das Register aufnehmen zu können.

Es geht um Fairness

In den vergangenen Jahren haben sich zunehmend globale Krisenphänomene und deren Auswirkungen auf das Leben lohnabhängiger Menschen in Österreich in den Anträgen zu Vollversammlungen der Arbeiterkammer niedergeschlagen. Mit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine machten massive Preissteigerungen vor allem im Energiebereich vielen Menschen zu schaffen. Dazu gab es in den Frühjahrs- und Herbstvollversammlungen der einzelnen Länder und auch in den Hauptversammlungen eine Vielzahl von Anträgen. Die Vollversammlung in Wien vom 11. Mai 2022 hatte folgerichtig einen Antrag mit der Überschrift „explodierende Energiekosten – jetzt handeln!“ auf der Tagesordnung. „Dieser Antrag enthielt Forderungen, mit denen die Arbeiterkammer anschließend wichtige Akzente in der Tagespolitik setzen konnte“, so Christa Schlager. Dazu gehörte zum einen ein Forderungspaket zur Leistbarkeit und Versorgungssicherheit von Energie und zum anderen die Forderung nach einer Besteuerung und Zweckwidmung von sogenannten Windfall-Profits: Die hohen Energiepreise führen zu hohen Gewinnen bei vielen Mineralölkonzernen sowie einzelnen Energieversorgern und -händlern.

Mit der Senkung der Energieabgaben und der Strompreisbremse habe die Regierung auf Forderungen aus dem Arbeit-
nehmer:innenparlament reagiert, erzählt Christa Schlager. | © Markus Zahradnik

„Es ist eine Frage der Fairness, die krisenbedingten Übergewinne abzuschöpfen und den Energieverbraucher:innen zurückzugeben“, war auch im Antrag „Teuerung stopp, Preise runter“ zu lesen, der am 9. November 2022 auf der AK-Vollversammlung beschlossen wurde.

Krisen-Airbag

Die Fachabteilungen der AK erarbeiteten nach den Beschlüssen gemeinsam ein Konzept für eine Übergewinnsteuer. Im November 2022 stellte die österreichische Bundesregierung dann tatsächlich ein eigenes Konzept für eine Übergewinnsteuer vor. Die Arbeiterkammer kann somit für sich beanspruchen, die öffentliche Debatte beeinflusst zu haben, auch wenn die Pläne der Regierung weit hinter den Vorstellungen von AK und ÖGB zurückblieben. Als ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und AK-Präsidentin Renate Anderl am 18. November 2022 vor die Mikrofone der Medien traten, um zu erklären, die Regierung sei mit ihrem Konzept „deutlich unter ihren Möglichkeiten“ geblieben, konnten beide ihre Argumentation auf umfangreiche AK-Materialien stützen, die infolge der bei den vorhergehenden Vollversammlungen angenommenen Anträge von den zuständigen Fachabteilungen ausgearbeitet worden waren.

Auch mit einer anderen Forderung konnte die AK im politischen Diskurs wirkmächtig werden. So wurde in den oben erwähnten Anträgen auch die Belastung der Haushalte durch die Energiekrise angesprochen. Mit einer Senkung der Energieabgaben sowie der Strompreisbremse hat die Regierung auf dieses Anliegen reagiert. „Es zeigt also, wie die Arbeiterkammer die öffentliche Diskussion bei solch wichtigen Themen mitgestaltet und Entlastungen für ihre Mitglieder erreicht“, so Schlager.

Gerechtigkeit im Homeoffice

Wie die Arbeiterkammer mittels Anträgen bei der Vollversammlung Druck auf öffentliche Debatten ausübt, zeigt das Beispiel der im Jahr 2020 im Zuge der COVID-Pandemie sozialpartnerschaftlich beschlossenen Homeoffice-Regelung. Nachdem die Bundesregierung im Verlauf des Jahres zwar immer wieder die Einrichtung sozialpartnerschaftlicher Arbeitsgruppen zur Ausarbeitung einer solchen Regelung versprochen, diese bis zum Herbst 2020 aber immer noch nicht eingesetzt hatte, wurde das Homeoffice auf der Hauptversammlung der Bundesarbeiterkammer am 26. November 2020 Thema. Vier Fraktionen brachten den gemeinsamen Antrag „Mobiles Arbeiten – Home-Office fair und gerecht gestalten“ ein. Das war aus Sicht von Wolfgang Panhölzl auch deshalb nötig geworden, „weil arbeitsrechtliche Anfragen zu dem Thema spürbar zugenommen hatten“.

In dem Antrag wurden unter anderem ein zeitlich unbefristeter Unfallversicherungsschutz für mobiles Arbeiten, die Sicherstellung arbeitsmedizinischer Betreuung im Homeoffice sowie eine Anpassung steuerrechtlicher Regelungen gefordert. Der Druck funktionierte, im Jänner 2021 beschloss der Ministerrat nach starker Einbindung der Sozialpartner ein „Homeoffice-Gesetzespaket“, das im April 2021 in Kraft trat. Somit gibt es nun klare gesetzliche Regelungen für die Durchführung von Lohnarbeit vom heimischen Schreibtisch aus, die auch über den Verlauf der COVID-Pandemie hinaus Bestand haben sollen.

Das Parlament der Arbeitnehmer:innen

Die Arbeiterkammer gestaltet aktiv das politische Geschehen in Österreich mit. Das passiert über das sogenannte Arbeitnehmer:innenparlament. Die Abgeordneten zum Arbeitnehmer:innenparlament werden von allen AK-Mitgliedern gewählt. Die nächsten AK-Wahlen finden in Österreich zu verschiedenen Zeiten vom 26. Jänner bis zum 29. April statt.

Was ist das Arbeitnehmer:innenparlament?

In den neun Arbeiterkammern in den Bundesländern bilden die Kammerrät:innen das Arbeitnehmer:innenparlament. Viele Delegierte zum AK-Parlament sind als Betriebsrät:innen aktiv. Bei den im Durchschnitt zweimal pro Jahr stattfindenden Vollversammlungen werden Anträge diskutiert und beschlossen. Zusätzlich gibt es zwei Hauptversammlungen, bei denen sich alle Länder treffen und die politische Meinung der Bundesarbeitskammer festgelegt wird.

Wie wird das Arbeitnehmer:innenparlament gewählt?

Alle AK-Mitglieder dürfen Kandidat:innen der wahlwerbenden Gruppen zum AK-Parlament wählen. Das sind die allermeisten lohnabhängig Beschäftigten in Österreich, egal, ob sie österreichische Staatsbürger:innen sind oder nicht.

Wie werden im AK-Parlament Entscheidungen getroffen?

Die gewählten Vertreter:innen zum AK-Parlament sind Mitglieder in verschiedenen Fraktionen oder wahlwerbenden Gruppen. Zu den Vollversammlungen bringen diese Anträge ein. Die Anträge decken breite Themengebiete ab: von Sozialpolitik, Arbeitsrecht, Sozialversicherung und Energiepolitik über Teuerungen bis hin zur Forderung nach Reichensteuern. Über diese Anträge wird in Vollversammlungen der jeweiligen Arbeiterkammer abgestimmt.

Was passiert mit beschlossenen Anträgen?

Beschlossene Anträge bilden die Grundlage für die politischen Forderungen der Arbeiterkammern oder der Forschungs- und Lobbyarbeit der Fachabteilungen. Es werden Gutachten erstellt, Positionspapiere verfasst und Gespräche mit Ministerien gesucht. So kann die AK im Interesse ihrer Mitglieder Druck entfalten.

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